(Registrieren)

Westfalen-Blatt: das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Chemnitz

Geschrieben am 05-09-2018

Bielefeld (ots) - Wer sich selbst in der Mitte der Gesellschaft
verortet, der steht nach den Vorgängen in Chemnitz einigermaßen
ratlos da und fragt sich: Was ist sinnloser? Der Tod von Daniel H.
oder das, was danach geschieht?

Anno 2018 ist es in Deutschland nur schwer möglich, eine sachliche
Debatte zu führen - ohne dass Extremisten den Ton bestimmen. Die
radikalen Ränder von rechts und links missbrauchen den Totschlag oder
Mord - das wird ein Gericht klären - an dem 35-Jährigen für ihren
ideologischen Kampf. Und Otto Normalbürger weiß nicht mehr, was
schlimmer ist: Totschlag und Mord oder das Zeigen des Hitlergrußes.

Die Wahrnehmung hat sich nicht erst mit Chemnitz verschoben. Drei
Flüchtlinge stehen im Verdacht, einen Deutschen getötet zu haben -
und es gibt Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit und
Menschenhass. Bei »Charlie Hebdo« war der Mechanismus ähnlich:
Islamisten ermordeten französische Karikaturisten - und bei uns
gingen Leute gegen Islamfeindlichkeit auf die Straße. Diese Versuche,
Ursache und Wirkung umzudrehen und Probleme umzudeuten, stoßen viele
Menschen zunehmend ab.

Kaum jemand bei dem Konzert in Chemnitz hat sich für das Schicksal
von Daniel H. und das seiner Familie interessiert. Und ob den
Teilnehmern des Trauermarsches aus AfD und Pegida die Hinterbliebenen
wirklich am Herzen lagen, muss bezweifelt werden.

Die SPD sollte sich schämen, dass Spitzenpolitiker wie
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und
Generalsekretär Lars Klingbeil grinsend Selfie-Fotos von sich machten
- unweit der Stelle, an der Daniel H. erstochen wurde. Dass ihre
Parteifreundin, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, zuvor am
Tatort einen Kranz niedergelegt hatte, schienen sie wohl vergessen zu
haben.

Wer wie in Chemnitz Extremisten gegen Extremisten in Stellung
bringt, der bekämpft Feuer mit Feuer. Man muss erst einmal auf die
Idee kommen, bei einem Konzert gegen Hass eine Band wie »K.I.Z.« auf
die Bühne zu lassen. 27 Minuten durfte die Hip-Hop-Formation ihren
ganz eigenen Hass verbreiten. Zeilen wie »Ich ramm die Messerklinge
in die Journalisten-Fresse« und Fantasien von Gewaltsex mit
Ex-»Tagesschau«-Sprecherin Eva Herman haben keinen Aufschrei bei den
Berichterstattern ausgelöst, die sich einige Tage vorher in Chemnitz
von Rechtsextremen bedroht fühlten. Wer bei »K.I.Z.« mitgrölt, der
steht nicht auf der guten Seite.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat - ganz
ohne Unterstützung aus Berlin - die Situation im Rahmen der
Möglichkeiten gemanagt. Seiner Einschätzung nach gab es vereinzelte
Übergriffe gegen Ausländer, aber keine gezielte Hetzjagd. Falsch
liegt er allerdings mit der Ansicht, dass kein rechtsradikaler Mob
auf der Straße gewesen sei. Da zeigt das vorhandene Filmmaterial
etwas anderes.

Mit Chemnitz endet auch die Mär davon, dass es im Osten kaum
Ausländer, praktisch keine Flüchtlinge und deswegen auch keine
Kriminalität gebe. In Frankfurt/Oder hat Oberbürgermeister René Wilke
(Linke) angekündigt, Syrer ausweisen zu wollen, die eine Diskothek
mit Eisenstangen und Messern angegriffen haben. Und in Magdeburg
haben sich 20 Syrer und Türken mit Hämmern und Ketten eine Schlägerei
geliefert.

Wenn das nicht benannt und thematisiert werden kann, ohne dass
Rassismusvorwürfe geäußert werden, dann nimmt das gesellschaftliche
Klima einen noch größeren Schaden als ohnehin schon. Wer den Vorwurf
erhebt, dass allein die objektive Artikulierung eines Missstandes
weltanschaulich verdächtig sei, der betreibt das Geschäft der AfD.

