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Berliner Morgenpost: Absurdes Theater am Festtag der Demokratie (Kommentar)

Geschrieben am 20-01-2010

Berlin (ots) - Das haben wir wirklich nicht verdient. Fleißig,
unhysterisch und diszipliniert hat sich das Volk in den letzten
Monaten durch die Krise gerobbt, die Angst vorm Jobverlust gezügelt
und die Wut auf das Investment-Banking. Und was ist der Dank? Eine
Haushaltsdebatte auf einer Qualitätsebene irgendwo zwischen Hertha
und Union. Früher galt der Schlagabtausch im Bundestag als Festtag
der Demokratie, mit rhetorischen, emotionalen und bisweilen sogar
intellektuellen Perlen garniert. Gestern gab es schon mal den ersten
Eindruck, mit welch geballten Langweiligkeiten Regierung und
Opposition das Land in den kommenden vier Jahren zu quälen gedenken.
Es ist schon absurd, wenn die Kanzlerin "neues Denken" verkündet,
nachdem sie just ein millionenschweres Mehrwertsteuergeschenk an
Hoteliers verabschiedet hat, dessen volkswirtschaftlicher Segen
unterhalb der Messbarkeitsgrenze liegen wird. Das ist kein neues
Denken, sondern Quark.
Immerhin: Angela Merkel ist sich treu geblieben. Die Politik der
"kleinen Schritte", die sie vor vier Jahren ankündigte, wird
fortgesetzt. Und das ist nicht einmal verkehrt: Lieber kleine
Schritte in die falsche Richtung als große. Ein Wesenszug der Chefin
ist allerdings wirklich neu: ihr quälender Drang zur Harmonie. Als
habe es eine Debatte über ihre Führungsstärke nie gegeben, listete
die Kanzlerin noch einmal alle Segnungen des Koalitionsvertrages auf.
Angela Merkel ertränkt ihre Gegner in einem Meer von hinlänglich
bekannten Details. Einzig die Vorschläge zur Arbeitspflicht, die der
Hesse Koch in gewohnter Markigkeit vorgeschlagen hatte, wurden
kritisiert. Klar, kurz vor der wichtigen NRW-Wahl darf das Bild von
der sozialdemokratisierten Union nicht beschädigt werden. Zugleich
versuchte die Parteichefin, sich selbst und ihre CDU fast unauffällig
an die eigenen Wurzeln zu erinnern. "Christlich-liberal" nennt die
Kanzlerin ihre Koalition, als wolle sie dem anschwellenden Gemurre
über windelweiches Profil zumindest irgendwas entgegensetzen.
Es gehört zu den zweifelhaften, wenngleich wohl überlebensnotwendigen
Fähigkeiten Merkels, Widersprüche nicht aufzulösen, sondern einfach
stehen zu lassen. Einerseits preist die Kanzlerin die gesetzlich
verankerte "Schuldenbremse" als Leitplanke ihrer Politik,
andererseits rechtfertigt sie eine Rekordverschuldung von 100
Milliarden Euro für 2010. Der durchschnittliche Steuerzahler muss
nicht mal so viel von Wirtschaft verstehen wie Rainer Brüderle, um zu
ahnen, dass da irgendwas nicht stimmen kann.
Angela Merkel hat eine "Sehnsucht der Bürger nach Zusammenhalt"
festgestellt. Da mag sie recht haben. Aber das routinierte
Wegdebattieren aktueller Probleme befriedigt diese Sehnsucht nicht.
Nach dem Klimaschock von Kopenhagen und den Chaostagen der neuen
Koalition steht die christdemokratische Regierungschefin unter
verschärfter Beobachtung. Ihre Sympathiewerte schwinden. Sie braucht
allgemein akzeptierte Erfolge. Die aber sind weit und breit nicht in
Sicht.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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