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Berliner Morgenpost: Nach dem Wahlabend wird neu gemischt - Kommentar

Geschrieben am 10-05-2009

Berlin (ots) - Zu den wenigen überparteilich akzeptierten
Glaubenssätzen des deutschen Wahlkämpfers gehört die Lagertheorie. Es
herrscht die Annahme, dass das Land ziemlich genau in der Mitte
geteilt sei zwischen einer
bürgerlich-konservativ-wirtschaftsliberalen und einer
sozial-ökologisch-umverteilungsfreudigen Hälfte.
Die von CDU-Altmeister Heiner Geißler geprägte Lagertheorie hat
selbst die deutsche Einheit überdauert, jedenfalls bei
Bundestagswahlen. Nach der Kohl-Ära gingen alle Kanzler-Wahlen
relativ knapp aus. Entscheidend war fast immer die Kombination aus
Mobilisierung der eigenen Klientel sowie einer vergleichsweise
geringen Zahl von Wechselwählern. Auch das Auftauchen der Linkspartei
änderte nichts. Das linke Wählerpotenzial verteilte sich nun zwar auf
drei Parteien, blieb aber im vertrauten Lager.
Es ist nur folgerichtig, dass Grüne wie FDP ihren Wählern versichern,
eine Dreierkoalition werde es nach der Bundestagswahl am 27.
September nicht geben. Eine Ampel wollen die Liberalen nicht, Jamaika
schließen die Grünen aus. Für die Öko-Partei bedeutete allein der
Gedanke an ein Bündnis mit Schwarz-Gelb einen ebenso großen Tabubruch
wie das Signal der FDP, man könne sich eine Liaison mit Rot-Grün
vorstellen. Teile der jeweiligen Kernwählerschaft wären vom
Lagerwechsel derart irritiert, dass sie womöglich zu den
Volksparteien überlaufen würden. Die Grenzen der politischen Lager
verlaufen nicht mehr entlang zweier zum Verwechseln ähnlicher
Volksparteien, sondern zwischen ihren kleineren Satelliten. Ob die
Koalitionsabsagen allerdings den Wahlabend überdauern, ist fraglich.
Was ist, wenn die traditionellen Zweibünde Union/FDP und SPD/Grün
keine Mehrheit erringen? Kommt es dann automatisch zu einer
Fortsetzung der großen Koalition?
Nicht unbedingt. Warum sollte die SPD - mutmaßlich als Juniorpartner
- die Kanzlerin Angela Merkel erneut wählen, wenn es rein rechnerisch
zwei Alternativen gäbe? Mit Grünen und FDP oder aber mit Grünen und
Linken könnte die SPD womöglich selbst das Kanzleramt erobern.
Westerwelles Liberale, seit elf Jahren in der Opposition, stünden vor
der heiklen Frage, ob es nicht das kleinere Übel ist, mit Steinmeier
und Trittin zu regieren, als weitere vier Jahre im Wartestand zu
schmoren und das Land den Linken auszuliefern. Kanzlerin Merkel
wiederum würde alles daransetzen, die Grünen zu umwerben, wenn es mit
Westerwelle allein nicht reicht.
Unklar ist bei beiden, wie die Parteibasis reagiert, auch wenn die
Anführer mit staatsbürgerlicher Pflicht argumentieren, man wolle
Schlimmeres verhindern. Der Entwicklung des Landes täte ein
politischer Tabubruch sicherlich gut.
Bleiben die Parteien indessen bei ihren rigorosen Absagen, dann
drohen im Bund hessische Verhältnisse. Eine Kanzlerin ohne Mehrheit
und viele Minderheiten ohne Gemeinsamkeit würden sich mustergültig
blockieren. Ein Horrorszenario? Nicht unbedingt. Den Hessen hat ein
Jahr ohne viel Regieren auch nicht geschadet.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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