Und wenn man AfD-Rechtsaußen Björn Höcke mit Pegida-Gründer Lars
Bachmann beim Trauermarsch in Chemnitz tuscheln sieht, dann wird
einem ganz anders und eines immer klarer: Die AfD versteht sich
zunehmend als parlamentarischer Arm von Rechtsradikalen und
Rassisten. Und macht sich auch für Leute, die von der CDU gefrustet
sind, unwählbar.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

652745

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: KOMMENTAR: Die Mieten-Illusion Düsseldorf (ots) - Von Martin Kessler Die hohen Mieten in deutschen Ballungsgebieten sind eine sozialpolitische Herausforderung. Die Losung dazu hat die für Mietpolitik zuständige Justizministerin Katarina Barley ausgegeben: "Auch Innenstädte müssen für Normalverdiener weiterhin bezahlbar sein." Ein frommer Wunsch. Schließlich ist der Run auf Ballungsgebiete umgebremst, während sich die ländlichen Räume entleeren. Wer da die Mieten für die Neuankömmlinge möglichst niedrig hält, trägt aktiv zur Landflucht bei. Trotzdem dürfen mehr...

  • Rheinische Post: KOMMENTAR: Im Hambacher Forst gibt es nur Verlierer Düsseldorf (ots) - Von Kirsten Bialdiga Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass im Konflikt um den Hambacher Forst am Ende alle wesentlichen Beteiligten verlieren - Politiker, Umweltschützer und der Energiekonzern RWE. Zunächst RWE: Konzerne investieren heute viel Geld in das Image eines guten Corporate Citizens (frei übersetzt: Mitbürger). Das Fällen von Bäumen und hochgerüstete Polizisten passen da nicht recht ins Bild. Dann die Umweltschützer: Für jene, die in friedlicher Absicht demonstrieren, ist es fatal, dass sich gewaltbereite mehr...

  • Rheinische Post: Grünen-Chefin Baerbock kritisiert Räumung des Hambacher Forsts als "absurde Machtdemonstration auf dem Rücken der Polizei" Düsseldorf (ots) - Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat die Räumung des Hambacher Forstes durch den Energiekonzern RWE unter Polizeischutz scharf kritisiert. "Im Hambacher Wald läuft eine absurde Machtdemonstration auf dem Rücken der Polizei für eine Energiepolitik aus dem letzten Jahrhundert", sagte Baerbock der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Donnerstag). "Die laufenden Räumungen der Waldbesetzung sind eine Provokation für alle, die sich für eine politische Lösung des Konfliktes einsetzen. Ich hoffe, dass keine Menschen bei der mehr...

  • Rheinische Post: Seehofer will über Bayern-Wahl hinaus CSU-Chef bleiben Düsseldorf (ots) - Innenminister Horst Seehofer (CSU) will sein Amt als CSU-Chef auch über die Bayern-Wahl hinaus behalten. "Eines habe ich in den vergangenen Wochen wieder gelernt. Wer in Berlin für die CSU wesentliche Anliegen durchsetzen will, der muss Parteivorsitzender sein", sagte Seehofer der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Donnerstag). Seehofer erklärte: "Schauen Sie sich die Obergrenze von 200.000 Zuwanderern an, die wir als CSU viele Jahre gegen den erbitterten Widerstand gefordert haben. Heute steht sie im Koalitionsvertrag mehr...

  • Rheinische Post: Seehofer lehnt Bleiberecht für Flüchtlinge mit Job ab - auch keine Stichtagsregelung Düsseldorf (ots) - Nach dem Willen von Innenminister Horst Seehofer (CSU) soll das geplante Fachkräftezuwanderungsgesetz Flüchtlingen mit Job keine neue Bleibeperspektive geben. Er lehnt sowohl den sogenannten Spurwechsel wie auch eine Stichtagsregelung ab. "Wer Asyl beantragt und ein Bleiberecht bekommt, ist arbeitsberechtigt. Wer Asyl beantragt und eine Ablehnung erhält, ist ausreisepflichtig. Diesen Grundsatz wollen wir nicht verändern", sagte Seehofer der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Donnerstag). "Wenn wir denjenigen ein mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht