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Schwarz-gelbe Energie- und Klimapolitik: Die Rechnung geht nicht auf

Geschrieben am 29-10-2009

Berlin (ots) -

- Querverweis: Ein Dokument liegt in der digitalen
Pressemappe zum Download vor und ist unter
http://www.presseportal.de/dokumente abrufbar -

Deutsche Umwelthilfe analysiert fundamentale Widersprüche der
schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung - Längere Reaktorlaufzeiten
verhindern Eintritt ins "Zeitalter regenerativer Energien" -
zusätzliche Kohlekraftwerke machen versprochene Treibhausgasminderung
um 80 Prozent zur Illusion - Fortsetzung der Atomenergienutzung
sichert Marktdominanz der vier großen Energiekonzerne -
DUH-Geschäftsführer Rainer Baake: Umweltminister Dr. Norbert Röttgen
muss "Wünsch-Dir-Was-Katalog" in konsistente Energie- und
Klimaschutzstrategie verwandeln

Tiefgreifende Konflikte zwischen Umwelt- und Energiepolitikern der
neuen Regierungskoalition machen das im schwarz-gelben
Koalitionsvertrag vereinbarte Energie- und Klimaschutzprogramm
orientierungslos und in sich widersprüchlich. "Der neue
Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen (CDU) steht gleich zu Beginn
seiner Amtszeit vor einer Herkulesaufgabe, wenn er aus dem
Wünsch-Dir-was-Katalog der Koalitionäre im Nachhinein eine
konsistente Energie- und Klimaschutzstrategie machen will", sagte der
Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), Rainer
Baake.
In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und FDP einerseits
verlängerte Laufzeiten für Atomkraftwerke angekündigt, andererseits
den Eintritt in das "regenerative Zeitalter"versprochen, einerseits
ein Treibhausgas-Minderungsziel von "mindestens 80 Prozent" bis 2050
gesetzt, andererseits beschlossen, den weiteren Zubau von
Kohlekraftwerken zuzulassen. Darüber hinaus sollen die
"wettbewerblichen Strukturen auf den Energiemärkten" verbessert
werden. "Wer derart widersprüchliche Ziele formuliert, versucht sich
an der Quadratur des Kreises und wird scheitern. Die Rechnung geht
nicht auf", sagte Baake. Die von der schwarz-gelben
Regierungskoalition versprochene "Energiepolitik aus einem Guss"
bleibe "solange eine Illusion, wie Röttgen nicht zentrale Aussagen
des Koalitionsprogramms in Frage stellt." Dazu gehöre zuallererst die
Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken.

Im Einzelnen sieht die DUH drei zentrale Widersprüche in den
energie- und klimaschutzpolitischen Aussagen des Koalitionsvertrages:

-Das begrüßenswerte Ziel, die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 "um
mindestens 80 Prozent" zu mindern, steht in einem unauflösbaren
Widerspruch zur gleichzeitig erklärten Absicht, "auch weiterhin den
Bau von hocheffizienten Kohlekraftwerken (zu) ermöglichen".

-Die richtige Absicht, die erneuerbaren Energien weiter auf Basis
des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) auszubauen und den
unbegrenzten Einspeisevorrang zu erhalten, verträgt sich nicht mit
einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken; mit zunehmendem
Ausbau der Stromerzeugung aus Wind und Sonne entstehen wachsende
Systemkonflikte.
-Schließlich untergräbt die Koalition ihre Ankündigung von mehr
Wettbewerb auf den Energiemärkten, indem sie den vier
marktbeherrschenden Stromkonzernen mit verlängerten Laufzeiten der
Atomkraftwerke zweistellige Milliardengeschenke macht und so deren
Übermacht zulasten neuer Marktteilnehmer zementiert.

