(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: ,,Enorm viel Kapital auf den Meeren" -- Interview mit Dr. Cornelius Hammer, Leiter des Instituts für Ostseefischerei

Geschrieben am 25-09-2009

Lüneburg (ots) - Eine Woche tagten jetzt in Berlin Hunderte
Fischereiwissenschaftler vom Internationalen Rat zur Erforschung der
Meere (ICES). Neben Strategien gegen die Ausplünderung der Meere
entwickeln die Forscher Modelle, wie sich der Klimawandel auf die
Fischarten auswirkt. Versauert, überhitzt, schleppnetzrein gefischt
-- sieht so der Ozean der Zukunft aus? Wir fragten Dr. Cornelius
Hammer, Leiter des Institutes für Ostseefischerei.

Mehr als 80 Prozent der Fischbestände in Europa sind überfischt.
Bricht der Klimawandel bedrohten Arten jetzt endgültig das Genick?
Dr. Cornelius Hammer: Das kann man in dieser Einfachheit so nicht
sagen. "Überfischt" heißt bei manchen Arten nur, dass sie über ihr
maximales Potenzial befischt werden. Sie könnten mehr Biomasse
liefern, wenn man sie schonender bewirtschaften würde. Zwar sind noch
genügend Fische zur Reproduktion da, aber die Art wird zu intensiv
genutzt, sodass der Ertrag nicht optimal ist. Allerdings gibt es
natürlich auch Bestände, die so massiv überfischt sind, dass man sich
Sorgen machen muss. Zudem beeinflusst der Klimawandel die
Fischbestände -- manche positiv, manche negativ. So fragen wir uns,
ob der Kabeljau in 20 bis 50 Jahren noch in der Nordsee vorhanden
sein wird, wenn sich die Erwärmung fortsetzt. Derzeit wandert er
Richtung Norden in kältere Gefilde. In der Ostsee sehen wir andere
Effekte: Die Sprotte als wärmeliebender Fisch dehnt ihr
Verbreitungsgebiet aus -- und die Bestände des sie jagenden Dorsches
haben sich erholt.

Wie reagiert das Plankton als Fundament der Nahrungsketten auf die
Versauerung und Erwärmung?
Dr. Hammer: Die Versauerung ist potenziell verheerend: Der Ozean
fungiert als Puffer für das CO2 in der Atmospäre. Das im Wasser
gelöste CO2 bildet Kohlensäure. Diese lässt die Kalkschalen von
Muscheln, Korallen und anderen Tieren dünner werden, es kommt zu
Reproduktionsschwierigkeiten. Das wird dramatische Folgen für die
Ökosysteme der Meere haben, die, wenn wir so weitermachen, auch nicht
mehr zu stoppen sind. Selbst wenn wir ab morgen keinerlei CO2 mehr in
die Atmosphäre blasen würden, käme es zu keiner schnellen Besserung.
Das Kohlendioxid, das über Jahrhunderte im Meerwasser gespeichert
wurde, würde wieder in die Atmosphäre entlassen werden. Der Ozean
fungiert zwar als Puffer -- aber in beide Richtungen. Das heißt, dass
der menschgemachte Treibhauseffekt noch sehr lange wirken wird,
selbst wenn wir radikal unser Verhalten ändern. Aber noch ist es
nicht zu spät, etwas zu unternehmen.

Verliert der wärmer werdende Ozean sein Potenzial als Puffer für
CO2 ?
Dr. Hammer: Ja, die Pufferungsfähigkeit wird abnehmen, aber das erst
zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Mensch längst von allen
Industriegesellschaften verabschiedet hat. Dann wird es aber auf der
Erde so warm sein, dass uns das nicht mehr berühren wird.

