Landeszeitung Lüneburg: Wirtschaftstaatssekretär Dr. Walther Otremba im Interview: "Der Staat darf Pleiten nicht verhindern"
Geschrieben am 05-03-2009 |   
 
    Lüneburg (ots) - Weltweit werden immer neue Milliardenpakete  geschnürt, um die Konjunktur zu stützen und strauchelnde Finanz- und  Industriekonzerne zu retten. Hat der Markt versagt? Muss der Staat  intervenieren? Dr. Walther Otremba, Staatssekretär im  Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, hält vorübergehende Eingriffe des Staates in die Wirtschaft für richtig und wichtig, aber nur in Einzelfällen.
     Können Sie alle zehn Vornamen von Wirtschaftsminister zu  Guttenberg herunterbeten?
     Dr. Walther Otremba: Nein, das wird uns auch nicht abverlangt.
     Was hat sich für Sie verändert unter ihrem neuen Chef Karl-Theodor zu Guttenberg?
     Otremba: Relativ wenig. Es wird weiter an allen Fronten für  Wettbewerb, Wachstum und Beschäftigung gekämpft.
     Die Rettung der Hypo Real Estate hat bereits rund 100 Milliarden  Euro gekostet -- pro Bundesbürger mehr als 1000 Euro. War es im  Rückblick falsch, die Bank retten zu wollen?
     Otremba: Dazu zweierlei: Erst einmal hat uns das ja nicht 100  Milliarden Euro gekostet, sondern wir stellen bisher Bürgschaften von rund 100 Milliarden Euro zur Verfügung. Wenn das alles funktioniert,  werden die Steuerzahler wahrscheinlich keine Lasten zu tragen haben,  da Ausfälle nicht erwartet werden. Zweitens war dieses Engagement des Staates unvermeidbar, da der Zusammenbruch einer Bank mit einer  Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro mit Sicherheit andere Banken, die der HRE Gelder geliehen haben, mit in den Abgrund gerissen hätte. Das wäre für die deutsche Volkswirtschaft sehr viel teurer geworden.
     Namhafte Ökonomen und Politiker sind der Ansicht, man hätte die  HRE besser den Bach runtergehen lassen sollen, um künftigen  Fehlentwicklungen in der Branche vorzubeugen...
     Otremba: Vor der Lehman-Pleite hätte ich diese Ansicht vielleicht  auch unterstützt. Inzwischen sind wir ein ganzes Stück klüger  geworden. Die ganze Bankenkrise wäre wesentlich sanfter verlaufen,  wenn die Amerikaner Lehman nicht in die Insolvenz gehen lassen  hätten. Insofern meine ich, dass zu dem eingeschlagenen Weg keine  Alternative bestand.
     Satte Boni auch für das Katastrophenjahr 2008 -- warum soll der  Steuerzahler für die Verfehlungen der Banken aufkommen?
     Otremba: Wir haben im Finanzmarktstabilisierungsgesetz strikte  Regelungen für künftige Bonuszahlungen festgeschrieben. Das heißt, in Zukunft wird es bei Banken, die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen,  umfangreiche Regeln geben, die extrem hohe Gehälter oder Boni  verhindern. Für vertragliche Regelungen in der Vergangenheit, die  jetzt noch zur Auszahlung kommen, können wir rückwirkend keine  Regelungen schaffen, die das verbieten. Wir appellieren allerdings an die Banker, die noch in der Verantwortung stehen, auf solche  Zahlungen zu verzichten, weil sie natürlich auch in starkem Umfang  profitieren von öffentlichen Zahlungen.
     Diese Verträge wären ohne die massiven staatlichen Hilfen wenig  wert...
     Otremba: Das ist richtig. Aber wir leben in einem Rechtsstaat, und wir können natürlich ohne gesetzliche Änderungen in solche Verträge  nicht eingreifen.
