(Registrieren)

Hochwasserschutz: "Der alte Trott"

Geschrieben am 18-07-2006

Berlin/Lenzen (ots) - Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert 100
Tage nach dem Elbehochwasser Rückfall in alte Verhaltensmuster -
Länder setzen weiter einseitig auf Deicherhöhung, statt den Flüssen
mehr Raum zu geben - Bund verzichtet im Zuge der Föderalismusreform
auf eigene Kompetenzen und schiebt Restverantwortung nach Brüssel -
DUH plädiert für "Gesamtkonzept nachhaltiger Hochwasserschutz" an der
Elbe und fordert dafür die Einrichtung einer "ständigen
internationalen Hochwasserkonferenz".

18. Juli 2006: Hundert Tage nach der dramatischen Elbeflut im
Frühjahr ist ein Umdenken beim Hochwasserschutz in Deutschland und
Europa nicht zu erkennen. Die soeben verabschiedete
Föderalismusreform führt tendenziell zu einer noch stärkeren
Zersplitterung der Kompetenzen, die Länder setzen weiter einseitig
und untereinander unabgestimmt auf Deicherhöhung oder sinnlosen
Aktionismus zu Lasten der Natur, der Bund verliert erkennbar das
Interesse und verschiebt seine Restverantwortung Richtung EU, wo die
ständig wachsende Hochwassergefährdung vieler Städte und Landstriche
auf die lange Bank geschoben wird. So lautet die Zwischenbilanz der
Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) hundert Tage, nachdem die Elbeflut
im niedersächsischen Hitzacker ihren Scheitelpunkt erreichte.

"Nicht zum ersten Mal erleben wir nach einer verheerenden
Flutwelle binnen weniger Wochen den Rückfall in den alten Trott",
sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch am Dienstag in Lenzen an
der Elbe, wo mit Unterstützung der DUH die Arbeiten für eine der
wenigen Deichrückverlegungen begonnen haben. Hundert Tage nachdem die
Bilder gefluteter Dörfer und ihrer verzweifelten Bewohner die Folgen
der Klimaerwärmung in jedes Wohnzimmer brachten, seien die
"Bekenntnisse der Politiker zu einem stärker vorsorgenden
Hochwasserschutz so restlos versickert wie das Wasser auf den Feldern
in der Sommerhitze", so Resch.

In seiner 100-Tage-Danach-Zwischenbilanz kritisierte der Leiter
Naturschutz der Deutschen Umwelthilfe, Frank Neuschulz, dass ein
Umdenken auf keiner der politisch verantwortlichen
Entscheidungsebenen erkennbar sei. Die EU schiebe eine lange geplante
Flutrichtlinie, die das Hochwasserrisiko in Europa abschätzen und in
Gefährdungskarten dokumentieren soll, immer weiter in die Zukunft.
Die Erarbeitung der Gefährdungsgebiete soll bis 2015 dauern und 2021
erstmals überprüft werden. Schon die EU-Aufforderung, Planungen für
ein verstärktes Hochwassermanagement vorzulegen, veranlasste die
Bundesländer zu höheren Zuwendungsforderungen an den Bund und einer
insgesamt skeptischen Haltung gegen die geplante Richtlinie.

Der Bund hat nach der unverändert verabschiedeten
Föderalismusreform beim Hochwasserschutz weiter Kompetenzen an die
Länder verloren. "Damit ist genau das Gegenteil dessen eingetreten,
was die ganz große Mehrheit der Naturschutz- aber auch der
Rechtsexperten nach den Erfahrungen der vergangenen
"Jahrhundertfluten" gefordert hatte, nämlich einen vorsorgenden
Hochwasserschutz, der sich an Flusseinzugsgebieten und nicht an
Ländergrenzen orientiert", sagte Cornelia Ziehm, die Rechtsexpertin
der DUH. Stromübergreifende Lösungen im Sinne eines vorsorgenden
Hochwasserschutzes seien nun noch schwieriger geworden.