Zum ersten Punkt:
Nach inzwischen gefestigter Überzeugung führender Klimaforscher
müssen die Industriestaaten bis 2050 ihre Treibhausgas-Emissionen
zwischen 80 und 95 Prozent mindern, wenn es noch eine Chance geben
soll, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf zwei Grad Celsius
zu begrenzen. Die neue Bundesregierung bestätigt das Ziel
ausdrücklich. "Übersetzt in das reale Leben bedeutet das, dass es mit
dem Drehen an Stellschrauben nicht mehr getan ist. Wir brauchen die
vollständige Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien
binnen vier Jahrzehnten, also nicht mehr und nicht weniger als einen
tiefgreifenden Technologie- und Strukturwechsel", sagte Baake.
Stattdessen plane die Bundesregierung die Errichtung zusätzlicher
Kohlekraftwerke und stelle die Gesellschaft schon in wenigen Jahren
vor die Alternative, entweder das Klimaziel aufzugeben oder
Milliarden an investiertem Kapital zu vernichten.

Auch die Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid (CCS) sei keine
Lösung, jedenfalls nicht für die bei der Kohleverbrennung zur
Stromproduktion Jahr für Jahr entstehenden immensen CO2-Frachten. Die
in Deutschland voraussichtlich vorhandenen geologischen
Lagerkapazitäten seien beschränkt und könnten nur einmal gefüllt
werden. Falls sich eine Speicherung in Zukunft als verantwortbar
erweise, sollten Kavernen zur Speicherung so genannter
"prozessbedingter Emissionen" aus der Industrie reserviert werden,
die aus physikalischen Gründen nur um den Preis der Aufgabe einer
eigenen Stahl-, Zement- und Chemieindustrie vermieden werden können.
Von den prozessbedingten Emissionen fallen derzeit pro Jahr etwa 80
Millionen Tonnen an, etwa ein zehntel der nationalen
Gesamtemissionen.

Zum zweiten Punkt:
Die DUH begrüßt ausdrücklich die Absicht der neuen Bundesregierung,
den Ausbau der erneuerbaren Energien fortzuführen und den
unbegrenzten Einspeisevorrang zu erhalten. Nach jüngsten
Untersuchungen des Bundesumweltministeriums in der so genannten
"Leitstudie 2009" zum künftigen Ausbau der erneuerbaren Energien wird
deren Anteil an der Stromerzeugung schon in zehn Jahren bei 36
Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie derzeit liegen. Damit
die naturgemäß schwankenden Stromeinspeisungen vor allem aus
Windstrom ausgeglichen werden können, bedarf es im übrigen
Kraftwerkspark wachsender Kapazitäten flexibler Kraftwerke, die immer
dann schnell einspringen können, wenn wenig Wind weht.
"Atomkraftwerke können genau das aus Sicherheitsgründen nicht,
Kohlekraftwerksblöcke rechnen sich nicht mehr, wenn sie nicht fast
das ganze Jahr über Strom produzieren.

Seit einem Jahr kommt es an der Leipziger Strombörse immer
häufiger zu negativen Strompreisen, weil bei kräftigem Wind und eher
geringem Strombedarf die Betreiber großer, unflexibler Kraftwerke auf
Basis von Kohle und Uran lieber dafür bezahlen, dass ihnen jemand
ihren überschüssigen Strom abnimmt, als ihre Anlagen
herunterzufahren. "Die Koalition, die es mit ihrem energiepolitischen
Programm allen, außer den Atomkraftgegnern, recht machen will, hat
für diesen Systemkonflikt keine Lösung", erläuterte Baake. Sie
verschärfe ihn mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke sogar.
Wachsende Anteile erneuerbarer Energien und Atomkraft passen vom
System her nicht zusammen. Baake: "Negative Strompreise an der Börse
werden unter diesen Umständen jedes Jahr mehr zum ständigen Begleiter
der Konzerne - niemand sollte erwarten, dass E.ON und Co freiwillig
und immer mehr dafür bezahlen, dass sie ihren Überschussstrom los
werden." Viel wahrscheinlicher sei es, dass die Konzerne in einer
solchen Situation den Kampf gegen den weiteren Ausbau der
erneuerbaren Energien in Deutschland offen oder verdeckt in alter
Härte wieder aufnehmen. Zwar sei die Absicht der Koalition zu
begrüßen, intelligente Netze, Stromspeicher und virtuelle Kraftwerke
zu fördern. Diese seien dringend erforderlich. Doch würden diese
Maßnahmen nicht rechtzeitig im notwendigen Umfang zur Verfügung
stehen, um den beschriebenen Systemkonflikt zwischen dem verlängerten
Weiterbetrieb der Atomkraftwerke und dem Ausbau der Erneuerbaren zu
lösen.

