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Berliner Morgenpost: Von Unterschieden kann man nur lernen - Leitartikel

Geschrieben am 29-10-2009

Berlin (ots) - Es gibt kein Vorurteil, das sich nicht durch
wissenschaftliche Studien untermauern ließe. Das weiß jeder, der sich
durch die Flut der Expertisen zahlloser Institute und Verbände wühlt,
die über die Medien heutzutage Verbreitung finden. Und so wird
mancher Mitbürger in den nun schon gar nicht mehr so neuen
Bundesländern die Augenbrauen hochziehen, wenn er in dieser Zeitung
von einer "tiefenpsychologischen Studie über die Menschen zwischen
Chemnitz und Rostock" liest.
Aber die Studie wird auch den der vielen Ost-Klischees müden Leser im
deutschen Osten angenehm überraschen. Auf einen Punkt gebracht,
ergibt sie, dass die Mentalitäten und Prägungen der Menschen auf dem
Territorium der ehemaligen DDR genauso vielfarbig daherkommen wie
überall auf der Welt. Nur sind die Farben teilweise andere, weil
diktatorische Systeme eben Spuren bei den Menschen hinterlassen - im
Guten wie im Schlechten. Und das ist eine generationenübergreifende
Erscheinungsform - wie bei vielen schlechten Erfahrungen von anderen
großen Bevölkerungsgruppen oder Ethnien auch.
Die Studie des west(!)deutschen Rheingold-Instituts im Auftrag der
ost(!)deutschen Zeitschrift "Super-Illu" lenkt das Interesse auf das
Typische am Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen, und das in
all seiner jeweiligen Verschiedenheit. So ist der Typus des
"trotzenden Stehaufmännchens" ebenso wie der des "genügsamen
Durchwurschtlers" mit jeweils 20 Prozent der größte Einzelposten. Das
dürften Mentalitätsprofile sein, die es auch im Westen mit ähnlicher
Häufigkeitsverteilung gibt. Nur sind die Gründe dafür, so geworden zu
sein, eben völlig unterschiedliche, und deshalb auch in der
Konsequenz für das Verhalten der Menschen anders. Beispiel: Trotz und
Widerständigkeit haben unter der Knute der SED-Diktatur oft in Formen
des Rückzugs in die Innerlichkeit, in die Familie oder andere
Schutzräume des Vertrauens Ausdruck gefunden. Das Naturell
widerständiger Charaktere in einer offenen Gesellschaft sucht und
findet seine Ausdrucksformen eben viel leichter im extrovertierten
Sich-selbst-zur-Schau-Stellen und im Erleben von Öffentlichkeit als
Resonanzkörper und -verstärker. Beides prägt Umgangsformen, Sprache,
Selbsterleben und vieles mehr in sehr unterschiedlicher Art und
Weise. Es lässt die Menschen anders erscheinen, weil sie anders
geworden sind. Obwohl die Ausgangspunkte in beiden Fällen bei den
entsprechenden Charakteren vielleicht sehr nahe beieinanderlagen. Und
ob zwei so gewordene - der eine dort, der andere da - sich
gegenseitig erkennen und verstehen können als Brüder im Geiste ihrer
Widerständigkeit, ist höchst ungewiss.
Deshalb fällt es eben bis heute vielen Ost- und Westdeutschen nicht
leicht, einander unmittelbar zu verstehen, auch wenn die Grundmuster
ähnlich sein mögen - die Bezugspunkte der jeweiligen Erfahrung sind
es eben nicht.
Dieser Erfahrungsschatz der Unterschiedlichkeit ist noch lange nicht
gehoben - den Wert dieser Ungleichheit sollten wir schätzen lernen.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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