Landeszeitung Lüneburg: ,,Antwort auf die Krise muss europäisch sein" Interview mit der EU-Expertin Dr. Daniela Schwarzer
Geschrieben am 26-03-2009 |   
 
    Lüneburg (ots) - In Lettland und der Tschechischen Republik  scheiterten Regierungen in der Krise. Fremdenfeindliche und  EU-skeptische Politiker erhalten in mittel- und osteuropäischen  Ländern Zulauf. Angeschlagen waren die Staaten schon vor dem  Bankenkrach. So hatten hohe Energie- und Nahrungsmittelpreise sowie  günstige Kredite westlicher Banken viele Bürger der neuen EU-Länder  zu einem Leben auf Pump verführt. Umso härter schlug die Finanzkrise  jetzt zu. Noch fehlt es Europa an einer einheitlichen Antwort. Die  sei aber nötig, meint Expertin Dr. Daniela Schwarzer, damit der  Kontinent nicht als Ganzes ins Trudeln gerate.
     Der G20-Gipfel sucht Anfang April Antworten auf die Finanzkrise.  Müsste nicht vorab Europa eine Antwort formulieren? Dr. Daniela Schwarzer: Europa tut sich schon seit Monaten schwer,  eine gemeinsame Antwort auf die Finanzkrise zu finden. Das hat sich  im letzten Herbst gezeigt, als nationale Konjunkturprogramme  entworfen wurden, die nur marginal europäisch begleitet wurden.  Uneinig zeigte sich Europa auch bei dem Vorstoß der französischen  Ratspräsidentschaft, einen europäischen Bankenauffangfonds zu  gründen. Eine starke europäische Initiative vermisst man auch in der  Vorbereitung auf den G20-Gipfel.
     Vom Westen weitgehend unbeachtet stürmten in Riga Unzufriedene das Parlament, in Budapest müssen Roma als Sündenböcke herhalten.  Vergisst Alt-Europa seine östlichen Nachbarn? Dr. Schwarzer: Europa hat bereits in Mittel- und Osteuropa Hilfe  geleistet. Der jüngste EU-Gipfel am 19./20. März hat gezeigt, dass  Bereitschaft zu weiterer Hilfe vorliegt. Seit November konnte die EU  Zahlungsbilanzkredite in Höhe von 15 Milliarden Euro an EU-Mitglieder außerhalb der Euro-Zone vergeben. Jetzt wurde das mögliche Volumen  auf 50 Milliarden Euro erhöht. Das heißt, die EU stellt sich darauf  ein, weiteren ost- und mitteleuropäischen Ländern zu helfen und  begnügt sich nicht damit, nur an den Internationalen Währungsfonds zu verweisen.
     Wieso trifft die Krise die neuen EU-Mitgliedsländer härter? Dr. Schwarzer: Die Krise in Ost- und Mitteleuropa wurde teilweise vom Westen geradezu exportiert. Als in diesen jungen Marktwirtschaften  Risiken erkennbar wurden, zogen westliche Investoren und Banker Geld  ab. Das destabilisierte den Finanzsektor dieser Länder.  Zahlungsbilanzkredite für die Regierungen wurden notwendig, um die  Lage zu stabilisieren. Zudem muss die mangelnde Kreditvergabe der  Banken abgefedert werden. Dazu schnürten Weltbank, die Europäische  Bank für Wiederaufbau und die Europäische Investitionsbank im Februar ein 24,5-Milliarden-Paket, das nicht nur die Kreditvergabetätigkeit  von Banken wieder beleben soll, sondern vor allem auch kleinen und  mittleren Unternehmen zugute kommen soll.
     Sie haben den importierten Anteil der Krise skizziert. Wie groß  ist der hausgemachte Anteil? Dr. Schwarzer: Sicherlich haben es einige der Länder verpasst, sich  so weit zu reformieren, dass sie eine schwierige Situation wie die  jetzige gut überstehen könnten. In einigen Ländern wurden überdies  Kredite in einem sehr hohen Anteil in ausländischen Währungen, etwa  Schweizer Franken und Euro, aufgenommen. Mit dem Verlust an Vertrauen in die dortigen Volkswirtschaften stürzten auch deren Währungen ab.  Für die Kreditnehmer -- Privatleute, aber auch Unternehmen -- wurde  es schwierig bis unmöglich, die Kredite noch zu bedienen.