Trotz Überfischung steigt der Hunger auf Fisch. Muss der Mensch
vom Fischer zum Aquafarmer werden?
Dr. Hammer: Im Prinzip ja, nur leider wirft dieser Schritt große
Probleme auf. Erstens fehlt es zumindest in Deutschland und Europa an
den Küsten an Platz, um Aquakulturen zu betreiben. Zweitens
beeinträchtigt solche Nutzung den Küstenschutz. Das Abholzen von
Mangrovenwäldern in Südostasien für Fischfarmen wandelt die dortigen
Ökosysteme radikal und raubt der Küste Schutz vor Stürmen. Drittens
produzieren Aquafarmen schädliche Schlämme. Medikamente, die bei der
Aufzucht eingesetzt werden, gelangen ins Meer. Aber das größte
Problem ist das Futter. Die wenigsten Aquafarm-Fische fressen
Pflanzen, die meisten brauchen tierische Nahrung. Um dieses Fischmehl
produzieren zu können, müssen wieder Fische gefangen werden -- und
hier sind wir bereits an der Grenze des Machbaren angelangt. Zwar
werden sich die Aquakulturen weiterentwickeln, so wird es etwa
gigantische Käfige geben, die mit den Meeresströmungen driften, aber
die Menge des verfügbaren Futters setzt die Grenze.

Die EU will weg von Fangquoten und Netzgrößen, lieber die Zahl der
Fangtage auf See vorschreiben. Verbessert das die Lage?
Dr. Hammer: Ja, die neue Fischereipolitik, die die EU anstrebt, ist
schon ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist eine
radikale Abkehr von den alten Managementprinzipien, weil die EU
erkannt hat, dass die Politik der Gesamtfangmengen und Quotenvorgaben
nicht funktioniert. Die kann auch nicht funktionieren, unter anderem
bedarf sie eines gewaltigen Kontrollaufwandes. Solange man Fangquoten
festlegt, aber die Zahl der Schiffe nicht begrenzt, schwimmt enorm
viel Kapital auf den Meeren. Die Kapitaleigner machen letztlich
solange Druck, bis die Politik einknickt und die Fangmengen erhöht.
So lief es in den vergangenen Jahren. Von diesem Weg in die
Überfischung will die EU weg -- und das ist richtig so. Das Ziel der
EU ist, das viel zu komplizierte Regelwerk über Bord zu kippen und im
Endeffekt nur noch das Ergebnis zu kontrollieren. Etwa so, wie man im
Straßenverkehr auch nicht vorschreibt, was ein Autofahrer im
Einzelnen zu tun hat, sondern das Ergebnis vorschreibt, nämlich eine
bestimmte Geschwindigkeit nicht zu überschreiten, wie er das
anstellt, ist ihm überlassen. Einerseits wird der Fischerei damit
mehr Freiheit gelassen, andererseits wird sie mit in die
Verantwortung genommen, indem sie nachweisen muss, dass sie die
Vorgaben erfüllt. Zudem sollen die Regeln regionalisiert werden,
angepasst an die jeweiligen Bedingungen vor Ort. Bisher galten die
Regeln für große Gebiete und waren für viele Bereiche nicht unbedingt
sinnvoll. So wurden viele Fischer gegen die EU aufgebracht, denn sie
konnten den Sinn für sich persönlich nicht verstehen. Desweiteren
will die EU Umweltbelange mit in die Fischerei aufnehmen. Die Menge
des Beifangs, unerwünschte Beute im Netz, die bisher tot über Bord
gekippt wurde, soll reduziert werden. Bisher wurden etwa für 1 Kilo
Seezunge sechs Kilo Beifang zurück ins Meer gekippt. Schonende
Fanggeschirre kommen jetzt schon verstärkt zum Einsatz. Insgesamt ist
dieser Kurswechsel sehr sinnvoll.

Eigentlich müssten die Fischer selbst das größte Interesse an
einer nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Lebensgrundlage haben. Wie
fallen bisher die Reaktionen aus?
Dr. Hammer: Zwiespältig. Was die prinzipiellen Ziele der EU angeht,
gehen die Fischer konform. Sie wollen selbst nicht länger Tonnen
toten Fisches über Bord werfen. Sie wollen selbst eine schonende
Nutzung der Ressourcen, weil sie als Erste darunter leiden, wenn die
Bestände in die Knie gehen. Gleichzeitig gehen sie aber auf die
Barrikaden, wenn ihnen zum Schutz der Bestände Fangmöglichkeiten
eingeschränkt werden sollen. Ihr kurzfristiges Ziel ist das
wirtschaftliche Überleben. Und sie befürchten, dass ihnen dies
angesichts der langfristigen, ökologischen Ziele verwehrt wird.