Außerdem sei es gängige Praxis, dass das für die Vergabe von
Bundesmitteln zuständige Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) Zuweisungen ohne jede
inhaltliche Prüfung der Sinnhaftigkeit der jeweiligen Maßnahmen
bewillige. "Eine solche ungeprüfte Finanzierung verletzt eindeutig
die geltenden Zuwendungsbestimmungen und ist eigentlich ein Fall für
den Bundesrechnungshof", so Ziehm.
Neuschulz erläuterte an Hand zahlreicher Beispiele aus jüngster Zeit,
dass die Kleinstaaterei beim Hochwasserschutz unvermindert
weitergehe. "Trotz der dramatischen Erfahrungen an der Elbe
beschleunigen die Länder ohne ein Gesamtkonzept ausschließlich eine
Deicherhöhung auf alten Trassen, und hebeln dabei zunehmend sogar die
Ersatz- und Eingriffsregelungen zum Schutz der Natur aus", so der
Elbeexperte. Selbst für Maßnahmen, die im Ergebnis die
Überschwemmungsflächen verkleinern statt sie zu vergrößern, würden
Bundesmittel eingesetzt. Es ist zu befürchten, dass auch die
bevorstehende Fortschreibung des "Aktionsplanes Hochwasserschutz
Elbe" der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) nur
wenig neue Impulse bietet. 1998 wurden aus Fachkreisen noch 37.000
Hektar Überflutungsflächen vorgeschlagen, 2003 waren im ersten
Aktionsplan der IKSE noch 11.500 Hektar, in einem Entwurf der neuen
Fortschreibung vor dem letzten Hochwasser seien davon ganze 7.500 ha
übrig. "Die Pegel steigen mit jeder Flut und die geplanten
Retentionsflächen schrumpfen. Das verstehe wer will", sagte
Neuschulz.

In Niedersachsen werden mehr als 80 Prozent der dem Land 2006 zur
Verfügung stehenden Mittel für die Hochwasserschutzmauer in Hitzacker
bereitgehalten. Gleichzeitig will Umweltminister Sander (FDP) nach
DUH-Informationen den im vergangenen Jahr begonnenen
Weichholzkahlschlag an der Elbe unter der Devise "Kampf der
Verbuschung" massiv beschleunigen und die Bestände an mindestens 31
Elbabschnitten roden oder "auflichten". Die von renommierten
Flussexperten unter anderem der Universität Karlsruhe als fachlich
nicht haltbare Hochwasserschutz-Maßnahme würde damit die Weichholzaue
an der Elbe bis auf Restbestände vernichten.

"Die Föderalismusreform hat die Weichen im Hochwasserschutz völlig
falsch gestellt", sagte Jürgen Resch. Es helfe jedoch nicht, jetzt
"der vergebenen Chance hinterher zu jammern". Deshalb plädiere die
DUH weiter für ein "Gesamtkonzept nachhaltiger Hochwasserschutz" an
der Elbe zu dem die Organisation in Kooperation mit anderen
Umweltverbänden und Fachleuten im Herbst erste Eckpunkte vorlegen
wolle. Neuschulz: "Die Situation ist verfahren. Sie kann nur besser
werden, wenn Politik, Experten, Umweltverbände und die Nutzer der
Elbe und ihre Anrainer sich ohne Vorbedingungen zusammensetzen und
Vorschläge für einen nachhaltigen Hochwasserschutz ausarbeiten. Wir
plädieren dringend für die Einrichtung einer länderübergreifenden
ständigen internationalen Hochwasserkonferenz. Der IKSE kommt hier
sicher eine wichtige Funktion zu, aber auch über andere
Konstellationen kann natürlich nachgedacht werden".

Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=22521
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_22521.rss2

Für Rückfragen:
Dr. Frank Neuschulz, Leiter Naturschutz, Deutschen Umwelthilfe e.V.,
Gartenstr. 7, 29475 Gorleben, Mobil: 0160 8950556, Fax.: 05882 220,
neuschulz@duh.de

Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Verbraucherschutz und Recht, Deutsche
Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030
258986-0, Mobil: 0160 5337376, ziehm@duh.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

21846

weitere Artikel:
  • Katja Kipping: Alter Hut frisch aufpoliert Berlin (ots) - Morgen will Vizekanzler Müntefering dem Kabinett seinen Vorschlag für einen Kombilohn für ältere Arbeitnehmer vorstellen. Dazu erklärt die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping: "Initiative 50 plus" klingt auf den ersten Blick verlockend. Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass Müntefering damit nur einen alten Hut frisch aufpoliert. Entsprechende Lohnkostenmodelle sind bislang immer gescheitert, haben nicht zu mehr Beschäftigung sondern allenfalls zu Mitnahmeeffekten in Größenordnung geführt. "50 mehr...

  • Götz: Integrationspflicht gilt auch für den Arbeitsmarkt Berlin (ots) - Zur Diskussion über die Ausweitung der möglichen Rückführung ausländischer Sozialhilfeempfänger auf den Kreis der Arbeitslosengeld II-Empfänger erklärt der kommunalpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Götz MdB: Etwa jeder vierte Ausländer ist arbeitslos. Der politische Handlungsbedarf ist offensichtlich. Gerade im Sinne einer gelungenen Integration ist eine stärkere Eingliederung in den Arbeitsmarkt unumgänglich. Die von Experten aufgeworfene Forderung nach einer Fortschreibung des Zuwanderungsgesetzes mehr...

  • Rheinische Post: Ex-Botschafter Avi Primor für Joschka Fischer als "glaubwürdigen Vermittler" im Nahen Osten Düsseldorf (ots) - Der ehemalige Botschafter Israels, Avi Primor, hat sich für Joschka Fischer als Vermittler im Nahen Osten ausgesprochen. "Wenn es einen glaubwürdigen Vermittler gibt, dann ist es zunächst einmal und vor allem Joschka Fischer. Dem stimme ich leidenschaftlich zu", sagte Avi Primor der "Rheinischen Post" (Mittwochausgabe). Der frühere Botschafter schränkte allerdings ein: "Die Frage ist, ob die Zeit für eine Vermittlung überhaupt schon reif ist." Primor betonte auch, dass die Bundesregierung hinter Fischer stehen müsste. mehr...

  • Christian Zahn auf der Sitzung des Trägerausschusses der Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Bund in Lübeck Berlin (ots) - Im vergangenen Jahr hat sich die Finanzsituation der allgemeinen Rentenversicherung geringfügig besser dargestellt, als nach den Schätzungen zu erwarten war. Das Jahr 2005 haben wir mit einem Haushaltsdefizit in Höhe von rund vier Milliarden Euro und einer Nachhaltigkeitsrücklage von 0,12 Monatsausgaben abgeschlossen. Hierauf wies der Vorsitzende des Trägervorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund, Christian Zahn, in seinem Bericht an den Trägerausschuss der Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Bund mehr...

  • "ALL-Tag - Die Thomas-Reiter-Mission", Donnerstag, 20. Juli 2006, 11.30 Uhr bis 12.00 Uhr PHOENIX überträgt Live-Gespräch zwischen Merkel und Astronaut Reiter Bonn (ots) - Am Donnerstag um 11.30 Uhr wird PHOENIX ein 15-minütiges Live-Gespräch zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Astronauten Thomas Reiter übertragen. Reiter befindet sich zurzeit auf der Internationalen Raumstation ISS. Nach einer Begrüßung durch ESA-Generaldirektor Jean-Jaques Dordain besucht Frau Merkel in Begleitung des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch das Europäische Raumfahrtkontrollzentrum (ESOC), von dessen Konferenzraum aus die Schalte zur ISS erfolgt. ESA-Astronaut Reinhold Ewald wird diesen so genannten mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht