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Landeszeitung Lüneburg: "Wir sind kein bewaffnetes THW" - Interview mit Vize-Generalinspekteur Dora

Geschrieben am 30-10-2008

Lüneburg (ots) - Am Hindukusch behauptet sich die Bundeswehr an
ihrem gefährlichsten Einsatzort. Doch ein eigenartiges Tabu umgibt
die Mission. So versuchen die Regierungsparteien, den
Afghanistan-Krieg aus dem anstehenden Wahlkampf herauszuhalten.
Generalleutnant Johann-Georg Dora, der zweithöchste Bundeswehrsoldat,
beschreibt im Interview mit unserer Zeitung, dass die
Bundeswehrsoldaten von der Öffentlichkeit mehr Anerkennung erwarten.

Die Ex-Verteidigungsminister Struck, Rühe und Scharping sprechen
von einem Krieg in Afghanistan, Minister Jung nicht. Wer hat Recht?

Generalleutnant Johann-Georg Dora: Verteidigungsminister Dr. Jung
hat mehrfach betont, wir führen in Afghanistan keinen Krieg. Wir sind
in Afghanistan, um das Land zu stabilisieren, den Wiederaufbau zu
ermöglichen und die Menschenrechtssituation zu verbessern.
Das Wort "Krieg" ist in der deutschen Öffentlichkeit mit ganz
bestimmten Erinnerungen und Bildern verbunden. Mit diesen ist der
Einsatz in Afghanistan nicht zu vergleichen. Dennoch bezeichnen wir
die getöteten Soldaten als Gefallene. Denn das Entscheidende für uns
als Soldaten ist, wie das Geschehen bei uns ankommt. Hierbei ist es
von nachrangiger Bedeutung, ob man den Einsatz in Afghanistan als
Krieg definiert, als Kampf oder als asymmetrischen Konflikt. Für mich
ist es besonders wichtig, den höchsten Einsatz, den unsere Soldaten
dort wagen, auch als solchen anzuerkennen. Deshalb sind auch für mich
Soldaten, die in Afghanistan bei Anschlägen oder Angriffen getötet
werden, Gefallene.

Gebietet es nicht der Respekt vor den Soldaten, den Eiertanz um
das Wort Kampfeinsatz zu beenden?

Dora: Wir haben von Beginn an nicht verschwiegen, dass es bei
diesem Einsatz trotz der Betonung, es handele sich um einen
Stabilisierungseinsatz, auch zu Kampfhandlungen kommen kann. Ich
räume aber ein -- und da schließe ich die Soldaten nicht ganz aus --
dass wir diesen Aspekt vor drei bis vier Jahren nicht in der
Deutlichkeit herausgestellt haben, dass er allgemein erkannt und
gegenwärtig wurde. Insbesondere zu Beginn des Einsatzes wurde vor
allem der humanitäre Aspekt herausgestellt. Damit erfassen wir aber
nur einen Teil der Realität. Wir haben stets unsere Aufbauleistungen
betont, was natürlich auch den Tatsachen entspricht. Aber in letzter
Konsequenz haben Soldaten für Sicherheit zu sorgen und das heißt:
auch zu kämpfen. Wir sind kein bewaffnetes Technisches Hilfswerk. In
dem Bemühen, eine möglichst breite Mehrheit in der Öffentlichkeit und
auch im parlamentarischen Raum von unserem Engagement für Afghanistan
zu überzeugen, wurde dieser unvollständige Eindruck aus heutiger
Sicht nicht mit dem erforderlichen Nachdruck zurechtgerückt. Unsere
Soldaten erwarten aber die Anerkennung ihres gefahrvollen Einsatzes
am Hindukusch. Teilweise ist diese Anerkennung in der deutschen
Öffentlichkeit aber noch nicht so spürbar, wie wir uns das wünschten.

Kann man Kampf- und Stabilisierungseinsatz im Norden noch sauber
trennen?

