Landeszeitung Lüneburg: Bischof Wolfgang Huber über die Haltung des Vatikans zur Pius-Bruderschaft: "Judenhass hat in der Kirche keinen Ort"
Geschrieben am 12-02-2009 |   
 
    Lüneburg (ots) - Trotz klarer Stellungnahmen des Papstes gegen  Antisemitismus und damit einer Distanzierung vom britischen Bischof  und Holocaust-Leugner Williamson bleibt der Vatikan in der Kritik.  Die Wiederaufnahme der Pius-Bruderschaft in die katholische Kirche  nährt auch in der evangelischen Kirche Sorgen um die Ökumene. Denn:  Die ultrakonservativen Pius-Brüder wollen nun den Vatikan von ihrer  Sicht missionieren, dass die katholische Kirche die einzig wahre  Kirche sei. Bischof Professor Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der  Evangelischen Kirche in Deutschland, mahnt gegenseitigen Respekt an.
     Auch wenn den Kirchenaustritten die Schlagzeilen gehören, stellen  Sie einen gegenläufigen Trend fest: Seit der Jahrtausendwende stellen sich die Menschen vermehrt Sinnfragen. Gibt es ein Comeback des  Glaubens?
     Bischof Huber: Es gibt eine neue Aufmerksamkeit für Fragen des  Glaubens und der Religion bei gleichzeitiger Glaubensfremdheit und  Kirchendistanz. Beide Strömungen gehören zusammen. Das hat zur Folge, dass das neue Interesse für Religion nicht automatisch den Kirchen  zugute kommt. Ich spüre das besonders im Osten Deutschlands. Dort  gilt in besonderem Maße: Die Menschen haben die Kirche in Massen  verlassen, aber sie sind nur als Einzelne zurückzugewinnen. Dennoch  sind die Kirchenaustritte nicht das Hauptproblem der Kirchen, sondern der demographische Wandel. Die Zahl unserer Kirchenmitglieder sinkt,  weil die Zahl der Deutschen insgesamt zurückgeht. Natürlich bedaure  ich jeden einzelnen Kirchenaustritt, doch man muss auch erkennen,  dass die Zahl der Kirchenaustritte in den vergangenen zehn Jahren  stetig gesunken ist.
     Sie haben 2006 einen "Marktverlust der Kirchen in ihrem  Kerngeschäft" beklagt. Konnten die Kirchen mit diesem Defizit von der neuen Spiritualität profitieren?
     Bischof Huber: Ich würde es anders formulieren, nämlich positiv:  Es ist Zeit für die Kirchen, sich auf ihre Kernkompetenzen zu  besinnen, weil sie nur so eine Ausstrahlung gewinnen, die anziehend  ist für die Menschen. Folglich gibt es zwei Eckpunkte des  Reformprozesses der evangelischen Kirche: Besinnung auf die zentralen Grundlagen und Aufgaben der Kirche sowie Orientierung nicht nur an  der treuen Kerngemeinde -- so gut und wertvoll es ist, dass es sie  gibt --, sondern eine verstärkte Hinwendung zu den Menschen, die der  Kirche bisher eher distanziert gegenüberstehen.
     Wo müssen die Kirchen dann konkret ihren Schwerpunkt legen -- bei  der Bibelarbeit oder beim sozialen Engagement?
     Bischof Huber: Wir haben in den vergangenen Jahren die Einsicht  vertieft, dass die Anziehungskraft lebendiger Gottesdienste in  Gestalt guter Liturgie, qualitätvoller Kirchenmusik und überzeugender Predigt untrennbar mit der Präsenz der Kirche in der Gesellschaft --  und dort besonders mit ihrem Einsatz für die Schwachen --  zusammengehört. Wir wollen eine Kirche sein, in der Beten und Tun des Gerechten, das verkündigte Wort und die gelebte Nächstenliebe eins  sind.
     Religion wird verstärkt benutzt, um sich abgrenzend zu anderen zu  definieren. Wie muss sich die evangelische Kirche da positionieren?
