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Dr. Hermann Scheer (SPD-ZUKUNFTSTEAM Wirtschaft und Umwelt): Die Aufhebung der Atomsubventionen ist überfällig

Geschrieben am 03-01-2008

Wiesbaden (ots) -

Gesetzesinitiative für eine Neuregelung der Finanzierung der
atomaren Entsorgung und der Atomhaftung

Eine SPD-geführte Landesregierung in Hessen wird unverzüglich über
den Bundesrat eine Gesetzesinitiative ergreifen, die die indirekte
Subventionierung der Atomkraftwerksbetreiber im Zusammenhang mit den
Rückstellungen für die atomare Entsorgung und in Form der
weitgehenden Freistellung von einer angemessenen Atomhaftung aufhebt.
Nicht allein wegen der rechtskräftig und zeitnah anstehenden
Stilllegung der Atomreaktoren Biblis A und Biblis B bis 2009 bzw.
2013 und den besonders von älteren Reaktoren ausgehenden
überdurchschnittlichen Schadensgefahren ist eine generelle
gesetzliche Neuregelung der bisherigen Rückstellungs- und
Haftungspraxis überfällig.

Unmittelbarer formaler Anlass für diese Initiative ist

- zum einen die jüngste Mitteilung der EU-Kommission an
den Rat, KOM (2007) 794 vom 17.12.2007, in der
schwerwiegende Bedenken gegen die derzeitige deutsche
Rückstellungspraxis für die atomare Entsorgung erhoben
werden, weil sie den EU-Binnenmarkt verzerrt. Damit
bestätigt sie die Kritik, die ich seit vielen Jahren an
der deutschen Praxis der steuerfreien Rückstellungen
für die Atomentsorgung geäußert habe;

- zum anderen die in diesem Halbjahr im Bundestag
anstehende Änderung des Atomhaftungsrechts, in dem
jedoch - dem vorliegenden Entwurf der Bundesregierung
zufolge - die Kernfrage der gegenwärtigen
Atomhaftungsregelungen nicht behandelt wird, nämlich
die Höhe der von den Atomkraftwerksbetreibern zu
leistenden Deckungsvorsorge.

Zur Rückstellungsfrage:

Die steuerfreien Rückstellungen für die atomare Entsorgung
(Rückbau stillgelegter Atomkraftwerke und atomarer Entlagerung), die
die Atomkraftwerksbetreiber bilden dürfen, liegen bei einem
Gesamtvolumen von gegenwärtig knapp 30 Mrd. Euro. Diese Mittel dürfen
über lange Zeiträume - bis zum Eintritt des jeweiligen
Rückstellungszwecks - operativ von den Stromkonzernen frei für
beliebige Investitionen verwendet werden. Sie haben damit die
Funktion steuerfreier Gewinne, mit denen die Atomkraftwerkbetreiber
einzigartige Wettbewerbsvorteile in der Hand haben - besonders
gegenüber den Stadtwerken. Nicht zuletzt mit diesen Gewinnen wurde
der Konzentrationsprozess der deutschen Stromwirtschaft
vorangetrieben, der eine der Hauptursachen der weit
überdimensionierten Preissteigerungen ist, mit denen die Verbraucher
laufend heimgesucht werden. Der aus der gegenwärtigen
Rückstellungsregelung abgeleitete operative Vorteil ist auch einer
der wesentlichen Gründe, warum diese Stromkonzerne unbedingt am
Betrieb von Atomkraftwerken festhalten wollen.

Die Rückstellungsmilliarden sind eine indirekte Subvention der
großen Stromkonzerne. Hinzu kommt: Es ist nicht sichergestellt, dass
die rückgestellten Milliardenbeträge im Bedarfsfall unmittelbar
abrufbereit sind, da sie in anderweitigen Investitionen und
Unternehmen gebunden und somit auch Kurs- und Konkursrisiken
ausgesetzt sind.

Dieses Steuerprivileg beläuft sich auf mindestens 175 Mio. Euro
pro Jahr, was über den Zeitraum von 32 Jahren - also dem nach dem
Atomausstiegsgesetz geltenden durchschnittlichen Zeitraum der
Laufzeit eines Reaktors - einen Betrag von 5,6 Mrd. Euro ausmacht.
Und zwar muss dieser Betrag ab dem Beginn der atomaren Endlagerung
und dem Rückbau des Atomkraftwerks zur Verfügung stehen. Damit werden
die Rückstellungsmillionen bzw. -milliarden bundesweit im Nachhinein
zu einem jahrzehntelangen wirkenden zinsfreien Darlehen.

