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"Ökologisch vorteilhaft"? - Pfandprivileg für Getränkekartons muss überprüft werden

Geschrieben am 19-01-2010

Berlin (ots) - Getränkekartons bestehen immer mehr aus Kunststoff
und Aluminium und immer weniger aus Zellstoff - Reale Recyclingquoten
kaum mehr als halb so hoch wie von der Industrie behauptet - Deutsche
Umwelthilfe hält Befreiung von der Pfandpflicht nicht mehr für
gerechtfertigt und fordert von Umweltminister Röttgen Überprüfung der
Einstufung des Getränkekartons als "ökologisch vorteilhaft"

Heute verkaufte Getränkekartons erfüllen nach Überzeugung der
Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) nicht mehr die Kriterien, die ihr
vor annähernd zehn Jahren das Prädikat "ökologisch vorteilhaft"
eingebracht haben. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch fordert
deshalb von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) eine
Aktualisierung der veralteten Ökoanalysen, die der Einstufung von
Getränkekartons als ökologisch vorteilhafte
Einweggetränkeverpackungen zu Grunde liegen. "Untersuchungen der DUH
zeigen, dass heute Kunststoffverpackungen mit Papierüberzug als
Getränkekartons vertrieben werden. Sie werden größtenteils nicht mehr
oder nicht mehr hochwertig recycelt. Damit steht praktisch fest, dass
die Befreiung dieser Einweggetränkekartons von der Pfandpflicht nicht
mehr gerechtfertigt ist", sagte Resch.

Die heute in den Verkaufsregalen angebotenen Getränkekartons
hätten mit den um die Jahrtausendwende im Auftrag des
Umweltbundesamts (UBA) aufwändig begutachteten Pappkartons nicht mehr
viel gemein. Sie seien im Durchschnitt deutlich schwerer, enthielten
zunehmend Kunststoffe und Aluminium und immer weniger Zellstoff. Vor
allem aber würden heute weder die damals für die Öko-Einstufung
geforderten hohen Recyclingquoten erreicht, noch die Kriterien für
ein hochwertiges Recycling. Die Ökoanalysen die seinerzeit zur
Befreiung von der Pfandpflicht führten, gingen von einer
Verwertungsquote von 64 Prozent aus. Nach Berechnungen der DUH werden
mittlerweile jedoch nur noch rund 35 Prozent des Verpackungsmaterials
von in Deutschland geleerten Getränkekartons recycelt.

"Die vom Fachverband Kartonverpackungen für flüssige
Nahrungsmittel FKN jährlich veröffentlichte Recyclingquote von 65
Prozent ist kaum mehr als eine Zahlenspielerei. Sie hat mit der
Realität wenig und mit Verbrauchertäuschung umso mehr zu tun",
kritisierte Resch die Kartonlobby. Die tatsächlich erreichte
Recyclingquote für in Deutschland geleerte Getränkekartons liege mit
etwa 35 Prozent bei kaum mehr als der Hälfte des offiziell
verkündeten Werts. Die DUH forderte deshalb von Bundesumweltminister
Röttgen und seinen Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern eine
umgehende kritische Überprüfung der angeblichen ökologischen Vorteile
der Getränkekartons. "Wenn dem Getränkekarton im Rahmen der
Neubewertung die ökologische Vorteilhaftigkeit aberkannt wird,
entfällt automatisch auch das Pfandprivileg", erklärte Resch.

Die vom FKN veröffentlichte Recyclingquote bezieht sich zunächst
nur auf den Teil der Getränkekartons, der tatsächlich in gelben
Tonnen und Säcken gesammelt und anschließend in Sortieranlagen
aussortiert wird. In Deutschland wurden nach den Erhebungen der
Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) im Jahr 2007 etwa
219.500 Tonnen Getränkekartons in Verkehr gebracht, aber nur drei
Viertel gesammelt und davon wiederum nur etwa 146.500 Tonnen
aussortiert und an Verwertungsanlagen weitergegeben. Die Tonnage der
angelieferten "Getränkekartons zur Verwertung" geht zudem voll in die
Statistik der Kartonbranche ein. Abzüge für Restinhalte,
Feuchtigkeit, Anhaftungen und Fehlwürfe sind nicht vorgesehen. "Bei
den vom FKN ermittelten Verwertungsquoten werden Milchreste und
Anhaftungen als Teil des Kartongewichts mitgerechnet, was zu einer
scheinbaren Erhöhung der Recyclingquote führt", sagte Resch. Eigene
Untersuchungen der DUH belegen Gewichtsunterschiede von 15 bis 60
Prozent zwischen den normal restentleerten Getränkekartons und
solchen, die nachträglich ausgewaschen und getrocknet werden. Aus
einem vorsichtig-konservativ bemessenen Abzug von 20 Gewichtsprozent
für Restinhalte, Anhaftungen und Fehlwürfe ergibt sich ein Wert von
nur noch 117.200 Tonnen Verpackungsmaterial, das tatsächlich bei den
Verwertungsanlagen ankommt.

Im vergangenen Jahr hat sich der Anteil der in den
Verwertungsanlagen behandelten Getränkekartons weiter verringert,
weil sortierte Getränkekartons aufgrund fehlender
Verwertungskapazitäten und schlechter Lagerung zu Teilen einfach
verbrannt wurden. Die DUH schätzt diese Menge auf 10 Prozent. Vom
angenommenen Ausgangswert von 219.500 Tonnen in Verkehr gebrachter
Getränkekartons (Zahl für 2007, die sich aber kaum verändert haben
dürfte), blieben so 2009 nur rund 105.500 Tonnen trockenes, sauberes
Getränkekartonverpackungsmaterial für die Verwertung übrig.

