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Berliner Morgenpost: Ein Trümmerhaufen - Leitartikel

Geschrieben am 29-10-2008

Berlin (ots) - Heute schließt Tempelhof. Ein trauriger Tag für
Berlin und Deutschland. Nicht so sehr wegen des eingestellten
Flugbetriebs. Damit könnte man leben. Sondern wegen der
übergeordneten Symbolkraft, die von diesem Akt politischer Willkür
und Wurstigkeit ausgeht. Es ist ein Stilwechsel im Zeichen von
Geschichtsvergessenheit und Wirtschaftsfeindlichkeit. Es ist ein
Sinnbild für einen Führungsstil, in dem die Taktik über der Sache
steht.
Tempelhof ist ein historischer Ort, ein politischer Ort und ein
Zukunftsort. Hier wurde 1923 der erste Verkehrsflughafen der Welt
gebaut, ein international bewundertes architektonisches Meisterwerk,
oder wie Norman Foster es formulierte: "Die Mutter aller Flughäfen".
Nach dem Krieg wurde Tempelhof zum Schauplatz der Luftbrücke -
Überlebenshilfe für viele Berliner und Bollwerk für die Verteidigung
der Freiheit. Die Amerikaner und Engländer hielten allem
tagespolitischen Pragmatismus zum Trotz an Berlin als Stachel im
Fleisch der sowjetischen Zone fest. Es ist wahrscheinlich, dass es
ohne Luftbrücke Jahrzehnte später keine deutsche Wiedervereinigung
gegeben hätte.
Tempelhof steht aber nicht nur für Berlins Vergangenheit, Tempelhof
hätte auch für seine Zukunft stehen können. Wirtschaftlich ist die
Hauptstadt ein Armenhaus. Aber einen Jahr um Jahr wichtiger werdenden
Vorteil hatte Berlin und wurde darum von anderen Metropolen beneidet:
einen innerstädtischen Flughafen, von dem in zehn Minuten alle großen
Büros der Stadt zu erreichen sind. Andere Großstädte bauen sich
mühsam diese zentralen City-Flughäfen, um für Investoren und
Geschäftsleute attraktiv zu sein. Berlin hat einen solchen - und
schließt ihn. Eine Entscheidung, die in wenigen Jahren schon bitter
bereut werden wird.
Denn das Fluggastaufkommen in Berlin wächst jährlich um acht Prozent
(besonders schnell übrigens das für Tempelhof prädestinierte
Geschäftsfliegervolumen). Denn jetzt schon ist absehbar, dass der neu
zu bauende, innenstadtfern gelegene Großflughafen Schönefeld diese
Kapazitätssteigerungen gar nicht bewältigen kann. Zudem gibt es für
die Nutzung des Tempelhofgeländes keinerlei Konzept (und für weitere
Wohn- oder Büroflächen in Berlin auch keinen Bedarf). Und die
Unterhaltung des stillgelegten Flughafens kostet die Steuerzahler pro
Jahr viel mehr Millionen als die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs.
Und obendrein hätte es einen Investor gegeben, der in den Ausbau des
Flughafens und seine Erweiterung um ein Klinikzentrum mehr als 300
Millionen Euro investiert und mehr als 1000 neue Arbeitsplätze in der
von Arbeitslosigkeit geschlagenen Stadt geschaffen hätte.
Stattdessen beharrte der Bürgermeister auf seiner frühen
Fehlentscheidung, den Flughafen zu schließen, schob formaljuristische
Argumente vor und mobilisierte den Ostteil der Stadt mit einer
Sozialneid-Kampagne unter dem demagogischen Slogan: "Ich zahl' doch
nicht für einen VIP-Flughafen".
International wird diese Entwicklung verständnislos registriert.
Verwundert fragt man sich anderswo: Warum schadet die deutsche
Hauptstadt sich freiwillig, warum wuchert man nicht mit einem Pfund,
das die Stadt als Unternehmensstandort und Magnet für Investoren
interessant machen würde?
Der Grund dafür ist einfach: Es gibt in Berlin offensichtlich
Politiker, die an einem wirtschaftlichen Aufschwung gar kein
Interesse haben. In keiner Großstadt Deutschlands gibt es so viele
Sozialtransferempfänger wie in Berlin. Die rot-rote Regierung ist
eine Umverteilungsmaschine und Garant für üppig sprudelnde
Sozialleistungen an die Staatsabhängigen. Die Transferempfänger sind
des Bürgermeisters treueste Klientel. Deshalb lautet die zynische
Berliner Rechnung: Jeder neue Arbeitsplatz kostet Wähler.
Dass die Berliner Landesregierung die Flughafenentscheidung zur
sozialpopulistischen Stimmungsmache missbraucht, ist traurig, aber
erklärbar. Der eigentliche Skandal besteht aber darin, dass die
Bundesregierung das geschehen lässt. Mit einem Federstrich hätte das
Projekt in die Zuständigkeit des Kanzleramtes überführt werden
können. Die Bundesregierung hätte zeigen können, dass ihrem oft
proklamierten Sinn für Geschichte, für Symbole und für Aufschwung
auch Taten folgen können. Doch das war ihr im gegenwärtigen
christsozialistischen Großkuschelklima wohl zu riskant.
Den ersten Passagierflughafen der Welt konnten weder Nazis noch
Kommunisten erledigen. Eine Koalition aus Mittelmaß und Mutlosigkeit
hat es jetzt geschafft. Der Trümmerhaufen Tempelhof reicht weit über
die Grenzen der Landebahn hinaus.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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