     Welche Länder erweisen sich als stabil, welche sind besonders  gefährdet? Dr. Schwarzer: Besonders problematisch ist die Situation in den  Ländern, die bereits Hilfe von der EU angefordert haben, also Ungarn, Lettland und Rumänien. Bulgarien wa"ckelt ebenfalls. Als  wirtschaftlich relativ stabil gelten Polen und die Tschechische  Republik. Gleichwohl stürzte jetzt der tschechische  Ministerpräsident. Wir müssen mit politischer Instabilität und einem  größeren Einfluss der Europaskeptiker in dem Land rechnen, das die  EU-Ratspräsidentschaft hält. Auch könnte hier nun die Ratifizierung  des Lissabonvertrags scheitern.
     Welche Auswirkungen hat der Niedergang etwa für die  exportorientierte deutsche Wirtschaft und westeuropäische Banken? Dr. Schwarzer: Westliche Banken halten in der Region große  Außenstände. Besonders betroffen sind österreichische Banken, die  sehr früh nach Ost- und Mitteleuropa vorstießen, dort  Tochterunternehmen gründeten und Filialnetze aufbauten -- also dort  Kreditnehmer haben. Müssen diese Kredite abgeschrieben werden, sind  die Ausfälle enorm. Für die deutsche Exportwirtschaft ist das  Wegbrechen des östlichen Marktes auch nicht zu vernachlässigen. Etwa  elf Prozent der deutschen Exporte gehen in diese Region. Rutscht die  Wirtschaft dort über Jahre in eine Rezession, sinkt auch die  Nachfrage nach deutschen Exportgütern.
     In Ungarn, Polen, der Slowakei und Tschechien stehen 2010 Wahlen  an. Drohen Erfolge fremdenfeindlicher Nationalisten? Dr. Schwarzer: Schon jetzt beeinflussen populistische Parteien die  europapolitische Debatte in einigen dieser Länder stark. So ist der  tschechische Präsident Vaclav Klaus ein scharfer Euroskeptiker. Auch  in Polen ist der Präsident europakritisch eingestellt. In der Krise  werden entsprechende Töne im Wahlkampf schärfer werden. Hier wird es  für gemäßigte Parteien immer schwerer, gegenzusteuern. Umfragen  belegen überdies einen Zusammenhang zwischen schlechter  wirtschaftlicher Lage und Euroskeptizismus. Insofern ist damit zu  rechnen, dass in den vier Ländern die Reserviertheit gegenüber der EU wächst.
     Gerade die EU-freundliche Mittelschicht leidet in der Krise am  stärksten. Verliert Europa seinen Rückhalt? Dr. Schwarzer: Es muss viel dafür getan werden -- in den neuen wie in den alten Mitgliedsländern, dass die Bevölkerung immer wieder davon  überzeugt wird, dass Europa sinnvoll ist. Ohne die EU würde es den  europäischen Ländern gerade jetzt in der Krise sehr viel schlechter  gehen. Diese Erkenntnis setzt sich in manchen Ländern sogar gegen den sonst eurokritischen Trend durch. Etwa in der Slowakei, wo die  Währung dank der klaren Euro-Zonen-Beitrittsperspektive zum 1.1.2009  im vergangenen Jahr dem Druck trotzen konnte.
     Verhindert die Krise die weitere Integration der mittel- und  osteuropäischen Länder in der Euro-Zone? Dr. Schwarzer: Natürlich müssen diese Länder die  Euro-Konvergenzkriterien hinsichtlich Inflationsrate, Zinsrate,  Verschuldung, Wechselkursstabilität und Unabhängigkeit der  Zentralbank erfüllen. Und diese werden sich so leicht nicht  aufweichen lassen. Die jüngsten Währungsturbulenzen machen es für die östlichen Nachbarn sehr schwierig, nachzuweisen, dass sie auf  Stabilitätskurs sind. Hier ist jetzt die EU gefordert, klare Signale  zu setzen, dass der Konvergenzkurs weiter unterstützt wird. Das  können Unterstützungspakete sein oder die Botschaft, dass man diese  Länder in der Euro-Zone aufnehmen möchte.