Dora: Klassisch getrennt waren diese Einsätze noch nie, weil der
eine die Vorbedingung des anderen ist. Der OEF-Einsatz war und ist
erforderlich, um einen erfolgreichen ISAF-Einsatz durchführen zu
können. So läuft ein großer Teil der Ausbildungsunterstützung für die
afghanische Armee, z.B. der Amerikaner unter dem OEF-Mandat. Deshalb
ist die moralische Aufladung des OEF-Einsatzes und damit des Kampfes
gegen den Terrorismus als "böse" und die des Stabilisierungseinsatzes
unter ISAF-Mandat als "gut" -- wie sie in Deutschland noch allzu oft
anzutreffen ist -- nicht richtig.

Die Mehrheit der Afghanen ist für den Bundeswehr-Einsatz, die
Mehrheit der Deutschen dagegen. Erhält die Truppe ausreichend
Flankenschutz von der Politik?

Dora: Grundsätzlich ja, ich erlebe im Bundestag und in den
Ausschüssen immer wieder, dass sich die Politiker für die Bundeswehr
und für die stete Verbesserung der Bedingungen im Einsatz engagieren.
Dass es in der Bevölkerung möglicherweise Vorbehalte gegen den
Einsatz gibt, liegt auch daran, dass Politik und Militär nicht
überzeugend klar gemacht haben, worum es in Afghanistan tatsächlich
geht. Dieses Versäumnis gilt es aufzuarbeiten.

Seit 2006 geht es mit der Sicherheitslage bergab. Sind
Versäumnisse beim Wiederaufbau dafür verantwortlich?

Dora: Wir verfolgen in Afghanistan die Strategie des
"Comprehensive Approach", also eines umfassenden Ansatzes, der zivile
und militärische Stellen Hand in Hand am Wiederaufbau beteiligt.
Deshalb erhebe ich jetzt nicht den Finger und unterstelle den zivilen
Stellen Versäumnisse. Tatsache ist aber, dass die zivile Komponente
in weiten Teilen noch in der Entwicklung ist. Zum Teil mangelt es
dabei auch noch an der Koordination untereinander, zum einen zwischen
unterschiedlichen zivilen Akteuren wie Nicht-Regierungsorganisationen
und staatlichen Organisationen, zum anderen auch zwischen den Helfern
und den Sicherheitsorganen. Wenn zivile Aktionen nicht
hundertprozentig mit den ISAF-Kräften oder der afghanischen Armee und
Polizei abgestimmt sind, kann der Wiederaufbau als Ganzes nicht
funktionieren.

Sind die Mandate der Bundeswehr mit zwölf bzw. jetzt 14 Monaten zu
kurzatmig?

Dora: Nein, wir decken damit einen Zeitraum ab, für den wir auch
mittelfristig planen können, und der es uns erlaubt, unsere Maßnahmen
kontinuierlich an die sich ändernden Verhältnisse anzupassen.

Restriktive Einsatzregeln nagen am Auftragsprinzip als
Führungsmethode der Bundeswehr. Behindern realitätsblinde Vorgaben
die Kommandeure vor Ort?

Dora: Soweit würde ich nicht gehen, realitätsblinde Vorgaben kenne
ich nicht. Vorgaben können nicht immer alle Details vor Ort
realitätsnah abbilden, müssen aber flexibel umsetzbar sein. Ohne
klare und eindeutige Regeln kann man im Einsatz nicht agieren, gerade
wenn es um den Waffeneinsatz und damit um Leben und Tod geht. In
einer bedrohlichen Situation kann der Soldat nicht noch lange über
sein Handeln nachdenken, für ihn muss Handlungssicherheit gelten.
Gerade im Einsatz bewährt sich das Prinzip "Führen durch Auftrag".
Ich kenne keine treffendere Situation, in der Soldaten in die Lage
geraten, sehr selbstständig im Sinne des Ganzen handeln zu müssen.
Diese Forderung haben wir gut in die Tat umgesetzt. Unsere
Handlungsanweisungen sind handhabbar.

Gegenläufige Strategien, Koordinationsmängel und gegenseitige
Vorwürfe kennzeichnen den NATO-Einsatz. Verliert das Bündnis am
Hindukusch seinen Zusammenhalt?

Dora: Nein, eine solche Bestandsaufnahme ist überzeichnet. Die
Einsatzregeln sind klar. Jeder weiß, was der andere darf oder nicht
darf. Sämtliche Operationen sind daraufhin abgestimmt. Dass die
Einsatzgebiete in Afghanistan geografisch aufgeteilt sind, wird
hierzulande überinterpretiert. Wir haben Verantwortung übernommen für
den Norden Afghanistans. Andere Nationen haben Verantwortung
übernommen für den Süden, den Westen, den Osten oder Kabul. Die
Verbündeten verfügen über entsprechende Kräfte in ihrem Bereich.
Sollten diese Kräfte nicht genügen, muss der Oberkommandierende der
NATO für Verstärkungen sorgen. Im Moment sehe ich keine eklatanten
Fähigkeitsdefizite in irgendeinem Bereich, die dringend geschlossen
werden müssten. Werden Lücken erkannt, so werden sie in der Regel
geschlossen. So haben wir z.B. die Lücke in der Luftaufklärung
geschlossen, indem wir die Recce-Tornados entsandt haben, die über
ganz Afghanistan -- und zwar vorwiegend im Süden und Osten --
eingesetzt werden. Ebenso ist es normal, dass unsere Transportflüge
mit der Transall ganz Afghanistan abdecken. Dementsprechend sehe ich
keine Berechtigung zur Kritik, Deutschland würde sich ausschließlich
auf den Norden konzentrieren. Sich an anderer Stelle zu engagieren,
hieße zugleich, im Norden etwas aufzugeben. Und das kann nicht im
Sinne des ISAF-Einsatzes sein. Auch die Erhöhung der
Mandatsobergrenze um 1000 auf 4500 Soldaten zielt ja nicht darauf,
einfach neue Kräfte in Marsch zu setzen. Sondern sie erhöht unsere
Flexibilität, um auf Lageveränderungen angemessen reagieren zu
können. Derzeit stehen andere Aufgaben im Vordergrund: So werden
neben den drei schon bisher in diesem Bereich tätigen OMLT
(Operational Mentor and Liasion Team), zwei weitere treten, die
afghanische Truppen ausbilden. Zudem bauen wir im Norden eine
Pionierschule und in Kabul eine Logistikschule auf. Dieses Engagement
ist auch bei unseren Verbündeten anerkannt. Ein stabiler Norden trägt
auch zur Sicherheit der anderen Regionen bei.

Die Sowjets scheiterten, obwohl sie doppelt so viele Soldaten im
Land hatten und sich auf eine funktionierende afghanische Armee
stützen konnten. Sind die Ziele des Westens in Afghanistan vermessen?

Dora: Das halte ich nicht für vergleichbar. Natürlich wäre es
vermessen davon auszugehen, aus Afghanistan in Kürze eine Demokratie
westlicher Prägung machen zu können. Uns muss vielmehr klar sein, in
welchem Kulturkreis wir uns dort bewegen. Wir können nicht aus einem
traditionell föderalen Land nach über 20 Jahren Bürgerkrieg im
Handumdrehen ein dauerhaft funktionierendes, sicheres Staatswesen mit
durchsetzungsfähiger zentraler Regierung machen. Wir müssen damit
zufrieden sein, wenn wir die Bedingungen schaffen, die gutes
Regierungshandeln möglich machen. Und hier bin ich optimistisch: Die
Fortschritte bei der Polizei, der Justiz und der Armee sind so groß,
dass es uns gelingen könnte, der afghanischen Regierung mittelfristig
durchsetzungsfähige Mittel an die Hand zu geben, um darauf aufbauend
irgendwann Sicherheit mit eigenen staatlichen Einrichtungen zu
gewährleisten.

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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