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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur NS-Bücherverbrennung vor 75 Jahren

Geschrieben am 08-05-2008

Bielefeld (ots) - Nun mahnen sie und gedenken wieder. Der 10. Mai
aber, der 75. Jahrestag der Bücherverbrennung durch devote
Kulturfeinde, fällt in diesem Jahr auf einen Samstag, und so werfen
die Berufserinnerer ihr Betroffenheitskränzchen eben einen Tag vorher
ab - der Bundespräsident stellt sich heute auf den Pariser Platz und
redet, die Akademie der Künste, der Börsenverein und das
P.E.N.-Zentrum bilden einen Halbkreis, und dann ist endlich
Wochenende: Fahrt ins Grüne, »Sportschau«!
»Wenn es Goebbels gelingt, unsere Namen von den deutschen Tafeln zu
löschen, sind wir tot. Schon die nächste Generation wird nichts mehr
von uns wissen«, schrieb René Schickele im Exil. René wer? Eben. Es
nützt nichts, dass Thomas Mann den charmanten Romancier und
Essayisten aus dem Elsass für seine Trilogie »Das Erbe am Rhein«
(1925) rühmte: vergessen! Man könnte sich noch heute mit Gewinn in
ihr verlieren, aber . . . leider . . . Goebbels . . .
Glücklich hat man Beelzebub benannt, verweist schaudernd auf seinen
Hinkefuß und dann ab ins Wochenende. Allerdings führt die
Personalisierung der Schuld auf die schiefe Ebene der
Geschichtsklitterung: Die da am 10. Mai 1933 in allen (!) deutschen
Universitätsstädten Buch um Buch heranschleppten, um es unter Tuten
und Blasen der SA-Kapellen und zum Vortrag sprachlich defekter
»Feuersprüche« in die Flammen zu werfen, waren lokale Beamte,
Polizisten, Mitarbeiter der Hochschulen, Studenten.
Gewiss: Die Bücherverbrennung war eine Etappe auf dem Weg in den
kulturell kastrierten Einheitsstaat - und insofern des
Propagandaministers Freude -, es erstaunt jedoch, dass die
Institutionen, allen voran die Universitäten, kaum noch zuckten. Drei
Monate nach der Machtergreifung war ihr Selbstbehauptungswille nur
mehr so schwach ausgeprägt, dass der Hitlerbiograph Ian Kershaw das
böse Wort von der »Selbstgleichschaltung« zu Recht im Munde führen
darf.
Vor 75 Jahren wurde der Geist schutzlos. Das ist nicht nur der 150
Namen umfassenden Goebbelschen Liste vom April 1933 geschuldet,
sondern mindestens ebenso der Deutschen Studentenschaft, der das
»Hochgefühl des nationalen Aufbruchs« (Joachim C. Fest) das Hirn
vernebelte. Erich Kästner, dessen Bücher auch auf den Scheiterhaufen
flogen, stand fassungslos im Abseits und schrieb hinterher: »Es war
widerlich.«
Heute nun, werden die verbrannten Bücher gezählt. 20 000 alleine am
Berliner Opernplatz - Rekord! 500 000 Kilogramm Bücher bis Ende Mai
'33 vernichtet - da sind Erinnerer am Werk, die große Literatur nicht
lesen, sondern wiegen.
In unserer Gesellschaft, in der die Kultur langsam ausblutet, passt
diese Attitüde ins Bild. Von Schalom Asch bis Stefan Zweig: Club der
toten Dichter. Sieg der Feuerteufel. Jetzt irrlichtert Charlotte
Roche durch die Amüsierhallen der Republik: Wo das Erinnern in
Ritualen erstarrt, überleben nicht die Gedanken der Fittesten,
sondern die der Fadesten.

Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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