     Fehlt es an einer einheitlichen europäischen Strategie, weil es  auch im Westen an Europa-Überzeugung mangelt? Dr. Schwarzer: Bei vielen Politikern im Westen hat die Überzeugung  von der selbstverständlichen Notwendigkeit der europäischen  Integration nachgelassen, die die Jahrzehnte nach dem Zweiten  Weltkrieg prägte. In den vergangenen Jahren kam es verstärkt zu  nationalen Alleingängen, die als anti-europäisch oder  protektionistisch verstanden wurden. Wir haben in allen Staaten das  gleiche Begründungsproblem: Wir sind in einer Phase, in der die EU  nicht mehr von Grund auf gebaut, sondern regiert werden muss. Und das leisten die Regierungen nur unzureichend, weil sie nach nationalen  Logiken handeln. Was im Moment fehlt, ist, dass europäische  Zusammenhänge erkannt und gemeinsame europäische Interessen direkt in Politik umgesetzt werden. Bestes Beispiel ist die Euro-Zone: Wir  leben nicht nur in einer Währungsunion, sondern wir haben mit der  Integration der Märkte eine gemeinsame Volkswirtschaft. Dennoch  werden die Antworten auf die Finanzkrise weitgehend national  formuliert.
     Kann der Euro der Retter sein? Dr. Schwarzer: Für die mittel- und osteuropäischen Länder ist der  Euro ein Stabilitätsanker. Die Länder, für die die Währungsunion noch verschlossen bleibt, weil sie die Konvergenzkriterien noch nicht  erfüllen, können sich dennoch an den Euro binden. So hat Polen  angekündigt, dass es dem Europäischen Wechselkurssys"tem beitreten  will, um den Zloty zu stabilisieren. Ich gehe davon aus, dass dies  Beispiel Schule machen wird. Für die Länder, die bereits im Euro  sind, besteht jetzt die große Herausforderung, die politische  Zusammenarbeit in der Eurozone zu verstärken. Noch zeichnet sich  keine konkrete Initiative ab, aber wenn wir die Krise als Chance  begreifen und aus ihr gestärkt hervorgehen wollen -- wie so oft in  der Europäischen Geschichte --, muss die Eurozone als Kern nach innen wie nach außen gestärkt werden. Insofern kann der Euro der Retter  sein -- wenn die Regierungen dazu bereit sind.
     Erwächst aus der Krise das Bewusstsein, wie sehr Europa auch eine  Chance ist? Dr. Schwarzer: Die Krise führt uns in erster Linie vor Augen, wie  sehr wir in der Währungsunion, aber auch in der Europäischen Union  insgesamt in einem Boot sitzen. Es ist kaum noch möglich, im  Alleingang eine nationale Antwort auf die Finanz- und  Wirtschaftskrise zu formulieren. Legt man in einer offenen  Volkswirtschaft ein Konjunkturprogramm auf, verpufft die Maßnahme zum großen Teil. Eine national verschärfte Banken- und Finanzaufsicht  verpufft ebenfalls, weil das Kapital auf integrierten Finanzmärkten  ausweichen kann, - auch hier muss die Antwort konsequent europäisch  wenn nicht global sein. Die Herausforderung für die 27 EU-Staaten ist ganz klar, gemeinsame Antworten zu finden -- um überhaupt  handlungsfähig zu sein. Darin liegt auch die Chance, ein Bewusstsein  dafür zu entwickeln, wie weit die Integration bereits  vorangeschritten ist. In guten Zeiten war dies nicht so nötig. Die  Dominoeffekte der Krise erhöhen aber den Handlungsdruck.
     Also verlangt die Krise nach mehr Europa und nicht nach weniger  Europa? Dr. Schwarzer: Davon bin ich fest überzeugt.
     Das Interview führte Joachim Zießler
  Originaltext:         Landeszeitung Lüneburg Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
  Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
  Kontaktinformationen: 
   
  Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor. 
  Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
  
  
  Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden 
  Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik. 
   
  Sie suche nach weiteren Pressenachrichten? 
  Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres. 
   
  http://www.bankkaufmann.com/topics.html 
   
  Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com. 
   
  @-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt) 
  Schulstr. 18 
  D-91245 Simmelsdorf 
   
  E-Mail: media(at)at-symbol.de
  
  
  194216
  
weitere Artikel: 
- Westdeutsche Zeitung: NATO-Jubiläumsgipfel = von Eberhard Fehre    Düsseldorf (ots) - Die Nato feiert Geburtstag, und niemand weiß so recht, was aus der Militärorganisation geworden ist, die Jahrzehnte  im Osten einen klar definierten Feind und damit eine ebenso klare  Aufgabe hatte. Ein Verteidigungsbündnis mit territorial begrenztem  Beistandsgebiet? Das ist sie gewiss nicht mehr, auch wenn im  Deutschen Bundestag die Regierung diese Fiktion aufrechterhalten  will. Wie anders ist das Strucksche Diktum zu erklären, Deutschland  werde am Hindukusch verteidigt? Hätte George W. Bush sich nicht für  die Besetzung mehr...
 
  
- Kölnische Rundschau: Kölnische Rundschau Kommentar zum Wehrbeauftragtenbericht    Köln (ots) - Umsteuern     THOMAS FRANKE zum Wehrbeauftragten-Bericht     Auf Missstände hinzuweisen ist Auftrag des Wehrbeauf tragten. Fehlende Ausrüstung, Mängel bei Unterkünften, Ver^ stöße von Vorgesetzten gegen über Rekruten, diese Punkte prägen seit je den Bericht. Das Problem der "Anwälte der Sol daten": die Politik reagiert zu oft mit Lippenbekenntnissen. Es schien ja so, als ob die Bun deswehr "im Großen und Gan zen" intakt sei. Und richtig ist natürlich, dass die Truppe letzt lich Mängel an Gebäuden eben so überleben wird wie Proble mehr...
 
  
- Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Afghanistan:    Bielefeld (ots) - Die nato-feindlichen Plakate der Linken gestern  im Bundestag hätten beinahe vom wirklich Wichtigen abgelenkt.  Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte US-Präsident Barack Obama  Grenzen auf. Sie verlangte den »revolutionären« Wandel der  Militärallianz und öffentlich Aufklärung über das neue, im Alleingang aufgeblasene Afghanistan-Konzept der USA.  Nicht mit uns! So lautet ihre transatlantische Botschaft. Die  ungewohnt schroffen Worte im Vorfeld der Gespräche in London und  Straßburg senden eindeutige Signale. In der ihr eigenen mehr...
 
  
- Südwest Presse: Kommentar zum Thema Telefonwerbung    Ulm (ots) - Wer bei ungebetenen Werbeanrufen nicht sofort  kommentarlos auflegt oder laut "Nein" ruft und dann schleunigst die  "Aus-Taste" am Telefon drückt, hat oft schon verloren: Der  unverfrorene Drücker am anderen Ende der Leitung sendet nicht nur  Unterlagen zu, sondern schließt einfach einen Vertrag ab. Das kann er auch künftig machen - doch nicht bei Telekommunikation-, Strom- oder  Gasanbieter-Wechsel: eine Unterschrift ist nötig. Das ist die gute Nachricht des Gesetzes, das der Verbraucherausschuss gestern auf den Weg gebracht hat. mehr...
 
  
- Berliner Morgenpost: Das peinliche Ende einer Phantom-Jagd - Kommentar    Berlin (ots) - Ein Phantom ging um in Deutschland; es schreckte  und faszinierte. Alles begann mit dem kaltblütigen Kopfschuss auf  eine junge Polizistin in Heilbronn. Spuren wurden gesammelt, darunter auch die Gene einer Frau - offenkundig der Täterin. Jetzt stellt sich heraus, dass wohl verunreinigte Wattestäbchen die kriminalistische  Suche über lange Jahre in die Ergebnislosigkeit führten. Seitdem  bemühen sich Innenminister und Polizeipräsidenten zu versichern, dass diese Erfahrung weder die Gentechnologie und die darauf aufbauende  DNS-Analyse mehr...
 
  
  |   
 |   
 | 
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
 Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
  
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
 
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
 
  
 |