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Stuttgarter Nachrichten: zu Glos

Geschrieben am 09-02-2009

Stuttgart (ots) - Die Demontage eines Amtsmüden
Nach seinem Rücktrittsgesuch wird Glos als Wirtschaftsminister
abgelöst - Nicht nur die Opposition lästert über den Bayern
Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) hat die Bundesregierung
mit seinem Rücktrittsangebot in Schock starre versetzt - nun kommt
die Union dem Wunsch
des 64-Jährigen doch nach.

Auf diesen Brandherd hätte die Kanzlerin gerne verzichtet.
Ausgerechnet in der schwersten Konjunkturkrise der Nachkriegszeit
will ihr Wirtschaftsminister "Michel" Glos hinschmeißen. Das werfe
kein gutes Licht auf die Verhältnisse in der Union und die
Führungsstärke von Angela Merkel, räumen nach dem Paukenschlag selbst
Leute aus den eigenen Reihen ein.VON CLAUDIA LEPPING UND TIM BRAUNE
Zwar zählt der Posten in der Koalition zum Hoheitsgebiet von CSU-Chef
Horst Seehofer. Doch Merkel kann kaum tatenlos zusehen, wie aus dem
Gezänk bei der Schwesterpartei eine handfeste Regierungskrise wird.
Die SPD frohlockt. Offiziell halten sich die Spitzengenossen mit
Kommentaren noch zurück. Sie verweisen auf den Koalitionsvertrag,
wonach jede Partei die eigenen Personalien selbst klären darf.
Insgeheim jubelt die SPD aber über die von Glos ausgelöste jüngste
Wendung. Passt sie doch genau in das Bild, das die Sozialdemokraten
von Merkel zeichnen: eine Kanzlerin und Parteivorsitzende, die ein
gutes halbes Jahr vor der Wahl im eigenen Lager keine Autorität mehr
hat, vor allem bei der CSU nicht. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter
Steinmeier mäkelte schon, bevor der Glos-Brief bekannt wurde: "Frau
Merkel lässt sich von der CSU auf der Nase herumtanzen." Seit der
glücklose und amtsmüde Glos am Samstag sein Fax an Seehofer schickte
und danach Merkel anrief, ist das Kanzleramt auf Tauchstation
gegangen. Die "Bild am Sonntag", der Glos seine Depesche zukommen
ließ, berichtete, Merkel habe darauf bestanden, dass der frustrierte
CSU-Mann im Amt bleibt. In Koalitionskreisen wird jedoch für
unwahrscheinlich gehalten, dass Glos als "lame duck" (lahme Ente) bis
Ende September tragbar ist. So weit wird es wohl auch nicht kommen -
am Sonntag einigten sich Merkel und Seehofer darauf, den amtsmüden
Minister abzulösen.
Zunächst lehnte die Kanzlerin das Ansinnen von Glos ab - das Risiko
einer Kabinettsumbildung mitten im Superwahljahr wollte sie offenbar
nicht eingehen. Das war schon so, als Verkehrsminister Wolfgang
Tiefensee (SPD) oder Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU)
unter Beschuss gerieten. Zu Wechseln im Kabinett Merkel kam es nur,
weil Ex-Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) ausschied, um seine
kranke Frau zu pflegen. Und Seehofer gab das Ressort für
Verbraucherschutz und Landwirtschaft auf, um Regierungschef in
München zu werden.
Erstaunlich ist, dass eine von der Union geführte Regierung den
schleichenden Bedeutungsverlust des Wirtschaftsministeriums in Kauf
genommen hat. Hier legte CDU-Übervater Ludwig Erhard den Grundstein
für die Wirtschaftswunderjahre. Die Treueschwüre für Glos, der in dem
Amt nie richtig ankam, kommen reichlich spät. Tatsächlich durfte das
im Kern für die Spielregeln der Marktwirtschaft zuständige Haus in
der Machtpolitik der Koalition meist nur eine untergeordnete Rolle
spielen.
Als die Banken am Abgrund standen, spannten Merkel und ihr SPD-
Finanzminister Peer Steinbrück den 480-Milliarden-Euro-Schirm auf.
Glos stand im Regen. Die Staatsgarantie für alle Sparer verkündeten
Merkel und Steinbrück. Dabei war es Glos, der frühzeitig vor einem
Übergreifen der Finanzkrise auf die produzierende Wirtschaft warnte.
Steinbrück erklärte da noch dem Publikum, die Krise treffe vor allem
die USA, Deutschland sei gut aufgestellt.
Die Nachricht seines Parteifreundes erreicht Seehofer auf der
Sicherheitskonferenz in München. Im Kreis der Mächtigen kommt ihm
nichts anderes als ein Machtwort über die Lippen. Regelrecht angefixt
von seinen so aufwühlenden Treffen mit dem neuen US-Vizepräsidenten
Joe Biden, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und anderen
führenden Regierungschefs Europas während der prestigeträchtigen
Münchner Sicherheitskonferenz, stürzt Bayerns Ministerpräsident
schließlich aus dem Hotel und fährt direkt in die Staatskanzlei. Dort
erledigt er die Personalie Glos zunächst so, wie es sich für einen
Machtpolitiker gehört: Er lehnt das Rücktrittsgesuch ab: "Der tritt
nicht zurück", soll er ein paar Mal mehr zu sich selbst gemurmelt
haben.
Als bekanntwird, dass Seehofer "der Bitte von Wirtschaftsminister
Glos nicht nachkommen wird", sitzt der Parteichef längst wieder
zwischen den Honoratioren der Münchner Tagung. So weit kommt das
noch, dass Glos ihm das Defilee des Diners vermasselt. Immerhin ist
Seehofer Gastgeber der Sicherheitskonferenz, ein schlechter, was den
Umständen geschuldet ist. Irgendwann raunt er dem amerikanischen
Hünen Biden entschuldigend etwas zu - hat er etwa gesagt, dass es
Ärger gibt mit einem Parteifreund, der nicht mehr Bundesminister sein
will? Minuten sitzt der Amerikaner unflankiert und entsprechend
verloren wirkend vor seinen Platztellern und nippt an seinem
Weißbier. Seehofer krallt sich indes Kabinettsmitglieder des
bayerischen Landtages und Peter Ramsauer, den Chef der
CSU-Landesgruppe im Bundestag, und erörtert mit ihnen die Lage.
Denn dass Glos geht, ist nur eine Frage der Zeit - bereits einen Tag
nach seinem Fax verlautet aus Unionskreisen, auch Seehofer sei mit
dem Rücktritt von Glos einverstanden. Allerdings wird er wohl
versuchen, den Zeitpunkt zu bestimmen, um sein Gesicht zu wahren. Den
großen Vorsitzenden zu brüskieren, habe Glos gezielt in Kauf
genommen, vermuten viele CSU-Politiker. Jeder kann Episoden
berichten, die vor allem eins belegen: Seehofer und Glos mögen
einander nicht. Dass der künftige Ex-Wirtschaftsminister ausgerechnet
an diesem Samstag die Schlagzeilen zu beherrschen versucht, nehmen
ihm einige hier in München übel. "Der wollte dem Seehofer doch die
Schau stehlen und ihn hier alt aussehen lassen." Norbert Geis, der
seit fast 20 Jahren für die Christsozialen im Bundestag sitzt, mag so
viel Missgunst nicht wahrhaben. "Es kann doch sein, dass Glos
bestenfalls früh genug ankündigen wollte, dass er für das nächste
Kabinett nicht mehr zur Verfügung steht", sagt er.
In der CSU-Bundestagsfraktion erwarten die meisten, dass Glos nun von
sich aus zurücktritt. "Es ist aus meiner Sicht kein Zeichen von
Verantwortungslosigkeit, dass Glos dies eben nicht sofort getan hat,
sondern Seehofer um Entlassung gebeten hat", meint Geis. Andere
lästern über den unbotmäßigen Abgang ihres Wirtschaftsministers.
"Kann der nicht einmal ordentlich zurücktreten? Dreht der nach dem
Ärger mit dem Polizisten jetzt vollends durch?" Mitte vergangener
Woche war der Fahrer des Wirtschaftsministers einem Berliner
Polizisten über den Fuß gefahren, als der den Wagen mit dem
CSU-Politiker zunächst nicht passieren lassen wollte.
Wohl fühlte sich Glos in dem Amt eigentlich nie. Immer wieder
erzählte er, dass er nach dem Rückzieher von Edmund Stoiber 2005 "wie
die Jungfrau zum Kinde" zum Posten des Wirtschaftsministers gekommen
sei. Die Opposition hielt ihn von Anfang an für eine
Fehlbesetzung."Schlaftablette auf zwei Beinen", lästerte
Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn. Und FDP-Vize Rainer Brüderle sah in
Glos den "Problembären" der Regierung Merkel. Nach außen hin blieb
der 64-Jährige ungerührt: "Ich brauche keine Schlaftabletten." Oder:
"Wer austeilen kann, muss auch einstecken können." Doch Menschen aus
seinem Umfeld berichten, dass Glos dünnhäutiger geworden sei. Die
ständige Häme habe Spuren hinterlassen. Auch von Angela Merkel war er
enttäuscht. Trotzdem hatte Glos vor kurzem noch versichert, er sei
gerne Minister: "Wirtschaft ist die spannendste Sache der Welt. Ich
finde meine Aufgabe hochinteressant und möchte sie nicht missen, auch
wenn oft das Gegenteil verbreitet wird." Jetzt hat er sich selbst auf
"Minister auf Abruf" gesetzt. Eingeholt hat Glos sein eigener Spruch:
"Der Politikbetrieb ist kein Mädchenpensionat."

Originaltext: Stuttgarter Nachrichten
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/39937
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_39937.rss2

Pressekontakt:
Stuttgarter Nachrichten
Chef vom Dienst
Joachim Volk
Telefon: 0711 / 7205 - 7110
cvd@stn.zgs.de


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