Die einzige Möglichkeit, diesem marktwirtschaftswidrigen Vorteil
Abhilfe zu verschaffen, ist die Bildung eines öffentlich-rechtlichen
Fonds auf gesetzlicher Grundlage, in dem die Rückstellungen jährlich
einfließen und von den einzahlenden Atomkraftwerkbetreibern nur für
die tatsächlichen Rückstellungszwecke abgerufen und verwendet werden
dürfen.

Eine diesbezügliche Gesetzesinitiative habe ich bereits im Januar
1999 in Form eines Gruppenantrags eingeleitet. Sie kam seinerzeit
nicht zum Zuge, weil die Nichtbefassung dieser Frage eine politische
Voraussetzung für den Konsens zwischen der seinerzeitigen rot-grünen
Bundesregierung und den Atomkraftwerksbetreibern zum Atomausstieg
war. Dieser vereinbarte Konsens war dann die Grundlage für das 2001
verabschiedete und unverändert geltende Gesetz für die Beendigung der
Atomenergienutzung.

Dieser Konsens ist von den Atomkraftwerksbetreibern inzwischen
praktisch aufgekündigt, da sie vehement für eine Verlängerung der
Laufzeiten eintreten - und dabei die CDU und die FDP als politische
Verbündete haben; allen voran der Hessische Ministerpräsident Koch,
der sogar für den Bau neuer Atomkraftwerke eintritt. Über Jahre
hinweg haben deshalb die Atomkraftwerksbetreiber ihre
Wettbewerbsvorteile weiter nutzen können für einen sogar
beschleunigten Konzentrationsprozess.

Wer immer diese Rückstellungspraxis weiter unverändert schwelen
lässt, kann nicht ernsthaft vorgeben, im Interesse der
Stromverbraucher gegen die Stromkartelle vorzugehen. Deshalb ist
jetzt diese Gesetzesinitiative für den Rückstellungsfonds überfällig.

Zur Haftungsfrage:

In der Frage der Atomhaftung ist zwar 2001 festgelegt worden, die
Haftungsobergrenze von zuvor nur 250 Mio. EUR auf 2,5 Milliarden EUR
anzuheben. Diese Regelung erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck,
dass jedes der 17 deutschen Atomkraftwerke eine
Haftpflichtversicherung für eine Schadenshöhe von 2,5 Milliarden Euro
abgeschlossen habe. Dies ist jedoch mitnichten der Fall. Tatsächlich
leisten die Atomkraftbetreiber nur eine Deckungsvorsorge von 256 Mio.
Euro.

Der Restbetrag bis zu 2,5 Milliarden pro Reaktor wird über die
deutsche Kernreaktorversicherungsgemeinschaft (DKVG) in Form einer
Garantiehaftung übernommen.

Dies bedeutet aber, dass praktisch nur ein Reaktor (in Vertretung
für alle 17 Reaktoren) in Höhe der Gesamthaftung von 2,5 Mrd. Euro
versichert ist. Eine Untersuchung der EU-Kommission hat für den Fall
einer privaten Haftpflichtversicherung Zusatzkosten von 5 ct/KWh für
Atomstrom ermittelt. Demzufolge handelt es sich bei den
Haftungsfreistellungen um ein laufendes Privileg, das pro KWh
deutlich höher liegt als die gegenwärtig veranschlagten
Atomstromproduktionskosten der großenteils abgeschriebenen Anlagen.
Nach der gegenwärtigen deutschen Atomhaftungspraxis zahlt jeder
Atomkraftwerksbetreiber für seine Reaktoren lediglich eine
Versicherungsprämie von 13,3 Millionen Euro - und dies angesichts des
größten unmittelbaren Schadensrisikos für die Allgemeinheit, das es
bei technischen Anlagen überhaupt gibt.

Dass diese Frage nicht strenger gehandhabt worden ist, hängt auch
mit dem Atomkonsens von 2000 zusammen. Durch die Aufkündigung durch
die Atomstromkonzerne ist es jetzt auch in dieser Frage geboten, die
Haftungsregelungen so zu gestalten, dass jeder Atomkraftwerkbetreiber
für jeden Reaktor eine Deckungsvorsorge von 2,5 Milliarden Euro -
eine Verzehnfachung - auferlegt bekommt.

http://www.hermannscheer.de

lhe

Originaltext: SPD Hessen
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53433
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53433.rss2

Pressekontakt:
SPD-Landesverband Hessen
Pressesprecher: Frank Steibli
Marktstraße 10, 65183 Wiesbaden
T: (0611) 99977-16, M: (0160) 7120456
E-Mail: f.steibli@spd-hessen.de
Homepage: www.hessen-spd.de


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