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Südwest Presse: Leitartikel zu SPD, Ausgabe vom 20.Oktober

Geschrieben am 19-10-2008

Ulm (ots) - Der Sturz Kurt Becks und die Krise des internationalen
Finanzsystems haben wenig miteinander zu tun. Doch beide Vorgänge
sind ursächlich für die Rückkehr der SPD als ernst zu nehmender
Akteur auf der politischen Bühne der Bundesrepublik. Unter neuer
Führung schöpft die Partei jenen Mut, der sie am Ende der Amtszeit
des Pfälzers auf ganzer Linie verlassen hatte. Angesichts einer
Marktordnung, die ihr Vertrauenskapital fast komplett verspielt hat,
sieht sich die SPD als Hüterin des Sozialstaats erst recht im
Aufwind.
Der Zeitgeist, der den Genossen in den letzten Jahren so wenig hold
war, wendet sich ab von den Propheten eines ungebremsten Wettbewerbs
und verschafft einer Partei wieder mehr Gehör, die seit 145 Jahren
die Fahne einer gerechten und solidarischen Gesellschaft hoch hält.
Plötzlich blickt die SPD selbstbewusst und sogar stolz auf ihre
Tradition als "Betriebsrat der Nation", nachdem sie sich von diesem
Profil in der jüngeren Vergangenheit fast schon verabschiedet hatte.
Neuerdings schauen Sozialdemokraten nicht länger verschämt zu Boden,
wenn sie dem exzessiven Treiben von Spekulanten Zügel anlegen und
Hilfe für die Globalisierungsverlierer organisieren wollen. Der von
vielen Genossen als kalter Modernisierer geschmähte Peer Steinbrück
rückt als entschlossener Kämpfer gegen die Übermacht der
Geldaristokratie beifallumrauscht zurück in die Mitte seiner Partei -
wie sich die Zeiten doch ändern! SPD reloaded.
Tatsächlich wirkt die Sozialdemokratie programmatisch gut vorbereitet
auf eine Epoche grundlegender Neujustierungen in Wirtschaft, Staat
und Gesellschaft. Jedenfalls kann die SPD glaubwürdig auf eine klare
Position im Streit um die Rolle der Politik bei der Gestaltung des
Marktes verweisen, während die Union in der Wirtschaftspolitik seit
Jahren zwischen Neoliberalismus und Sozialdemokratisierung schwankt.
Keine andere steht für diesen Zickzackkurs so sehr wie Angela Merkel.
Es spricht also viel dafür, dass Franz Müntefering recht hat, wenn er
sagt: Die CDU stellt die Kanzlerin, aber die Meinungsführerschaft hat
sie nicht.
Doch muss die SPD aufpassen, dass sie sich nichts vormacht. War die
Stimmung in der Partei zu Zeiten Becks noch schlechter als die Lage,
so könnte es nun umgekehrt sein. Die Zuversicht, die der SPD unter
ihrem neuen Führungsduo zufliegt, ist kein Abbild des unverändert
fragilen Zustands der Partei. So unvermittelt die Genossen ihre
Spitzenleute absägen, so schnell gehen sie zur Tagesordnung über,
ohne nach den tiefer liegenden Gründen für Personalquerelen und
Flügelkämpfe zu fragen.
Sicher ist Frank-Walter Steinmeier ein seriöser Kanzlerkandidat, ein
Staatsmann, dem die Bevölkerung das Amt zutraut, ohne bislang genau
zu wissen, in welche Richtung die Reise mit ihm ginge. Ohne Zweifel
gibt es in der SPD niemanden, der Franz Müntefering als Experte für
Parteiorganisation und Wahlkampf das Wasser reichen könnte. Doch ist
die neue Geschlossenheit der SPD einstweilen bloß ein Versprechen.
Ihre Bewährungsprobe haben beide in den nächsten Monaten noch vor
sich - die Partei und ihr neues Tandem an der Spitze. Die SPD muss
bei der Debatte um ihr Wahlprogramm eine Streitkultur finden, die
weder das Selbstbewusstsein der Basis verletzt noch die Führung
gleich wieder beschädigt. Steinmeier und Müntefering sind rein
theoretisch ein kongeniales Paar - die vertrauensbildende Maßnahme in
Person und der Chefstratege für die Abteilung Attacke. Ob das in der
praktischen Arbeitsteilung wirklich funktioniert, ist eine andere
Frage. Sie ist, auf dem Weg zum 27. September 2009, für die SPD von
wahlentscheidender, vielleicht sogar von existenzieller Bedeutung.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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