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Der Tagesspiegel: Generalsekretär des Zentralrats der Juden bedauert Hitler-Vergleich im Zusammenhang mit Sarrazin

Geschrieben am 12-10-2009

Berlin (ots) - Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Stephan Kramer, hat seinen Hitler-Vergleich im
Zusammenhang mit der Ausländerkritik des früheren Berliner
Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) bedauert. "Ich wollte Sarrazin
nicht unterstellen, wie Hitler und Goebbels zu sein - das ist
überzogen -, wohl aber, die Sprache und Gedanken der heutigen
Neonazis zu verwenden", schreibt Kramer in einem Beitrag für den in
Berlin erscheinenden Tagesspiegel (Dienstagsausgabe). Nazivergleiche
seien immer problematisch, daher müsse er sich jetzt selbst
kritisieren. Weiter schreibt Kramer: "Die Parallele war auch der
Sache selbst nicht dienlich, droht doch der Wirbel um den Vergleich
Sarrazin im Kampf um seinen schmählich verlorenen Ruf zu helfen. Das
wäre erst recht bedauerlich." Er bleibe bei seiner Einschätzung, dass
Sarrazins Äußerungen rassistisch seien und auf niedrigste Instinkte
zielten. Thilo Sarrazin hatte sich kritisch zu in Berlin lebende
Türken und Araber geäußert und damit für große Empörung gesorgt.

Den vollständigen Text, der am Dienstag im Tagesspiegel erscheint,
finden Sie im Folgenden:

"Fehler sollte man eingestehen. Als ich Thilo Sarrazin wegen
seiner migrantenfeindlichen Äußerungen der geistigen Nähe zum
Nationalsozialismus zieh, beging ich einen doppelten Fehler. Erstens,
weil Nazivergleiche problematisch sind. Ich selbst habe sie immer
kritisiert. Kritik muss dann aber auch zu Selbstkritik führen. Ich
wollte Sarrazin nicht unterstellen, wie Hitler und Goebbels zu sein -
das ist überzogen -, wohl aber, die Sprache und Gedanken der heutigen
Neonazis zu verwenden.
Die Parallele war auch der Sache selbst nicht dienlich, droht doch
der Wirbel um den Vergleich Sarrazin im Kampf um seinen schmählich
verlorenen Ruf zu helfen. Das wäre erst recht bedauerlich. Deshalb
möchte ich meine Kernaussage wiederholen: Sarrazins Äußerungen sind
rassistisch und zielen auf niedrigste Instinkte. Sie verraten ein
Weltbild, das mit der biblischen Botschaft, Gott habe alle Menschen
nach seinem Ebenbild geschaffen, unvereinbar ist. Und man muss nicht
fromm sein, um dieses Prinzip als die Grundlage jeglichen
menschlichen Miteinanders anzuerkennen. Das aber tut Sarrazin nicht,
denn nur als Rassist kann man "Türken und Araber" verächtlich in den
Berliner Gemüsehandel verweisen. Und wie viel Menschenhass muss
jemand wie Sarrazin empfinden, der ganze Menschengruppen als
Unterschicht definiert und ihr Recht auf Fortpflanzung infrage
stellt? Der Arbeitslose wie Alleinerziehende, Türken wie Araber in
einen Topf wirft und stigmatisiert?
Der Ton, so die bekannte Redensart, macht die Musik. Auch bei Thilo
Sarrazin lohnt es sich, in den Ton hineinzuhören, um zu begreifen,
welche Register er zieht. Ihn stören die "kopftuchtragenden Mädchen"
aus moslemischen Familien. Vor genau 130 Jahren schrieb Heinrich von
Treitschke, wütiger deutscher Antisemit des 19. Jahrhunderts: "Über
unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen
polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge
herein." Gemeint waren Juden. Ob "kopftuchtragende Mädchen" oder
"hosenverkaufende Jünglinge": Die Melodie ist auf erschreckende Weise
gleich. Von demselben Treitschke stammte übrigens der später vom
"Stürmer" zum Motto erhobene Spruch: "Die Juden sind unser Unglück."
Da hilft auch Sarrazins plumpe Anbiederung nicht, osteuropäische
Juden hätten einen um fünfzehn Punkte über dem Durchschnitt liegenden
Intelligenzquotienten. Die Integrationsprobleme, die die deutsche
Gesellschaft im frühen 21. Jahrhundert plagen, sind sozialen und
kulturellen Ursprungs, nicht aber genetisch bedingt. Eine genetische
Einteilung der Menschheit in Superkluge und Dumme, Nutzbringende und
Nutzlose, Oberschicht und Unterschicht - das ist Rassismus pur. Und
mit Rassismus wird Deutschland die Integrationsprobleme nicht etwa
lösen, sondern sie verschärfen. Am Ende droht sich die rassistische
Weissagung der Sarrazins selbst zu erfüllen. Auch deshalb sind die
deutsche Politik und Gesellschaft aufgefordert, dem Rassismus eine
klare Abfuhr zu erteilen. Wir brauchen keine menschenverachtenden
Stammtischparolen, sondern eine Debatte, die Probleme nicht nur
nennt, sondern auch deren Lösung sucht. Bessere Bildung ist ein Muss.
Gewiss, Integration ist nicht nur eine Bringschuld der Mehrheit,
sondern auch eine Holschuld der Minderheit. Toleranz hier,
Integrationswilligkeit dort: Nur auf dieser Grundlage kann eine
tragfähige Brücke für die Begegnung von Menschen aus
nicht-identischen Kulturkreisen entstehen."

Originaltext: Der Tagesspiegel
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/2790
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_2790.rss2

Pressekontakt:
Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622
cvd@tagesspiegel.de
 


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