     Bischof Huber: Wir haben schon vor 15 Jahren in diesem  Zusammenhang die Formel "Identität und Verständigung" geprägt. Um  sich mit anderen zu verständigen, bedarf es eines klaren Wissens um  die eigene Identität. Diese Einsicht hat sich bewährt, besonders im  Verhältnis zu den Muslimen in Deutschland seit dem 11. September  2001. Aber wir wissen auch, dass Zusammenleben viel Verständnis und  Einfühlungsvermögen erfordert. Beides -- die klare eigene Position  und der ernsthafte Wunsch nach Verständigung -- kommt in der  Handreichung der EKD "Klarheit und gute Nachbarschaft" aus dem Jahr  2006 zum Ausdruck, die sich mit unserem Verhältnis zu den Muslimen in Deutschland beschäftigt.
     Zwingen inter-religiöse Auseinandersetzungen wie der  Karikaturenstreit auch die verweltlichten westlichen Gesellschaften,  sich zu fragen, was sie eigentlich zusammenhält?
     Bischof Huber: Solche Auseinandersetzungen verpflichten uns als  christliche Kirchen dazu, unseren Beitrag zum Zusammenhalt der  Gesellschaft zu leisten. Denn die Gesellschaft lebt von  Voraussetzungen, die sie nicht selbst hervorbringen kann. So hat es  der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde  treffend ausgedrückt. Die Besinnung auf die Kraftquelle des  christlichen Glaubens und die Verdeutlichung seines Wertes für unsere Gesellschaft ist eine der zentralen Aufgaben der Kirche. Diese  Aufgabe können wir durchaus beherzter angehen, als das in der  Vergangenheit geschehen ist. Jahrhunderte lang hielt man diese Quelle für selbstverständlich, dann sind wir seit den Siebzigerjahren durch  eine lange Phase des Traditionsabbruchs gegangen. Nun haben wir  erkannt, dass wir das Bewusstsein für diese Quellen erneuern müssen.  Das ist in erster Linie ein Bildungsauftrag. Wir müssen das  Glaubenswissen der Menschen stärken, damit sie ihren Glauben auch  verstehen können.
     Kein Verständigungsprob"lem sollte es zwischen gläubigen Christen  und Muslimen hinsichtlich der im Karikaturenstreit entstandenen Wut  geben. Denn: "Du sollst Dir kein Gottesbildnis machen" heißt es auch  in den Zehn Geboten...
     Bischof Huber: Das biblische Bilderverbot ist auch in den  christlichen Kirchen umstritten. Für alle aber gilt: Du sollst nicht  ein von Menschen gemachtes Bild von deinem Gott machen. Damit ist  aber auch generell gemeint, wir sollen nichts Weltliches zum Götzen  machen. Eine höchst aktuelle Forderung! Zugleich gibt es gute Gründe  dafür, respektvoll mit dem umzugehen, was uns selbst oder anderen  heilig ist. Aber so sehr man den Respekt von Muslimen gegenüber dem  Bild des Propheten achtet, so unzweideutig muss man auch betonen,  dass die Empörung über die Verletzung dieses Respekts niemals zu  einem Aufruf zur Gewalt missbraucht werden darf. Insofern musste im  Karikaturenstreit in beide Richtungen mäßigend eingegriffen werden.  Weil wir wissen, dass die persönliche Freiheit auch die  Meinungsfreiheit einschließt, haben wir als christliche Kirchen  schmerzlich lernen müssen, dass auch christliche Symbole, christliche Werte und christliche Überlieferungen bisweilen in Kunst und  Literatur verächtlich gemacht werden. Das sorgt zwar für innere  Empörung bei uns, aber wir würden nur in ganz wenigen Fällen ein  staatliches Verbot fordern, weil es unserer Überzeugung entspricht,  derartiger Herabsetzung allein mit der Kraft des Wortes zu begegnen.  Deshalb mussten wir auch allen Ansätzen dazu entgegentreten, aus der  Empörung über die Mohammed-Karikaturen Gewalttaten zu rechtfertigen.
     Während Sie von der "katholischen Schwesterkirche" sprechen, redet der Papst von der "anderen christlichen Tradition". Leidet die  Ökumene ausgerechnet unter einem deutschen Papst?
     Bischof Huber: Ich habe diese Redeweise bedauert, aber das  Selbstbewusstsein der evangelischen Kirchen ist nicht davon abhängig, ob der Papst von christlichen Traditionen oder christlichen Kirchen  redet. Ökumenisch werden wir nur Fortschritte machen, wenn wir auf  der einen Seite herausstellen, was uns verbindet und auf der anderen  Seite respektvoll mit dem umgehen, was uns voneinander unterscheidet. Wir halten dabei den Respekt für das Kirche-Sein des ökumenischen  Partners für unerlässlich. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass  wir seit dem Jahr 2000, in dem die Erklärung "Dominus Iesus"  veröffentlicht wurde (die als Geringschätzung anderer Kirchen  interpretiert wurde, d. Redaktion), kaum ökumenische Fortschritte  zwischen Protestanten und Katholiken zu verzeichnen haben. Die  Schritte, die der Papst in den vergangenen Jahren unternommen hat,  verstärken diesen Trend. Andererseits kennt der Papst die Kirchen der Reformation besser als viele Päpste vor ihm; er hat auch mir selbst  gegenüber sein Interesse an guten ökumenischen Beziehungen  unterstrichen. Ich resigniere also nicht, zumal es zum Bemühen um  gute ökumenische Zusammenarbeit keine Alternative gibt. Ich betone  allerdings, dass die Bedingungen für ein gedeihliches Miteinander  nicht nur von einer Seite bestimmt werden können, sondern dass sie  gemeinsam bei gegenseitigem Respekt gefunden werden müssen.
     An Respekt fehlte es auch in der aktuellen Debatte: Kritik aus  Deutschland an der Rehabilitierung eines Holocaust-Leugners als  Bischof wertet der Vatikan als "antikatholische Tendenzen". Sind alle Kritiker wieder Ketzer?
     Bischof Huber: Ich hüte mich vor einer Bewertung dieser Reaktion,  aber es gibt ohne Zweifel gute Gründe dafür, dass diese Diskussion  gerade in Deutschland so intensiv geführt wurde. Wir bilden in  Deutschland eine Verantwortungsgemeinschaft für die Folgen der Shoah. Wir reden zwar nicht von einer Kollektivschuld, aber wir wissen, dass wir einstehen müssen für die Folgen geschichtlicher Schuld. Für die  Kirchen in Deutschland ist klar: Die Leugnung des Holocausts muss  jederzeit entschieden zurückgewiesen werden. Deshalb bin ich sehr  dankbar dafür, dass sich katholische Bischöfe in Deutschland so  deutlich geäußert haben. Wir stehen einhellig dafür ein, dass  Antisemitismus in den christlichen Kirchen keinen Ort haben kann. Und noch aus einem zweiten Grund dürfen wir nicht schweigen: Deutschland, das Land der Reformation, hat aufgrund des ausgewogenen  Zahlenverhältnisses von evangelischen und katholischen Christen eine  besondere Verantwortung für die Ökumene. Der Vatikan wollte Frieden  schließen mit einer Bewegung, die dezidiert antiökumenisch ist und  die hinter das Zweite Vatikanische Konzil wieder zurück will. Unsere  Kritik daran gründet nicht auf antikatholischen Ressentiments,  sondern auf der Sorge um die Ökumene.
     Mit der Regensburger Rede wertete der Papst Mohammed ab, mit der  Karfreitagsfürbitte lässt er zur Missionierung der Juden aufrufen, er holt Traditionalisten zurück, ohne dass die vorher abschwören  mussten. Will Benedikt XVI. hinter das Zweite Vatikanische Konzil  zurück?
     Bischof Huber: Nein. Jemand, der selbst an bedeutender Stelle am  Zweiten Vatikanischen Konzil mitgewirkt hat, will bestimmt nicht  dahinter zurück. Aber die Zielsetzung des Papstes, die Einheit der  römisch-katholischen Kirche zu stärken, hat zur Folge, dass die  Differenz zwischen der vorkonziliaren Entwicklung und dem Zweiten  Vatikanischen Konzil eingeebnet wird. Die Auswirkungen auf die  Ökumene wie auf das Gespräch zwischen den Religionen sind immer  wieder besorgniserregend.
  Originaltext:         Landeszeitung Lüneburg Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
  Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
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