Zum dritten Punkt:
Die derzeit 17 Atomkraftwerke befinden sich fast vollständig im
Besitz der vier Energiekonzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, die
mehr als 80 Prozent des konventionellen Stroms produzieren. Diese
Marktdominanz beklagen seit vielen Jahren Politiker jeglicher
Couleur. Die Kartellbehörden der EU und des Bundes haben den
Konzernen in den vergangenen Jahren immer wieder in verschiedenen
Verfahren den Missbrauch ihrer Marktmacht vorgeworfen (etwa das
Bundeskartellamt, das auf Basis von Unterlagen aus Durchsuchungen von
Firmensitzen RWE und E.ON die Bildung eines "wettbewerblosen Duopols"
vorwarfen).

Mit der geplanten Laufzeitverlängerung würde die Koalition
ausgerechnet diesen Konzernen ein Geschenk in hoher zweistelliger
Milliardenhöhe machen und die bereits heute allseits beklagten
Strukturen zulasten des Wettbewerbs zementieren. "Der Effekt ist ein
doppelter", erläuterte Baake. Zum einen päppele die Bundesregierung
mit dem Programm die großen Vier finanziell gegenüber der
unterlegenen Konkurrenz. Zum andern bleibe der im Atomausstiegsgesetz
fixierte stufenweise Wegfall von etwa einem Viertel der nationalen
Stromerzeugungskapazität aus. "Das Fenster der Gelegenheit, durch das
neue Marktakteure in den deutschen Erzeugungsmarkt einsteigen
sollten, soll damit bereits wieder fest verschlossen werden, bevor es
sich geöffnet hat". Aus diesem Grund habe sich auch das
Bundeskartellamt kürzlich sehr entschieden gegen verlängerte
Laufzeiten ausgesprochen. Die in der Koalitionsvereinbarung
angekündigten Maßnahmen zur Verbesserung wettbewerblicher Strukturen
wirkten vor diesem Hintergrund geradezu rührend.

Erstes Opfer der dauerhaften Verfestigung der Marktdominanz der
vier Atomkonzerne könnten nach Überzeugung der DUH die
Ausbauplanungen von Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee sein - und
damit die Hoffnungen der Küstenländer auf einen Wirtschaftsboom in
strukturschwachen Regionen. Viele genehmigte Projekte wurden
inzwischen von den vier Konzernen aufgekauft. Es bestehe die große
Gefahr, dass die Aussicht auf Laufzeitverlängerungen dazu führt, dass
die Konzerne die Offshore-Windparks auf Eis legen.
Baake forderte den neuen Bundesumweltminister auf, "in der Koalition
eine Diskussion darüber zu entfachen, ob Laufzeitverlängerungen
angesichts der bereits jetzt erkennbaren Blockade anderer Ziele der
Koalition der richtige Weg sind". In jedem Fall müsse die
Bundesregierung Investitionen im Offshore-Windsektor über
Bürgschaftsprogramme oder andere geeignete Maßnahmen auch für
mittelständische Unternehmen möglich machen.

Anlage:
Grafik 1: Warum zusätzliche Kohlekraftwerke und Klimaziele der
Bundesregierung nicht zusammen passen.

Grafik 2/3: Warum längere Laufzeiten von Atomkraftwerken und der
Ausbau erneuerbarer Energien zu einem Systemkonflikt führen

Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/22521
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_22521.rss2

Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178
Berlin; Mobil: 0151 550169 43, Tel.: 030 2400867-0, Fax: 030
2400867-19, E-Mail: baake@duh.de

Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin, Mobil: 0171 5660577, Tel.: 030 2400867-0, Fax: 030
2400867-19, E-Mail: rosenkranz@duh.de


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