Wäre es denkbar, Fischern bestimmte Zonen im Meer exklusiv
zuzuweisen, für deren nachhaltige Bewirtschaftung sie dann aber auch
verantwortlich sind?
Dr. Hammer: Das ist eine nette Idee, im Grunde die Regionalisierung
konsequent zu Ende gedacht. Im Prinzip wäre es machbar, scheitert
derzeit aber daran, dass im Rahmen der gemeinsamen
EU-Fischereipolitik die nationalen Flotten auch in anderen
Hoheitsgebieten aktiv sein dürfen. Die Umsetzung der Idee wäre eine
zweischneidige Sache: Einerseits bestünde die Gefahr einer
Monopolisierung, weil hinter den Fangflotten meist Konzerne stehen.
Andererseits könnte eine Privatisierung einer langfristig
profitabelsten, also nachhaltigen Nutzung den Weg ebnen.

Künftig sollen die Fischer selbst beweispflichtig sein, dass sie
die Vorgaben eingehalten haben. Wie soll das kontrolliert werden?
Dr. Hammer: Das weiß noch niemand genau. Wir erarbeiten gerade mit
Dänen und Schotten ein Projekt, das Wege aufzeigen soll. Dabei soll
eine ausgewählte Fischfangflotte verpflichtet werden, keinen Beifang
mehr über Bord zu werfen. Gelingt ihnen das nachweislich, soll ihre
Fangquote erhöht werden, weil sie eine große Menge Fisch, die sie
sonst nutzlos getötet hätten, verschont haben, sie sollen also einen
Teil von dieser Menge als Zusatzquote bekommen. In einer Pilotstudie
haben die Dänen 2008 mit Kameras an Bord gearbeitet, die
dokumentierten, wie viel aus dem Meer gezogen, wie viel sortiert und
wie viel über Bord geworfen wurde. Das lief sehr gut. Um ihre Arbeit
lückenlos zu dokumentieren, haben die Fischer dann bei Nebel die
beschlagenen Kameralinsen geputzt. Die Zusatzquote ist Anreiz genug
für nachhaltiges Verhalten. Möglich wäre auch, dass Beobachter an
Bord gehen. Statt einer Kontrolle von außen über ein
Küstenschutzschiff, das längsseits geht und stichpunktartig den Fang
überprüft, wäre die Kontrolle in den Arbeitsprozess integriert.

Wären Zonen vollständiger Fangverbote nicht sinnvoller?
Dr. Hammer: Zwar können Schutzgebiete sinnvoll sein, aber sie müssten
sehr groß sein, um wirklich Wirkung erzielen zu können. Denken Sie an
wandernde Fischarten wie Hering und Dorsch! Wie groß muss ein
Schutzgebiet für solche Fischarten sein? Die Gefahr bliebe, dass die
Bestände in den an das Schutzgebiet angrenzenden Zonen umso stärker
befischt würden. Diskutiert wird in einigen Meeresgebieten, aber
durchaus nicht in allen, die Bodenfauna stärker zu schützen vor den
Veränderungen durch Schleppnetze.

US-Wissenschaftler sagten den Zusammenbruch der Fischerei für das
Jahr 2048 voraus. Wird der Lebensraum vernichtet, bevor er verstanden
wird?
Dr. Hammer: Die Modellrechnung der Kollegen beruht auf einigen
unrealistischen Annahmen. Kollegen von mir haben gezeigt, dass, wenn
man heutige Arbeitslosenzahlen mit derselben Methodik in die Zukunft
fortschreibt, sich ergibt, dass 2056 eine hundertprozentige
Arbeitslosigkeit vorliegen würde. Die Studie berücksichtigt nicht,
dass sich Fischbestände bei entsprechenden Schutzmaßnahmen auch
wieder erholen. So hat sich die Scholle in der Nordsee wieder aus dem
Keller herausgearbeitet. Die Dorschbestände in der zentralen Ostsee
wachsen so kräftig, dass die Fangquoten jedes Jahr um 15 Prozent
erhöht werden können. Die wichtigen Heringsbestände vor Norwegen
haben sich nach deren Zusammenbruch vor über 25 Jahren auf einen
historischen Höchststand erholt. Fischbestände sind sehr dynamisch.
Sie können schnell auf ein Niveau sinken, bei dem der Kollaps droht,
und sich ähnlich schnell wieder erholen. Das muss aber nicht so sein.
Wenn Bestände bis zum Bestandszusammenbruch heruntergefischt werden,
wie der Kabeljau vor Neufundland, kann es sein, dass es Jahrzehnte
dauert, bis sie sich erholen, wenn überhaupt.
Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

