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Der Tagesspiegel: Der Tagesspiegel am Sonntag veröffentlicht in seiner Ausgabe vom 30.12. ein Interview mit Joschka Fischer zum Thema: Wie ich das Jahr 1968 und seine Folgen erlebte.

Geschrieben am 29-12-2007

Berlin (ots) - Joschka Fischer, Ex-Außenminister, verdankt sein
frühes Revoluzzertum Ende der 60er Jahren auch dem Rockpoeten Bob
Dylan. "Als ich diesen Bob Dylan das erste Mal gehört habe", sagte
Fischer dem Tagesspiegel am Sonntag, "wuchs in mir das Gefühl eines
weiten Landes, dieses: Lass alles hinter Dir!" Die Texte, so Fischer,
habe er zwar damals nicht wirklich verstanden, umso mehr aber die
Botschaft der Musik. "Das hat etwas in mir zum Klingen gebracht,
etwas, das einfach nicht mehr kompatibel war mit Öffingen oder
Stuttgart". Fischer räumte ein, dass er seinen Eltern in jener Zeit
viel Kummer bereitet habe. Sein Schulabbruch sei zu Hause als "die
größte Katastrophe überhaupt" begriffen worden, seine Heirat im
schottischen Gretna Green als "Akt der Rebellion". Seine Sturm- und
Drangzeit, die ihn unter anderem auch ans Fließband zu Opel geführt
hat, sieht der frühere Außenminister durchaus kritisch. "Die
Vorstellung, dass man unter den Bedingungen des Rechts- und
Sozialstaates Bundesrepublik Deutschland eine Revolution machen
könnte, die hatte mit der Realität nicht allzu viel zu tun". Die so
genannte 68er Debatte kommentiert Fischer eher ironisch: "Halten wir
fest: Die 68er sind schuld an allem, auch, dass die "Bild"-Zeitung so
ist, wie sie ist".

Unter anderem sagte Joschka Fischer:

Über die Atmosphäre jeder Zeit in Deutschland:
"Wenn Sie damals im Stuttgarter Schlossgarten auch nur den großen Zeh
auf den Rasen gesetzt haben, kam innerhalb von Minuten garantiert
einer, der Sie angeherrscht hat. "Könned Se net sähe, des isch
verbode!" Es herrschte eine Stickigkeit, die man sich heute gar nicht
mehr vorstellen kann. Liberalere Eltern standen, wenn sie ihre Kinder
mit Freundinnen oder Freunden zu Hause übernachten ließen, mit einem
Bein im Gefängnis. Das galt als Kuppelei und war strafbar!"

Über sein Erweckungserlebnis mit der Musik:
"Als ich Bob Dylan zum ersten Mal gehört habe, wuchs in mir dieses
Gefühl eines weiten Landes, dieses: Lass das alles hinter dir! Ich
spürte die ganze Sehnsucht, auch die Tragik in seiner Musik. Die
Texte hast du ja damals gar nicht wirklich verstanden, das war viel
mehr die Musik. Ich bin zwar kein besonders musikalischer Mensch, das
alles aber hat etwas in mir zum Klingen gebracht, etwas, das einfach
nicht mehr kompatibel war mit Öffingen oder Stuttgart."

Über sein Erweckungserlebnis mit Herbert Marcuses Büchern:
"Das war der Widerstand des Einzelnen gegen eine Staatsgewalt, die
gegen ihre eigenen Grundsätze handelte und sich deswegen
delegitimierte. Die Kritik der repressiven Toleranz, das hat die
entscheidende Rolle gespielt. Sie fragen sich jetzt bestimmt, wie
wird ein Junge, der in einem katholischen
Heimatvertriebenen-CDU-Milieu aufwächst, zum Linksradikalen? Gute
Frage. Eigentlich hätte ich vom Milieu her eher in die Junge Union
gepasst. So kam es aber nicht."

Über seinen Versuch, durch Lesen die Welt zu verstehen:
"Ja, ich habe damals fleißig angestrichen. Das "Kapital" natürlich
oder Kant oder die "Phänomenologie des Geistes" von Hegel. Da würden
Sie dann die Anmerkungen und Unterstreichungen eines Lernenden sehen,
der verzweifelt versucht hat, einen Text zu durchdringen, der aber
für mich nur schwer durchdringbar war. Ich habe 80 Prozent der
"Phänomenologie" gelesen und festgestellt: Du hast nichts verstanden.
Ich habe mich wirklich durchgequält, und dann habe ich das Buch
zugeklappt und vorn angefangen. Es war ein Versuch, die Welt zu
verstehen."

Über die drei Nächte, die er 1968 im Gefängnis von Stammheim saß:
Warum mussten Sie sitzen?
"Wegen ungebührlichen Betragens vor Gericht. Ich bin nicht
aufgestanden."
Was wurde Ihnen vorgeworfen?
"Bei einer Demonstration gegen den südvietnamesischen Botschafter,
der zu Besuch in Stuttgart war, haben wir uns, einige wenige Leute,
im Hof des neuen Schlosses aus Protest hingesetzt, ohne zu wissen,
dass es so was wie eine Bannmeile gab. Wir waren uns wirklich keiner
Schuld bewusst, schon gar nicht, damit grundsätzlich die Staatsgewalt
angegriffen zu haben. Landfriedensbruch war der Vorwurf."
In der linken Szene war es der Ritterschlag, im Knast gesessen zu
haben.
"Nee, nee."
Was war das für eine Erfahrung?
"Ja, Gott, Spaß hat es nicht gemacht."

Über die Vorwürfe, die 68er hätten gesellschaftliche Werte
zerstört:
"Wenn jetzt die Frage anstünde, ob man tatsächlich in die Zeit vor 68
zurückwollte, würde man auch dort mit großer Mehrheit dagegen
stimmen. Selbst Kai Diekmann und Peter Hahne würden es in den
deutschen Verhältnissen vor 68 nicht mehr aushalten!"

Über die Bemerkung von Otto Schily, Fischer sei eitel:
"Da erweise ich mich als gelehriger Schüler meines Meisters Otto."

Fragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Tel: 030-26009-389

Originaltext: Der Tagesspiegel
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/2790
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_2790.rss2

Pressekontakt:
Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622
cvd@tagesspiegel.de
 


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