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Landeszeitung Lüneburg: Stresstest für die Demokratie Bielefelder Sozialpsychologe Dr. Jonas Rees ermittelt in einer Studie, dass in Hochburgen der AfD mehr Hasstaten verübt werden

Geschrieben am 24-10-2019

Lüneburg (ots) - Von Joachim Zießler

Am Sonntag wird in Thüringen gewählt. Nach Ihren
Forschungsergebnissen können wir bereits voraussagen, wo die AfD
erfolgreich sein wird, oder? Dr. Jonas Rees: Wir können zumindest
recht gute Prognosen abgeben. Unsere Analyse der Bundestagswahl 2017
hat ergeben, dass die AfD in solchen Regionen besonders hohe
Ergebnisse erzielt hat, in denen ein Jahr zuvor die Arbeitslosigkeit
hoch und der Ausländeranteil niedrig waren. Vorurteile und Hass
können sich dort am besten ausbreiten, wo der Frust hoch und die
Gelegenheit zum persönlichen Kontakt mit Fremdgruppen gering sind.
Anders gesagt: Wer Freundschaft schließt mit Menschen aus ganz
anderen Gruppen, hat keinen Raum mehr für Vorurteile gegen diese
Gruppen. Und wo das Gefühl eines Wettbewerbs um knappe Ressourcen -
etwa auf dem Arbeitsmarkt - nicht aufkommt, besteht kein Anlass für
Feindseligkeiten. Wir haben die entsprechenden Daten aus allen 401
deutschen Kreisen und kreisfreien Städten zusammengetragen und
finden, dass das Wahlergebnis der AfD hoch mit Strukturfaktoren wie
Arbeitslosenquote und Ausländeranteil in den Regionen zusammenhängt.
Solche Strukturfaktoren ändern sich nur langsam. Entsprechend wird in
Thüringen nach den letzten Prognosen ein ähnliches Wahlergebnis für
die AfD erwartet wie bei der Bundestagswahl 2017.

Muss sich die Polizei auf mehr Hasstaten in den AfD-Hochburgen
einstellen, wie Ihre Studie dies für die Bundestagswahl auch gezeigt
hat? Bei Polizei und Sicherheitsbehörden arbeiten viele
hochkompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht unserer
Studie bedürfen, um Gefährdungspotenziale zu erkennen. Zudem muss
sich die Polizei nicht auf etwas Künftiges einstellen, weil die
Hasstaten ja bereits verübt werden. Die Frage ist eher: Woran liegt
es, dass diese Taten da stattfinden, wo sie stattfinden? Nun ist
hinreichend bekannt, dass sich die AfD von einer eurokritischen
Protestpartei zu einer in Teilen antidemokratischen, rechtsextremen
Partei entwickelt hat, deren Mitglieder teilweise offen mit
gewaltbereiten Extremisten zusammenarbeiten und mit ihrer
menschenverachtenden Sprache zumindest verbale Gewalt ausüben. Die
AfD trägt dort, wo die Voraussetzungen dafür vorliegen, mit der
Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas zum Dünger bei, der rechte
Gewalt erst richtig anheizt. So finden wir in unserer Studie auch
einen klaren Zusammenhang zwischen AfD-Wahlerfolgen und polizeilich
registrierten Übergriffen gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte. In
Thüringen waren das 2017 rund doppelt so viele Hasstaten wie im Rest
der Republik bezogen auf die Einwohnerzahl. Die AfD kam auf knapp 23
Prozent der Stimmen in Thüringen, in den übrigen Bundesländern war es
nur etwas mehr als halb so viel.

Zeigt Ihre Studie, dass nicht der Osten per se für rechte
Ten-denzen prädestiniert ist, sondern das Milieu sich abgehängt
fühlender Regionen? Unbedingt. Es wäre eine unzulässige
Vereinfachung, Rassismus und AfD-Aufstieg zu einem reinen Problem des
Ostens zu erklären. Das wäre zudem eine Geringschätzung aller
Engagierten in der Zivilgesellschaft, die sich vor Ort trotz zum Teil
massiver Anfeindungen gegen den Rechtsruck stemmen. Eine derartige
Verknappung vertieft außerdem die Ost-West-Spaltung. Das vorweg
geschickt bleibt festzuhalten, dass es 2017 im Osten gemessen an der
Einwohnerzahl viermal so häufig wie im Westen zu Übergriffen auf
Geflüchtete und deren Unterkünfte kam. Und die AfD erzielte dort im
Schnitt ein doppelt so hohes Ergebnis wie im Westen. Ein Fehler im
Umgang mit der AfD war bisher aus meiner Sicht, dass sie als das
eigentliche Problem missverstanden wurde und nicht richtigerweise als
das Symptom für eine tieferliegende Problematik. Vorurteile und
Gewaltpotenziale gab es immer schon in unserer Gesellschaft. Studien
zeigen, dass ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung für ein derartiges
Denken empfänglich sind.

Ist die Erfolgsformel für Rechte, sich in abgehängten Regionen als
Kümmerer und als Opfer des Mainstreams zu geben? Ein Teil des
Erfolgsrezeptes ist es, anschlussfähige Erzählmuster zu liefern. Zum
Beispiel: "Alle sind gegen uns", "wir hier unten gegen die da oben".
Ost-Bashing verstärkt noch die gefühlte Opferhaltung und
verschleiert, dass es auch anderswo Probleme mit Rassismus gibt. Beim
Erfolg der Rechten kommt auch eine pragmatische Strategie zum Tragen:
Rechtspopulisten und Rechtsextreme gehen in Regionen, in die sich
andere Politiker nicht mehr hineintrauen, und stilisieren sich dort
als Macher.

