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Südwest Presse: Kommentar zur Koalition

Geschrieben am 19-11-2008

Ulm (ots) - Es ist keineswegs ehrenrührig, Vorbehalte gegen ein
Gesetz geltend zu machen, das nicht nur substanzielle Eingriffe in
die individuellen Grundrechte der Bundesbürger vornimmt, sondern auch
das Kräfteverhältnis zwischen den Organen des Bundes und der Länder
einschneidend verändert. Insofern sollte sich das Erstaunen über die
bayerische FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ebenso
in Grenzen halten wie die Empörung über den rheinland-pfälzischen
Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) und ein paar versprengte Jusos
aus dem Freistaat Sachsen, die in seltener Eintracht dafür sorgen,
dass das BKA-Gesetz vor den Schranken des Bundesrats erst einmal
gestoppt wird.
Allerdings liegt der Verdacht nahe, dass es mindestens einem Teil der
Skeptiker nicht in erster Linie um die Sache geht, sondern um
Parteitaktik, weniger um die Verteidigung rechtsstaatlicher
Prinzipien als um Machtspiele. Das ist umso mehr zu tadeln, als es
sich bei der Initiative der Bundesregierung nicht um eine Verordnung
über den Krümmungsgrad von Freilandgurken handelt, sondern um ein
Maßnahmenpaket zur inneren Sicherheit. Das ist nun wahrlich ein Feld,
auf dem politischer Streit erlaubt und sogar geboten ist, aber für
kleinkarierte Spiegelfechtereien taugt der Anti-Terror-Kampf gewiss
nicht.
Der Konflikt um das neue Regelwerk für das Bundeskriminalamt wirft
vor allem ein trübes Licht auf den Zustand der großen Koalition.
Lässt man einmal beiseite, dass Wolfgang Schäuble (CDU) oft genug
Widerspruch bei der SPD provoziert, wo es von der gemeinsamen
Interessenlage her gar nicht nötig wäre, so tragen die Genossen
eindeutig die Hauptschuld an dem aktuellen Fall großkoalitionärer
Kollision. Die deutsche Sozialdemokratie nähert sich nämlich im
Schatten des Debakels von Hessen wieder jenem Zustand, den ein
scharfsinniger Beobachter vor Jahren einmal als "lose verkoppelte
Anarchie" beschrieben hat.
Dieser Mangel an Geschlossenheit bei der SPD korrespondiert freilich
mit einem ebenso augenfälligen Führungsdefizit bei Angela Merkel. Die
Kanzlerin hat zugelassen, dass die CSU auf Kosten des
Koalitionsfriedens Nachbesserungen zur Erbschaftssteuerreform
erzwingen konnte. Kein Wunder, dass nun die Sozis ihrerseits eine
schwer erträgliche Pokerpartie zum BKA-Gesetz eröffnen. Der
CDU-Vorsitzenden gleiten die Zügel im Regierungslager zunehmend aus
der Hand; nicht einmal die beiden Unionsparteien sind sich noch grün,
wie ihr akuter Zoff zur Steuerpolitik zeigt. Angela Merkel ist
vollauf damit beschäftigt, ihre internationalen Verpflichtungen
wahrzunehmen, was sie mit Erfolg und Wonne tut, doch ihre
innenpolitischen Hausaufgaben leiden sichtbar darunter.
Die große Koalition ist 2005 mit dem Anspruch angetreten, wichtige
Weichenstellungen für Deutschland vorzunehmen. Davon ist lediglich
ein Teil eingelöst worden, und das zentrale Projekt der Regierung,
die dauerhafte Konsolidierung des Bundeshaushalts, gerät gerade unter
die Räder der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Zu allem
Überfluss fällt der Bundesrat zurück in eine Blockadehaltung, gegen
die Union und SPD dank ihrer satten Mehrheit eigentlich gefeit
schienen.
Wenn sich die Koalition aber nun als lahme Ente erweist, die den Rest
der Wahlperiode nichts Gescheites mehr hinkriegt, wird der Schaden am
Ende groß sein, nicht nur für die beteiligten Parteien. Das Unbehagen
an der Demokratie, am politischen System wie an der herrschenden
Wirtschaftsordnung, nimmt allmählich bedenkliche Ausmaße an. Die
Verantwortlichen in Berlin und anderswo sollten diese alarmierenden
Signale nicht länger übersehen.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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