     Die Landesbanken zeigen: Der Staat hat zwar Geld, ist aber kein  guter Banker. Kann der Staat die Reorganisation der HRE überhaupt  leisten?
     Otremba: Das will die Bundesregierung auch nicht. Der Staat will  lediglich die Oberaufsicht haben, bis das Institut wieder allein  lebensfähig ist. Die Umstrukturierung wird selbstverständlich auch  von Bankmanagern konkret gestaltet -- von solchen, in die wir noch  Vertrauen haben, die gibt es auch noch. Die betroffenen Banken müssen so schnell wie möglich restrukturiert und wieder in private Hände  zurückgegeben werden.
     Wie muss nach der Nothilfe der Systemwechsel aussehen, damit die  reprivatisierten Banken nach dem Rückzug des Staates nicht dieselben  Fehler noch einmal machen?
     Otremba: Wir müssen einerseits bestimmte Regelmechanismen  anpassen, insbesondere die Auslagerung von Risiken verhindern. Wir  müssen aber andererseits auch als Staaten -- und damit meine ich  jetzt weniger uns als die Amerikaner -- die Versuchung einschränken,  durch übermäßige Liquidität zu gewagten Finanzkonstruktionen  beizutragen.
     Ifo-Chef Hans-Werner Sinn fordert eine höhere Eigenkapitalquote,  also eine Verschärfung von Basel II.
     Otremba: Das kann ein Teilelement sein. Aber bei dem Bedarf an  Eigenkapital, den wir im Moment beobachten, hätten auch etwas höhere  Quoten die Risiken der aktuellen Krise wahrscheinlich nicht  verhindern können.
     Jahrzehntelang galt in der Wirtschaftpolitik: Weniger Regeln,  weniger Steuern, mehr Wettbewerb. Hat der freie Markt versagt? Muss  der Staat jetzt eingreifen, weil er vorher zu wenig und schlecht  reguliert hat?
     Otremba: Ich glaube eher, dass die Regulierung in manchen  Bereichen Fehlentwicklungen noch befördert hat. Die Regulierung hat  ja zum Beispiel dazu beigetragen, dass man versucht hat, höhere  Renditen zu erzielen, indem man Risiken ausgelagert hat. Auch wenn  man jetzt einzelne Regeln anpassen muss, ist die Regulierung mit  Sicherheit kein Allheilmittel. Wichtiger ist vielmehr, dass man keine falschen Anreize setzt.
     Ist die HRE ein Einzellfall oder werden noch weitere folgen?
     Otremba: Aus derzeitiger Sicht ist die Hypo Real Estate der  einzige Fall in dieser Größenordnung. Es kann natürlich nicht  ausgeschlossen werden, dass in kleineren Banken noch Probleme  auftreten, die aber nicht die systemische Gefahr darstellen wie die  HRE.
     Mit der Schuldenbremse legen sich Bund und Länder selbst an die  Kette. Berauben sie sich damit nicht ihrer Handlungsfähigkeit? Der  Wirtschaftsweise Peter Bofinger schlägt statt einer Schulden- eine  Steuersenkungsbremse vor...
     Otremba: Die Schuldenbremse wird auf Dauer nicht die  Handlungsspielräume einschränken, sondern eher erhöhen, denn  langfristig ist das Geschäft Schulden gegen Zinslast kein positives  für den Staat. Das heißt, durch die höheren Zinsen verliert der Staat immer mehr Spielräume.
     Ein Unternehmen, das investieren und expandieren will, tut dies  mit Hilfe von Krediten, sofern die Rendite langfristig höher ist als  die Zinslast. Schulden sind doch nicht per se etwas Schlechtes...
     Otremba: Das ist im Prinzip richtig. Aber für den Staat gelten  diese Regeln nur bedingt, weil es keinen direkten Konnex gibt  zwischen Schuldenaufnahme, Zinsen und Erträgen. Mit Schulden werden  oft auch rein konsumtive Ausgaben finanziert oder auch Investitionen, die keinen hohen Wachstumsbeitrag leisten. Insofern lehrt die  Vergangenheit, dass die Schuldenaufnahme die staatlichen  Handlungsmöglichkeiten eher verringert als erhöht hat.