227230

weitere Artikel:
  • Ilja Seifert: Tiefensee ignoriert Regierungsbeschlüsse zur Barrierefreiheit Berlin (ots) - "Bundesbau- und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) scheint sich für die Schaffung von Barrierefreiheit nicht zu interessieren, obwohl ihn die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) sowie Bundesgesetze dazu zwingend verpflichten", sagt Ilja Seifert mit Blick auf den Welttourismustag am 27. September. Der behinderten- und tourismuspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE erklärt weiter: "Der Welttourismustag ist in diesem Jahr auch Wahltag. Und wenn ein Bundesminister hunderte Millionen Euro für Bauinvestitionen mehr...

  • Steinbach: Die Freiheit der Gedanken braucht ein Zuhause Berlin (ots) - Anlässlich der Aufnahme der iranischen Autorin Pegah Ahmadi in der "Stadt der Zuflucht" Frankfurt erklärt die Sprecherin für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erika Steinbach MdB: Mit der Vergabe des zweijährigen Stipendiums des Projektes "Stadt der Zuflucht" an die iranische Autorin Pegah Ahmadi erhält eine großartige junge Dichterin, Literaturkritikerin und Übersetzerin das notwendige freiheitliche Fundament für ihre schöpferische Arbeit. Die Freiheit ihrer Gedanken findet in der Stadt mehr...

  • Unternehmer Axel Bree und Diether Dehm (Die Linke) am Montag bei "Was erlauben Strunz" / N24-Talk am Montag, 28.09.2009, um 23:30 Uhr Berlin (ots) - Katzenjammer oder Aufbruchstimmung? Mit bis zu 35.000 Firmenpleiten wird in diesem Jahr gerechnet. Das ist ein Plus um 15 Prozent. Kann die neue Regierung den Trend stoppen? Claus Strunz fragt nach! Bei Familienunternehmer und Taschenproduzent Axel Bree und Diether Dehm, bekennender Marxist und Unternehmer von Die Linke. "Was erlauben Strunz" - immer montags, 23:30 Uhr auf N24. Die komplette Sendung im Internet auf N24.de unter: www.N24.de/waserlaubenstrunz Originaltext: N24 Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/13399 mehr...

  • Katrin Kunert: Bund muss Talfahrt der Kommunalfinanzen stoppen Berlin (ots) - "Die aktuelle Finanzlage der Kommunen zeigt nicht nur die Dramatik der Situation. Sie verdeutlicht zugleich, dass die Kommunen die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht aus eigener Kraft bewältigen können", so Katrin Kunert zu den jetzt veröffentlichten Zahlen des statistischen Bundesamtes. Die kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE weiter: "Wie viel Indizien müssen noch auf den Tisch, damit der Bund die Hilferufe aus den Städten und Gemeinden ernst nimmt? Es ist Zeit zu Handeln und zwar jetzt. Die Talfahrt mehr...

  • Herbert Schui: Schlecker organisiert Ausbeutung XL Berlin (ots) - "Schlecker organisiert die Entrechtung der eigenen Beschäftigten. Es handelt sich faktisch um einen verschleierten Betriebsübergang. Hinter Schlecker XL verbirgt sich Ausbeutung XL", kommentiert Herbert Schui die Gründung von Schlecker XL anlässlich der heutigen Sitzung des Gesamtbetriebsrats und fordert die Bundesregierung auf, die Aushebelung des Kündigungsschutzes unmöglich zu machen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE weiter: "Schlecker nutzt die Gründung der Tochtergesellschaft Schlecker mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht