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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Eine Demokratie muss das Aushalten - Interview mit dem Greifswalder Rechtsextremismus-Expertn Dierk Borstel:

Geschrieben am 18-12-2008

Lüneburg (ots) - Ist ein NPD-Verbot der richtige Weg, um dem
Rechtsextremismus Einhalt zu gebieten?
Dierk Borstel: Ich halte von dem NPD-Verbot sehr wenig, obwohl ich
weiß, dass es auch Pro-Argumente gibt. Zum Beispiel stört ein Verbot
den Aufbau der Parteistruktur und raubt die Finanzierung durch
Staatsgelder. Andererseits stört es nicht die dahinterliegenden
Strukturen der freien Kameradschaften und Nationalisten. Und das ist
die Grundbasis. Ein Verbot reicht also nicht an die Wurzeln heran.
Die Politik meint, mit einem NPD-Verbot sei das Problem gelöst, doch
davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Gerade vor dem Hintergrund
des Passauer Überfalls wird deutlich, dass hier ein großes Stück
Schaupolitik dabei ist. Die Verbotsdiskussion ist beinahe eine Art
Reflex.
Sollten sich die Politiker auf einen zweiten Anlauf verständigen,
bleibt noch das Problem der V-Leute, an denen das erste Verfahren
kläglich gescheitert war. Welche Chance räumen Sie einem zweiten
Verfahren ein?
Borstel: Gar keine. Denn die V-Leute-Problematik ist nicht gelöst. Es
gibt keine Mehrheit, die ein komplettes Aufdecken der V-Leute
befürwortet. Daher gibt es überhaupt keine Basis. Eine erneute
Niederlage vor dem Verfassungsgericht wäre ziemlich sicher.
Wäre der Ausschluss aus der Parteienfinanzierung, wie ihn z.B.
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann vorgeschlagen hat, ein
wirksames Mittel, um der NPD das Parteileben schwer zu machen?
Borstel: Ich halte das für schlicht undemokratisch und rechtlich
nicht durchführbar. Eine Demokratie muss auch die Nichtdemokraten
aushalten. Und es gibt ein Gleichheitsgebot laut Grundgesetz, das
betrifft eben auch diejenigen, die man nicht leiden kann. D.h.,
entweder muss man sie verbieten, dann fällt auch die
Parteienfinanzierung weg, oder man muss sie einfach nicht wählen. Das
sind die Optionen, die wir haben. Einen Ausschluss halte ich für
kontraproduktiv.
Kann die NPD überhaupt noch als Dachorganisation der rechten Szenen
gelten, oder hat die Partei, die kürzlich Gewaltverzicht propagierte,
ihren Einfluss auf die vielen Kameradschaften und anderen rechten
Gruppierungen verloren?
Borstel: Da gibt es keine klare Tendenz. Es gibt Bundesländer wie
Mecklenburg-Vorpommern, wo die NPD quasi eine von Kameradschaften
besetzte Partei ist. In Sachsen hingegen ist die NPD stärker als die
freien Kameradschaften. Sie kooperieren aber bei gewissen
Streitigkeiten miteinander. Es ist also von Region zu Region
unterschiedlich. Die NPD war auch nie das Dach des Rechtsextremismus.
Die Grundstruktur bilden die freien Kameradschaften vor Ort, und die
haben sich teils aus taktischen Gründen entschieden, in die NPD zu
gehen oder eben nicht. Dann gibt es noch in Westdeutschland die alten
Herren der ,,Erlebnisgeneration", die aber allmählich das Zeitliche
segnen. Generell lässt sich sagen, dass es seitens der NPD keine
absolute Steuerungsfunktion gibt.
In Teterow wurde im November eine Streifenwagenbesatzung angegriffen.
Anfang Dezember hat die Polizei in Göttingen nach einem Brandanschlag
ein Waffenlager von Rechtsextremisten ausgehoben. Der
Polizeipräsident sprach daraufhin von einer gestiegenen
Gewaltbereitschaft der rechten Szene. Ist dies ein bundesweiter
Trend?
Borstel: Ja. Dieses Thema wird seit geraumer Zeit auch im Internet
diskutiert. Der Gewaltverzicht, den sich die NPD auf die Fahnen
geschrieben hat, hat vermutlich strategische Gründe und zwar
dahingehend, die NPD zu stärken. Schwung bekommen hat das Thema vor
allem durch Aufrufe gegen Aussteiger, tituliert als Verräter der
Szene.
Haben Aussteigerprogramme wie einst EXIT diese Vorgehensweise
verstärkt?
Borstel: Ja und nein. Aussteiger gab und gibt es immer wieder. Da
EXIT das Thema Aussteiger in die Medien gebracht hat, hat sich hier
durchaus eine stärkere Dynamik in der Szene entwickelt, als zuvor.
Die Streichung der Gelder für EXIT wurde dann als Verlogenheit des
Systems interpretiert, mit großen Jubelarien. Besonders gegenüber dem
EXIT-Leiter Bernd Wagner, der zur meist gehassten Person erklärt
wurde.
Bedeutet die gestiegene Gewaltbereitschaft eine Gefahr für die
Polizei als Exekutiv-Organ des Staates?
Borstel: Die Machtverhältnisse sind schon sehr klar. Es ist schwer
einzuschätzen, wie sich so eine Symboltat in den Reihen der Polizei
auswirkt. Aus Polizeiseminaren weiß ich, dass sich die Polizisten
sehr oft von ihren Vorgesetzten verlassen fühlen. Sie vermissen
Führung. Hinzu kommt die Angst vor der Gewalt, wenn sie bei
Demonstrationen eingesetzt werden. Eine generelle Bedrohung der
Exekutive sehe ich jedoch nicht.
Halten Sie es für möglich, dass sich die Strukturen der
,,Widerständler" festigen und Zeiten à la RAF auf uns zukommen? Mit
anderen Worten: Droht aus rechtsextremer Gewalt rechtsextremer Terror
zu werden?
Borstel: Mit diesem Vergleich sollte man vorsichtig sein. Was die RAF
stark gemacht hatte, war ein starkes Unterstützungssystem, das auch
in die Eliten hineingereicht hat. Das sehe ich in der Form bei
Rechtsextremisten nicht. Die haben ein Unterstützungsmilieu in
breiteren Kreisen der Bevölkerung, was das Thema Rassismus angeht,
aber nicht, wenn es um Gewalt geht. Und daher sehe ich eine große
Differenz zwischen RAF und dem, was wir heute haben. Was wir
allerdings haben, ist ein Abdriften des rechtsextremen Milieus zu
terroristischer Gewalt. Welche Dynamik das noch entfalten wird, ist
noch nicht absehbar.
u aber eine Tendenz ist schon da?
Borstel: Ja. Es gibt Bewaffnung, einen Revolutionspathos, und wenn
man an Aufrufe denkt wie ,,die Zeit ist reif", ist eine hohe
Gewaltbereitschaft nicht zu übersehen. Trotzdem darf man
unterschiedliche zeithistorische Ebenen nicht direkt miteinander
gleichsetzen. Im Rechtsextremismus gibt es zwar eine allgemeine
Debatte, aber es sind eher autonome Einzelkämpfer, die sich dann
berufen fühlen, die Vollstreckung zu vollziehen.
Ist in den neuen Bundesländern, wo Übergriffe auf Ausländer vor rund
zwei Jahren noch zu einer Diskussion über ,,No-Go-Areas" geführt
hatten, nach der Tat von Passau mit einer neuen Welle der Gewalt zu
rechnen?
Borstel: Solche Ecken wurden zwar für die neuen Länder konzipiert,
aber es gibt sie auch in den alten Bundesländern. Es sind meist sehr
ländlich strukturierte, abdriftende Regionen. Es gibt Modellprojekte
in Vorpommern beispielsweise, da ist Gewalt überhaupt kein Thema
mehr. Das hängt allerdings eher mit einem gewissen
Zusammengehörigkeitsgefühl derjenigen zusammen, die ihrer Heimat treu
geblieben sind.
Also hat Passau da noch keine Auswirkungen?
Borstel: Das lässt sich noch nicht sagen. Passau wird zwar gefeiert
als symbolhafte Tat. Doch inwieweit das Symbol in eigene Aktivitäten
umgemünzt wird, weiß man noch nicht.
Verstärken oder schwächen Parolen wie ,,Kinder statt Inder" den
Zulauf zu den Rechtsextremen?
Borstel: Sie verstärken vielleicht nicht den Zulauf, aber sie geben
den Rechtsextremen das Gefühl, sie sind in der Mitte der
Gesellschaft. So berichten Aussteiger, dass das, was sie gehalten
hat, ist, dass sie aussprechen, was die meisten anderen denken. Und
das stärkt ungemein. So gesehen sind solche Sprüche kontraproduktiv.
Eine Demokratie kennzeichnet auch der Umgang mit Minderheiten.
Wie kommt es, dass sich heutzutage vorwiegend junge Menschen in
rechtsextremistischen Kreisen zuhause fühlen?
Borstel: Da Jüngere eher zu Handlungen bereit sind, also aktiv sein
wollen, finden die Kameradschaften hier schnell Anhänger. Allerdings
sind beispielsweise in der DVU eher Leute ab 50. Die Altersstruktur
ist also nicht einheitlich. Ein weiterer Punkt, warum Jugendliche
leicht zu rekrutieren sind, ist der Mangel an Alternativen in
gewissen Gegenden. Da sind die Rechtsextremisten die einzigen, die
niedrigschwellige Angebote machen wie Sport, Campen, Schachtel
Zigaretten, Kasten Bier und Anerkennung für eine sozial schwache,
bildungsferne Klientel. Genau die Leute, die die etablierten
Jugendorganisationen nicht in ihren Reihen haben wollen. Die wohlige,
Halt gebende Struktur -- abgesehen von ,,Ausländer-raus-Parolen" --
der Rechtsextremen kommt bei diesen Menschen gut an, vermittelt ihnen
eine positive Zukunft.
Welche politischen Signale kann/muss der Rechtsstaat setzen? Borstel:
Was wir brauchen, ist ein Mix aus Maßnahmen. Uns fehlt ein Monitoring
der Situation, sprich eine realistische Situationsanalyse. Uns fehlt
auch eine einheitliche Strategie der Repression. Präventive
Maßnahmen, die auf oben genannte bildungsferne Menschen abzielen. Und
drittens Maßnahmen zur Integration, die auch jenen eine Perspektive
geben. Wenn man jemandem in der 9. Klasse der Hauptschule sagt, er
müsse lebenslang lernen, dann ist das für ihn kein Angebot, sondern
eine Drohung, da er Schule als Ort der größten Demütigung erlebt hat.
Dementsprechend groß ist seine Ablehnung. Hier ist mehr Sensibilität
gefordert. Doch da sich Gesellschaft verändert, muss auch immer
wieder dieser Mix angepasst werden.
Das Interview führte Dietlinde Terjung

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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