(Registrieren)

Westdeutsche Zeitung: Der gezähmte Bundespräsident = von Martin Vogler

Geschrieben am 23-12-2009

Düsseldorf (ots) - Horst Köhler hat uns in seiner Anfangszeit als
Präsident oft verblüfft. Häufig sprach er Aktuelles und Unbequemes
offen an. Damit verstieß er gegen die Tradition, dass sich ein
deutsches Staatsoberhaupt - ähnlich wie die Königin von England -
nicht in die Tagespolitik einmischen soll. Dafür bekam er viel
Anerkennung. Doch solch direktes Stellungnehmen birgt die Gefahr,
dass ein Präsident den Nimbus der Überparteilichkeit verliert.
Das ist Horst Köhler offenbar bewusst. Wie schon in den Vorjahren
bleibt seine Weihnachtsansprache unverbindlich und damit ein Stück
enttäuschend. Zwar thematisiert er mit dem Amoklauf von Winnenden und
dem S-Bahn-Toten von München zwei unbegreifliche Taten, die
Deutschland erschütterten. Zu Recht stellt er die Frage, wie so etwas
geschehen konnte, und ruft zu einer Kultur der Achtsamkeit auf. Doch
genügt das als Analyse? Eher nicht. Es schleicht sich das Gefühl ein,
dass ein gezähmtes Staatsoberhaupt vor unbequemen Fragen
zurückschreckt.
Was bei den beiden wichtigen Themen Winnenden und München vor allem
fehlt, ist der Versuch, schonungslos die Frage nach dem Warum zu
beantworten. Das Nachdenken darüber, dass ausgrechnet junge Leute so
hemmungslos töten, ist sicherlich schmerzhaft, muss aber geschehen:
Welche Rolle spielt Geltungssucht? Welchen Anteil trägt die
Entwurzelung, und warum kommt es überhaupt zu ihr? Warum scheinen
viele Jugendliche die Realität und Computerspiele nicht mehr
auseinanderhalten zu können? Solche Fragen und Antworten gnadenlos zu
vertiefen, würde durchaus in eine Weihnachtsansprache passen.
Wenn man es positiv ausdrücken will: Immerhin hat Horst Köhler die
beiden Taten in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt. Er war auch gut
beraten, dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan und dem bürgerlichen
Engagement einen hohen Stellenwert zu geben. Wiederum enttäuschend
hingegen, dass er zum drängenden Thema der wirtschaftlichen
Unsicherheit, die bei vielen Menschen Zukunftsängste auslöst, so gut
wie nichts sagte. Über die seit Monaten überall zu hörenden Aussagen
zur Maßlosigkeit bei Finanzakteuren und die Forderung nach mehr
staatlicher Aufsicht kam er nicht hinaus.
Schade.

Originaltext: Westdeutsche Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/62556
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_62556.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
Telefon: 0211/ 8382-2358
redaktion.nachrichten@westdeutsche-zeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

244043

weitere Artikel:
  • RNZ: Flasche leer Heidelberg (ots) - Von Klaus Welzel 2009 neigt sich dem Ende entgegen. Zeit, eine kleine Steuerbilanz zu ziehen. Der Staat ist mit 1,6 Billionen Euro verschuldet. Das klingt viel, wenn man aber bedenkt, dass das für jeden Deutschen "nur" 19277 Euro sind, sieht die Sache schon anders aus. Nun gut, dazu kommen noch einmal weitere 100 Milliarden Euro, die sich Finanzminister Schäuble zur Finanzierung des Haushaltes 2010 leiht. Es ist derselbe Finanzministerm, der nun im Brustton der Überzeugung sagt, dass ab 2011 aber wirklich gespart wird. mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Steuern / Abgaben Osnabrück (ots) - Nur weiter so Wie beruhigend. Auch immer mehr Unionspolitiker trauen sich zu sagen, was auf der Hand liegt: Die Wirtschafts- und Haushaltslage ist so desaströs, dass sie einen Verzicht auf weitere Steuersenkungen nahelegt. Und was nutzt es auch, wenn der Bund mit der rechten Hand Steuern senkt und mit der linken Hand bei den Sozialabgaben das Geld wieder einkassiert? Auf solch durchsichtige Spielchen sollte die Koalition verzichten - zumal ihr Ruf nach dem völlig unnötigen Mehrwertsteuergeschenk an Hoteliers bereits mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: zu Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten Stuttgart (ots) - Das vergangene Jahr und das Leben an sich. Der Anschlag in Winnenden, die Wirtschaftskrise, der Krieg in Afghanistan, die Ermordung des mutigen Dominik Brunner: Köhler listet auf, ratlos und betroffen. Wie alle. Er fordert eine "Kultur der Achtsamkeit und Anerkennung, überall", fürchtend, wissend, dass er mit diesen hölzernen Worten gerade die nicht erreicht, die es am nötigsten hätten, gut zuzuhören. Köhler mahnt, macht Mut, meint es gut. Wie seine Vorgänger, die in die warmen Stuben dieser Republik geschaut haben. mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu China / Menschenrechte / Prozesse Osnabrück (ots) - Die falsche Lehre der Kommunisten Weil im Gerichtssaal kein Platz für sie war, mussten deutsche Diplomaten draußen bleiben. Da waren sie in guter Gesellschaft. Denn auch Anstand, Würde, Gerechtigkeit blieben ausgesperrt vom Verfahren gegen Chinas prominentesten Diktatur-Kritiker Liu Xiaobo. Schande darüber und über die lächerliche Anklage gegen Liu wegen Untergrabung der Staatsgewalt! Eine gewisse Logik steckt allerdings darin. Lassen sich Chinas kommunistische Machthaber doch davon leiten, was sie für die Lehre mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Bundespräsident / Weihnachtsansprache Osnabrück (ots) - Notwendige Mahnung Viele Formulierungen aus der Weihnachtsansprache von Horst Köhler klingen wohlvertraut. Die Ermahnungen des Bundespräsidenten zu einem verantwortungsvollen Leben wiederholen sich, ebenso seine Kritik an der Maßlosigkeit bei Finanzakteuren und die guten Wünsche an die Soldaten in Afghanistan. Zugegeben: Das rüttelt kaum auf. Und doch verlangt der Bundespräsident ein Verhalten, das nur auf den ersten Blick als selbstverständlich erscheint: Erneut mahnt Köhler die Deutschen, achtsamer zu leben, mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht