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Politik als die Kunst des Sich-Durchwurstelns oder: Das absehbare Ende der großen Reformprojekte

Geschrieben am 23-05-2006

Hamburg (ots) - Politik in Deutschland gleicht einem Zug mit
vielen Bremsen und einer schwachen Lok. Selbst der Austausch durch
eine kräftigere Zugmaschine ändert an der Vielzahl der Bremsen
nichts. Für Dr. Eckard Bolsinger, stellvertretender Institutsdirektor
von HAUS RISSEN HAMBURG, war deshalb die Enttäuschung über das
Reformtempo der großen Koalition vorhersehbar. Angela Merkel mußte
innerhalb weniger Monate erfahren, was vor ihr Tony Blair, Bill
Clinton und Gerhard Schröder erlebten: Politik in Demokratien ist
nicht die Umsetzung eines großen und wissenschaftlich abgesicherten
Reformprojekts.

Dieser scheinbare Nachteil ist im Grunde der größte Vorteil einer
Demokratie. Wenn groß angekündigte Reformen immer auf etablierte
Interessen und Privilegien treffen, dann verhindert dies den großen
Systembruch. Politik in Demokratien ist für Bolsinger ein
Sich-Durchwursteln gegenüber einem Geflecht von Einspruchsgruppen.
Reformen sind immer nur durch eine Strategie der unkoordinierten
kleinen Schritte möglich. Der einzig brauchbare Test für die
Richtigkeit einer Reform ist daher die Einigung der verschiedensten
Interessen auf eine bestimmte Politik und nicht die Lehrmeinung eines
Professors für Volkswirtschaft.

Die Politik des Sich-Durchwurstelns entspricht zudem einer
pluralistischen Gesellschaft in idealer Weise. Politische
Entscheidungen berücksichtigen eine Vielzahl der vorhandenen
Interessen und somit die in der Gesellschaft vorhandenen Werte.
Reformen in Demokratien werden nicht von Spezialisten ersonnen, von
der Politik übernommen und von der Verwaltung umgesetzt. Dieses naive
Bild von Politik, so Bolsinger, hat mit der Realität in Demokratien
nichts zu tun. Wer dieser Vorstellung anhaftet, wird von der Politik
immer nur enttäuscht sein. Natürlich bedeutet eine Politik des
Sich-Durchwurstelns nicht das Ende des Kampfs um bessere Ideen. Da
sich Politik an veränderte Bedingungen anpassen sollte, muß über
alternative Ordnungsentwürfe gestritten werden. Wenn Reformen aber
wirken sollen, dann müssen sie von vielen Gruppen getragen und
mitentschieden werden. Reformen können dann nie der lang erwartete,
große Wurf sein. Sie sind stets die partielle Anpassung an veränderte
Realitäten, die sich aber nicht weit vom aktuellen Ausgangspunkt
entfernen.

Diese schrittweise Veränderung des bestehenden Zustands
berücksichtigt die Grenzen der menschlichen Entscheidungsfähigkeit.
Wenn schon die Kürzung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch das
Arbeitslosengeld II nicht zu Einsparungen, sondern zu explodierenden
Kosten führt, wie können dann die unbeabsichtigten Folgen von
radikaleren Reformen vernünftig kalkuliert werden? Weil unser Wissen
über die Wirkung von großen Reformprojekten begrenzt ist, ist die
schrittweise Veränderung des Status quo der sicherste Weg, um
unerwünschte Konsequenzen einzudämmen. Politik in Demokratien ist
immer Versuch und Irrtum und nicht das Experimentieren von Ökonomen
am lebenden Objekt. Reformen bleiben hier immer Stückwerk - und das
ist gut so.

Dr. Eckard Bolsinger
Stellv. Institutsdirektor
HAUS RISSEN HAMBURG
Internationales Institut für Politik und Wirtschaft
E-Mail: Bolsinger@hausrissen.org


Originaltext: HAUS RISSEN HAMBURG
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=16115
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_16115.rss2


Pressekontakt:

Dr. Dirk Pangritz
Vorstandsmitglied
HAUS RISSEN HAMBURG
Tel. (040) 81 907 10
E-mail: pangritz@hausrissen.org


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