     Sind Staatsschulden nicht die einzige wirklich stabile Säule des  Finanzsystems?
     Otremba: Erstens werden uns die Staatsschulden insgesamt sicher  nicht ausgehen. Zweitens gibt es selbst bei der geplanten  Schuldenbegrenzung immer noch geringfügige Möglichkeiten der  Neuverschuldung. Der Bestand der Schuldpapiere wird ja nicht  angetastet. Zudem haben die Staatsschulden auch einen gewissen  Verdrängungseffekt bewirkt. Man wird also andere sichere Anlageformen in den Vordergrund rücken, wenn die Staatsschulden zurückgehen, zum  Beispiel Hypotheken oder entsprechend risikogestreute  Unternehmensanleihen.
     Nicht nur Banken, auch Autohersteller und -zulieferer rufen nach  Staatshilfe. Setzt hier nicht nur ein notwendiger Strukturwandel ein, den auch der Staat nicht verhindern kann?
     Otremba: Das ist völlig richtig, das wollen wir auch nicht. Die  Hilfsprogramme, die wir mit dem zweiten Konjunkturpaket aufgelegt  haben, beziehen sich ausdrücklich auf Unternehmen, die durch die  Zusammenballung der Finanzmarktkrise und des scharfen  Konjunktureinbruchs doppelt betroffen sind, die im Kern gesund sind,  die eine langfristige Perspektive haben, die also ohne eigenes  Verschulden in Not geraten sind. Selbstverständlich werden diese  Hilfen nicht dafür genutzt werden dürfen, Strukturanpassungen zu  verhindern.
     Bei der HRE kann man noch argumentieren, sie sei "systemrelevant". In der Autobranche geht es "nur" um Tausende Arbeitsplätze. Darf der  Staat Opel unter die Arme greifen?
     Otremba: Der Fall Opel ist noch in der Prüfungsphase.  Grundsätzlich darf der Staat Konkurse nicht verhindern. Andererseits  sehen wir natürlich auch, dass Industriestrukturen, die einmal  abgestorben sind, nicht automatisch wieder neu wachsen. Wenn man  jetzt gesunde und zukunftsträchtige Unternehmen vorübergehend durch  die Krise rettet, kann das Sinn machen, muss aber im Einzelfall  scharfen Prüfungskriterien unterliegen.
     Die Marke mit dem Blitz ist seit Jahrzehnten eng verzahnt mit der  Konzernmutter GM. Vor allem aber ist Opel nicht im Besitz der  Patente. Kann der Staat Opel überhaupt retten?
     Otremba: Im Moment wird noch darüber verhandelt, wie der  Gesamtkomplex Opel/GM überhaupt zu behandeln ist. Dabei warten wir  natürlich auch auf Entscheidungen in den USA. Die Abkopplung ist in  der Tat eins der schwierigsten Probleme. Und davon wird es letztlich  auch abhängen, ob man Opel in die Zukunft retten kann. Eine Trennung  würde nur Sinn machen, wenn es Investoren gäbe, die Opel langfristig  überlebensfähig machen. Allein ist das der Konzern aufgrund seiner  Größenordung wohl nicht. Entweder bleibt Opel in einem gewissen  Verbund mit einem sanierten GM-Konzern oder es findet sich ein  Dritter, der in die Standorte in Deutschland und Europa investieren  möchte.
     Daimler soll an Eisenach interessiert sein. Stimmt das?
     Otremba: Es gibt sicher Interessenten für einzelne Opel-Standorte, aber wenn man jetzt über einzelne Werke redet, gibt man das  Gesamtkonzept Opel schon auf.
  Originaltext:         Landeszeitung Lüneburg Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
  Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
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