Mit rationalen Argumenten scheint man der Opfer-Legende nicht
beikommen zu können, oder? Trump stilisiert sich noch nach 1000 Tagen
im Amt als Opfer des "Deep State".... Tatsächlich werden rationale
Argumente und Fakten zunehmend zweitrangig. Emotionen spielen eine
dominierende Rolle in diesem Kontext. Vor allem das Gefühl, nicht
ernst genommen zu werden. Gerade in diesem Bereich verfangen
Verschwörungstheorien, wie die von dem dunklen Komplott aus
Geheimdiensten, Medien und Wirtschaft, das in den USA angeblich die
Macht hat. Und Verschwörungstheorien von übermächtigen
Strippenziehern können der Rechtfertigung dienen, Gewalt auszuüben.
Das zeigt sich in der Reichsbürger-Bewegung und in rhetorischen
Bildern, die die AfD bedient.

Haben Sie die zeitliche Abfolge untersucht, um herauszufinden, was
bei Wahlverhalten und Hassverbrechen Ursache und Wirkung ist? Die
Henne-Ei-Problematik beschäftigt uns in der Forschung natürlich. Aber
wir beleuchten in dieser Studie nicht die Frage nach der Kausalität,
sondern die nach Zusammenhängen. Die sind zwar eine Vorbedingung für
eine ursächliche Verknüpfung, aber kein hinreichender Beleg. Wir
fanden, dass je geringer der Ausländeranteil und je höher die
Arbeitslosenquote sind, desto erfolgreicher ist dort die AfD und
desto mehr Hasstaten gibt es in dieser Region. Nicht mehr, aber eben
auch nicht weniger. Das Neue an unserer Studie ist, dass sie zur
Beantwortung der Frage beiträgt, warum genau in AfD-Hochburgen mehr
Gewalt auftritt. Nämlich, weil beide Phänomene - rechte Gewalt und
rechte Wahlerfolge - desselben gesellschaftlichen Klimas bedürfen.

Inwieweit bringen Politiker wie Björn Höcke in Thüringen diese
Gemengelage zur Explosion? Ich wehre mich gegen eine zu starke
Fixierung auf Namen. Aber tatsächlich können gerade populistische
Parteien ihre Erfolge an Einzelpersonen festmachen. Vermeintlich
"starke Männer", seltener auch Frauen, schaffen in dieser Klientel
Identifikationsmöglichkeiten. Solchen umstrittenen Einzelpersonen
gelingt die Polarisierung in Anhänger und Gegner besonders gut. Das
gehört zur politischen Agenda der AfD. So verfestigt der völkische
Flügel der AfD die Trennung in "Wir und Die".

Die Spaltung in "Wir und Die" etabliert sich im Netz und in den
Parlamenten, Synagogen werden wieder zum Ziel mörderischen Hasses.
Ist unsere Demokratie gefährdet? Inzwischen gehen Menschen im
Bundestag ein und aus, die nachweislich eine Verbindung in die
gewaltbereite rechtsextreme Szene haben, die sich im Parlament
menschenverachtend äußern, die den Holocaust relativieren und Hass
schüren. Das verschiebt gesellschaftliche Normen. Dinge werden
sagbar, die vorher unsagbar waren. Und das hat nichts mit dem von der
AfD behaupteten "Meinungsdiktat" zu tun. Sondern mit Anstand und der
Frage, wie wir miteinander umgehen wollen. Mir kommt zuletzt in
diesen Auseinandersetzungen die klare Benennung der Grenzen zu kurz,
was wir als Gesellschaft noch tolerieren wollen. Politikerinnen
müssen nicht aushalten, wenn sie im Netz aufs Unerträglichste
beleidigt werden. Es muss nicht toleriert werden, dass Nazis am 9.
November, der als Tag der Reichspogromnacht den Auftakt zur
systematischen Judenverfolgung symbolisiert, öffentlich den
Geburtstag einer verurteilten Holocaust-Leugnerin feiern wollen.
Psychologisch gesehen verschieben sich jedes Mal soziale Normen des
Sag- und Machbaren, wenn wir als Gesellschaft etwas aushalten, was
eigentlich nicht tolerierbar ist. Dann werden Dinge normalisiert, die
nicht normal sind. Die Verschiebung solcher Grenzen erleben wir mit
dem Aufstieg der AfD verstärkt, weil es Teil ihrer Agenda ist.
Dadurch wird einerseits ihre Anhängerschaft eingeschworen,
andererseits aber auch schlummernde Gewaltpotenziale aktiviert, die
bisher von sozialen Normen eingehegt waren. Angesichts einer
derartigen Radikalisierung halte ich die Sorge um den
gesellschaftlichen Zusammenhalt und unser gesellschaftliches
Miteinander für gerechtfertigt. So eine Sorge ist übrigens nicht nur
meine persönliche Meinung. In einer Studie haben wir Ende vergangenen
Jahres eine repräsentative Stichprobe Menschen nach ihrer
Einschätzung gefragt. Ein Drittel der Befragten sah Parallelen
zwischen aktuellen politischen Entwicklungen und der Zeit des
Nationalsozialismus. Die AfD scheint mir ein Stresstest zur Frage,
wieviel wir aus unserer Geschichte über schleichende
gesellschaftliche Veränderungen gelernt haben. Oder ob wir überhaupt
etwas gelernt haben.

Zur Person

Der Sozialpsychologe Dr. Jonas Rees arbeitet am Institut für
interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung der Universität
Bielefeld. Er studierte in Sussex und Bielefeld. Er forscht zu
Vorurteilen, sozialen Bewegungen und Erinnerungskultur in
Deutschland. Die Studie zu den AfD-Wahlerfolgen wurde von Forschern
der Unis Bielefeld und Münster erstellt.



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell


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