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ITX: Verunreinigung von Kartonsäften wurde über Monate verschwiegen

Geschrieben am 26-05-2006

Berlin (ots) - Nur Baden-Württemberg reagierte auf erste Meldungen
aus Italien und nahm eigene Messungen vor - Bund und andere Länder
bis heute untätig - Weitere Funde der Druckchemikalie in einzelnen
Säften - Frage der Giftigkeit immer noch ungeklärt

Berlin, 26. Mai 2006: Die zuständigen Behörden von Bund und
Ländern waren über ITX- Verunreinigungen von Frucht- und Gemüsesäften
in Kartonverpackungen früher unterrichtet, als bisher angenommen. Die
Verantwortlichen wussten darüber hinaus, schon spätestens im November
2005, dass die wissenschaftliche Datenlage für
Unbedenklichkeitserklärungen bezüglich der Giftigkeit von ITX nicht
annähernd ausreichte. Trotzdem wurde die Öffentlichkeit über Monate
hinweg insbesondere von Bundesverbraucherschutzminister Seehofer mit
entwarnenden Erklärungen ruhig gestellt. Das geht aus den jetzt
vorliegenden Antworten der zuständigen Landesministerien auf
entsprechende Auskunftsersuchen der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH)
hervor.

Aus einem vertraulichen Ergebnisprotokoll der vorläufigen
Kunststoffkommission des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR)
vom 23./24. November 2005 ergibt sich außerdem, dass aus einigen
Bundesländern - ausdrücklich genannt werden Baden-Württemberg und
Hessen - bereits im Oktober Messergebnisse vorlagen. Diese ergaben
bei einer Reihe von in Deutschland abgefüllten und vertriebenen
Lebensmitteln tatsächlich ITX-Funde; entsprechend wurden
Beanstandungen gegenüber den Verantwortlichen Unternehmen
ausgesprochen. Die Öffentlichkeit erfuhr von diesem innerdeutschen
Vorlauf nichts, auch nicht als das Thema ITX Ende November 2005 in
Italien Furore machte und die dortigen Behörden die Regale binnen
Stunden von ITX-belasteten Milchprodukten räumten.

"Allmählich fügt sich ein Bild zusammen, das von systematischer
Verschleierung geprägt ist", sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen
Resch. "Hätte die Deutsche Umwelthilfe nicht seit dem Januar 2006
eigene Untersuchungen veranlasst und die Ergebnisse unter Nennung von
Ross und Reiter veröffentlicht, unterläge dieses Problem vermutlich
bis zum heutigen Tag der Geheimhaltung. Die deutschen Verbraucher und
Verbraucherinnen müssten glauben, ITX in Lebensmittel sei ein reines
Auslandsproblem."

Am 8. September 2005 waren alle in Bund und Ländern zuständigen
Behörden über das so genannte europäische Schnellwarnsystem von den
ITX-Funden in Italien unterrichtet worden. Die Reaktionen hätten
unterschiedlicher kaum ausfallen können. Während das Chemische
Veterinäruntersuchungsamt in Stuttgart unverzüglich eine
Analysemethode entwickelte, Untersuchungen startete, fündig wurde und
an die betroffenen Unternehmen Beanstandungen versandte, blieben
andere Länderbehörden weitgehend untätig. Thüringen und
Nordrhein-Westfalen erklären gegenüber der DUH, erst seit November
von ITX-Belastungen in Kartonverpackungen zu wissen. Thüringen
versicherte noch im März diesen Jahres, man arbeite an einer
ITX-Nachweismethode - ein halbes Jahr, nachdem Baden-Württemberg
bereits Beanstandungen verschickte und Wochen nachdem die DUH
erstmals Kontaminationsergebnisse veröffentlicht hatte. Die
Landesregierung in NRW erklärte auf eine kleine Anfrage der Grünen im
Landtag, sie habe erst im Januar 2006 von belasteten Kartonsäften in
Kroatien erfahren, es aber nicht als zielführend erachtet,
Stichproben im Handel angebotener Produkte zu untersuchen.
Gleichzeitig räumt das Land ein, dass mit der
Kontaminanten-Kontrollverordnung (EWG 315/93) grundsätzlich geeignete
rechtliche Grundlagen bestehen würden, um die Verwendung unbelasteter
Verpackungen durchzusetzen. Baden-Württemberg hatte ITX auch in
Fruchtsäften von Abfüllern aus Hessen und Rheinland-Pfalz beanstandet
und die dort zuständigen Behörden entsprechend informiert - ein
Umstand, der in den Antworten dieser Länder an die DUH nicht erwähnt
wird. Einige Bundesländer, in denen keine Abfüller ansässig sind,
erklärten schlicht, es gebe deshalb für sie keinen Handlungsbedarf -
ITX wird dort nicht abgefüllt, sondern nur getrunken.

Viele Länder verweigerten weitergehende Auskünfte mit dem Hinweis,
die von der DUH verlangten Informationen seien keine
Umweltinformationen im Sinne der Umweltinformationsrichtline. Auch
das Bundesverbraucherschutzministerium beschränkte sich monatelang
und beschränkt sich auch weiterhin auf Abwiegelungsparolen. Aus dem
Protokoll der vorläufigen Kunststoffkommission vom November 2005 geht
hervor, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt Bund und alle Länder über
die ITX-Funde unterrichtet waren. Auch war bereits bekannt, dass die
bisher vorliegenden toxikologischen Untersuchungen zu ITX keine
aussagekräftige Bewertung erlaubten.

"Seit Monaten erleben wir eine Informationsblockade, ein ständiges
Hinhalten und Abblocken bis das Problem durch die Kehlen der
Verbraucherinnen und Verbraucher entsorgt ist. Das ist die einzig
erkennbare Strategie von Seehofer und Co.", sagte Cornelia Ziehm,
Leiterin Verbraucherschutz und Recht der DUH. "Wenn es noch eines
Beweises bedurft hätte, dass wir dringend mehr Informationsrechte der
Verbraucher brauchen, dann wäre es diese Geschichte einer
Informationsverweigerung. An dieser Misere scheinen Horst Seehofer
und die Regierungsfraktionen leider auch nichts ändern zu wollen", so
Ziehm. Der nunmehr vorliegende Gesetzentwurf für ein
Verbraucherinformationsgesetz (VIG) werde von der DUH gerade auch mit
Blick auf die ITX-Problematik massiv kritisiert. Diese Kritik werde
die DUH auch in der am kommenden Montag im Bundestag stattfindenden
Anhörung zum VIG aufrechterhalten.

Unterdessen stehen immer noch kontaminerte ITX-Kartons in den
Regalen. In der vergangenen Woche ergaben von der DUH veranlasste
Messungen eine Belastung in Höhe von 233 Mikrogramm ITX pro Kilogramm
in dem "Orangensaft CLASSIC" des Abfüllers Kumpf. Das Getränk war in
einem 1 l-Karton der Firma Tetrapak verpackt. Insgesamt zeigen die
andauernden DUH-Analysen eine Tendenz, die nur Zyniker
zufriedenstellen kann: Die Zahl der belasteten Säfte nimmt merklich
ab, weil die von der DUH als hoch belastet beanstandeten Produkte aus
den Regalen entfernt wurden - und weil die Strategie von
Verbraucherschutzminister Horst Seehofer allmählich aufgeht, das
Problem durch Austrinken zu lösen. "Vor diesem Hintergrund besteht
leider kein Grund zur Freude", so Eva Leonhardt, Projektleiterin für
Kreislaufwirtschaft der DUH, "wir wissen noch nichts darüber, welche
Stoffe in den neuen Kartons ITX ersetzen, ob auch sie in die Getränke
diffundieren, geschweige denn wie giftig sie sind. Die notwendigen
Daten will die Druckfarbenindustrie bereitstellen - frühestens im
Jahr 2010."

Auf Veranlassung der DUH wurden seit Januar 2006 insgesamt 107
Produkte auf ITX-Kontaminationen untersucht. Davon enthielten 20 mehr
als 50 Mikrogramm ITX pro Kilogramm, weitere 21 zwischen 10 und 50
Mikrogramm. Die hoch belasteten Säfte wurde größtenteils aus den
Regalen entfernt, nachdem die DUH die Produktnamen veröffentlich
hatte.

Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=22521
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_22521.rss2

Für Rückfragen:

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe e.V., (DUH),
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, (www.duh.de), Tel.: 030/258986-0,
mobil 0171/3649170, Email: resch@duh.de

Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Verbraucherschutz und Recht, Deutsche
Umwelthilfe e.V. (DUH), Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.:
030/258986-18, mobil: 0160/5337376, Email: ziehm@duh.de

Eva Leonhardt, Projektleiterin Kreislaufwirtschaft, Hackescher Markt
4, 10178 Berlin, Tel.: 030/258986-12, Fax.: 030/258986-19, mobil:
0151/16716545, Email: leonhardt@duh.de


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