Was genau geschieht im Rahmen der Verwertung mit den gesammelten
Getränkekartons? Sowohl der FKN als auch Getränkekartonhersteller wie
die Tetra Pak GmbH & Co KG sprechen von einer Recyclingquote bzw. vom
Recycling der getrennt gesammelten Getränkekartons. Die Wortwahl
suggeriert eine stoffliche Verwertung, also eine Rückführung der
Verpackungsmaterialien in den Stoffkreislauf. Doch in den im
vergangenen Jahr belieferten Verwertungsanlagen wurde nur der
Papieranteil der Getränkekartons recycelt (im Fachjargon:
"werkstofflich verwertet"); der insgesamt zunehmende Kunststoffanteil
in den Kartons wurde dagegen verbrannt und der Aluminiumanteil als
Bauxitersatz in der Zementherstellung eingesetzt. Nach den
Berechnungen der DUH wurden 2009 demnach nur insgesamt ca. 76.000
Tonnen Papier aus den insgesamt etwa 219.500 Tonnen in Verkehr
gebrachten Getränkekartons tatsächlich recycelt. Daraus ergibt sich
eine realistische Recyclingquote von gerade noch 35 Prozent. Eine
graphische Übersicht der Stoffströme der in Deutschland zur
Verwertung anfallenden Getränkekartons kann unter
http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2114
heruntergeladen werden.

Unabhängig von der Frage der "ökologischen Vorteilhaftigkeit"
fordert die DUH im Sinne einer umwelt- und ressourcengerechten
Entsorgung für Getränkekartons sowohl eine Mindestsammelquote als
auch eine spezifische Verwertungsquote mit konkreten
Qualitätsstandards.

Die faktische Halbierung der Recyclingquote gegenüber den
Branchenangaben verschlechtert nach Ansicht der DUH implizit die
Umweltbilanz des Getränkekartons dramatisch. Hinzu kommen weitere
Umweltbelastungen durch Ferntransport leerer Gebinde. Im vergangenen
Jahr wurden beispielsweise Getränkekartons in der Verantwortung der
Duales System Deutschland GmbH etwa 1.500 Kilometer nach Spanien zur
Verwertung transportiert. Nach Informationen der DUH recycelten die
Unternehmen auch dort nur den Papieranteil. Die so genannten Rejekte
(Kunststoff- und Aluminiumgemisch) wanderten offensichtlich zumindest
teilweise auf die Deponie. Darüber hinaus wurde 2009 eine erhebliche
Menge der Getränkekartons in Müllverbrennungsanlagen "verwertet".

Die Materialzusammensetzung und Herstellung der Getränkekartons
spielen für die Bewertung ihrer Ökobilanz eine wichtige Rolle.
Gegenüber den Annahmen in der vom Umweltbundesamt 2002
veröffentlichten Ökobilanz wurden in neueren Ökobilanzen
Gewichtssteigerungen von mehr als 20 Prozent und in einer
Untersuchung der DUH von fast 50 Prozent festgestellt. Deutlich ist
auch der "Plastifizierungs-Trend" der Kartons. In einer aktuellen
Werbekampagne für Getränkekartons der Tetra Pak GmbH & Co.KG wird vor
allem darauf hingewiesen, dass Getränkekartons aus nachwachsenden
Rohstoffen hergestellt werden. Der Name "Getränkekarton" soll
belegen, dass es sich um eine Verpackung aus Karton oder Papier
handelt. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit, und zwar ein
schrumpfender. Die Ökoanalyse des Umweltbundesamtes ging im Jahr 2000
von einem durchschnittlichen Papieranteil der Getränkekartons in Höhe
von 75 Prozent aus. Eine aktualisierte, von der
Getränkekartonindustrie selbst in Auftrag gegebene Ökobilanz belegt
anhand der Daten der Getränkekartonhersteller, dass der
Zellstoffanteil für Getränkekartons oft deutlich unter diesem Wert
liegt - für einige Gebinde bei nur noch 60 Prozent. Der
Kunststoffanteil ist entsprechend gestiegen und beträgt bis zu 34
Prozent. Schließlich besteht ein Getränkekarton zu bis zu 6 Prozent
aus Aluminium.

"In den vom Umweltbundesamt nach der Jahrtausendwende
veröffentlichten Ökobilanzen wurden zum Teil wohlwollende Annahmen
hinsichtlich der zukünftigen Herstellung, Sammlung und Verwertung von
Getränkekartons gewählt. Aktuellere Informationen zeigen, dass die
Annahmen nicht immer korrekt waren. In einigen Fällen - wie etwa beim
Durchschnittsgewicht und Papieranteil - ist sogar ein gegensätzlicher
Trend zu erkennen", bedauerte Maria Elander, Leiterin
Kreislaufwirtschaft bei der DUH die Entwicklung. Die DUH halte vor
diesem Hintergrund eine kritische und unabhängige Überprüfung der
angeblichen ökologischen Vorteile von Getränkekartons für überfällig.

Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/22521
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_22521.rss2

Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe e.V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Mobil: 0171 3649170, E-Mail:
resch@duh.de

Maria Elander, Leiterin Kreislaufwirtschaft, Deutsche Umwelthilfe
e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-41, Mobil:
0160 5337376, E-Mail: elander@duh.de

Gerd Rosenkranz, Leiter Politik & Presse, Deutsche Umwelthilfe e.V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0, Mobil: 0171
5660577,
E-Mail: rosenkranz@duh.de


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