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Rheinische Post: Missverstandene Angela Merkel

Geschrieben am 13-01-2010

Düsseldorf (ots) - von Sven Gösmann

An der Basis der von einer Frau dominierten Männerpartei CDU wurde
von einigen der Dominierten der nicht freundlich gemeinte Spitzname
"Mutti" für Angela Merkel gefunden. Noch nie war er wohl so treffend
wie heute, wenn der CDU-Bundesvorstand zu seiner zweitägigen
Klausurtagung in Berlin zusammenkommt.
Denn "Mutti" hat es wahrlich nicht leicht mit ihrer schwarz-gelben
Familie. Die beiden Kinder sind in der Pubertät. Pubertät bedeutet:
Man fühlt sich nicht wohl in seinem Körper, hadert mit den
Unzulänglichkeiten des eigenen Äußeren, ist auf Sinn-, Vorbild- und
immer auch auf Partnersuche, begehrt in trotziger Liebe gegen die
Eltern auf, die einem die Richtung weisen wollen. Wer im Moment der
nervigere der beiden Bengel ist, der leibliche schwarze Sohn oder der
gelbe Stiefsohn, das behält Angela Merkel für sich. Längst wirken
beide wie Kandidaten für die "Super-Nanny" von RTL. Doch die fällt
zum Glück aller Beteiligten aus - schließlich hat sie schon
vergeblich ihr Glück als SPD-Wahlhelferin versucht.
Also wird heute in Berlin alles auf "Mutti" schauen. Sie ist es
schließlich, die die Irritationen in ihrer Partei, der Koalition,
aber auch bei den Bürgern auslöst, wie die im NRW-Wahljahr
alarmierenden Umfrageverluste für Schwarz-Gelb eindrucksvoll belegen.
Angela Merkel hat es zugelassen, dass die Kritik aus den eigenen
Reihen an ihr und ihrer Nicht-Politik in den vergangenen Tagen
kulminiert ist. Nun soll ausgerechnet sie dafür die Lösung bringen.
Ihrem liberalen Koalitionspartner geht es vor allem darum, den
Eindruck zu vermeiden, in Berlin würde einfach nur weiter regiert wie
in der großen Koalition, allenfalls ein bisschen weniger
sozialdemokratisch. Guido Westerwelles forscher Spruch von der
"geistig-politischen Wende" jedenfalls ist der Versuch, Schwarz-Gelb
doch zum Projekt zu (v)erklären, das dieses an sozialer Sicherheit
orientierte Land zu einer Aufbruchsgesellschaft umbauen könnte - mit
allen Unwägbarkeiten, die eine Mehrheit der Wähler regelmäßig an
Wahlurnen wie in Umfragen ablehnt.
Schwerer wiegt, dass Westerwelle bei der Einschätzung von Angela
Merkels Persönlichkeit immer noch dem gleichen Missverständnis
erliegt wie der verbliebene konservative Teil der Union: Sie ist
keine Projekt-Politikerin. Sie ist keine Strategin. Sie ist keine
selbststrahlende Anführerin.
Angela Merkel ist eine Einzelfall-Entscheidungs-Politikerin. Wer sich
bemüht, die Summe dieser Entscheidungen zu addieren, wird
feststellen, dass dahinter ein vages Mitte-Koordinatensystem zu
erkennen ist. In dessen Zentrum steht der Machterhalt. Die bei "Kohls
Mädchen" oft gesuchte Ähnlichkeit mit dem Altkanzler erschöpft sich
eben nicht im beiden eigenen zögerlichen Aussitzen, um dann im Moment
historischer Herausforderungen (Einheit, Finanzkrise) doch zupackend
zu handeln. Zu dieser Ähnlichkeit gehört auch der ausgeprägte
Machtinstinkt mit eingebautem Freund-Feind-Denken und wenig
zimperlicher Ausschaltung lästiger Kritiker.
Merkels herausragendes Verdienst ist es, dass sie das Familien- und
Gesellschaftsbild der Union und damit dieses Landes modernisiert hat.
Sie ging dabei aber wiederum nicht strategisch, sondern situativ vor,
bisweilen auch nach Sympathie für Personen, die Positionen vertreten.
So ist auch ihr Umfeld zu erklären, in dem sich nur geschmeidige
Christdemokraten finden, die eine schwarz-gelbe Koalition ebenso
managen wie sie das bei einer schwarz-roten taten oder bei einer
schwarz-grünen tun würden.
Merkel, die als ostdeutsche Protestantin nicht der Ursuppe der CDU
entstammt, fehlt so das Korrektiv im engsten Kreis. Neben den
erwähnten Ratgebern steuert sie ihre Politik mit Hilfe
technokratischer Experten wie Meinungsforschern. Die sagen ihr etwa,
dass nur noch acht Prozent der Wähler Katholiken mit starker
Wählerbindung sind und es sich mit den Vertriebenen ähnlich verhalte.
Empirie tritt also an Stelle von Empathie; und das sorgt wiederum für
die Misshelligkeiten, die die aktuelle Klausurtagung begleiten.
Die Prognose für die Klausur wie für die Koalition kann deshalb nur
lauten: Die Machtpolitikerin Merkel wird in der CDU keine lange
Debatte zulassen und sich lieber der nächsten Sachfrage zuwenden.
Dieses Modell leidenschaftsloser Ernsthaftigkeit wird sie gewiss
einige Zeit tragen. Für eine Kanzlerin und Parteivorsitzende, die im
Gedächtnis haften bleiben will, ist es jedoch zu wenig.

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30621
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30621.rss2

Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2304


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