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BERLINER MORGENPOST: Eine Selbstentfesselung / Leitartikel von Miguel Sanches zum Asyl-Kompromuss

Geschrieben am 03-07-2018

Berlin (ots) - Kurzform: Wir bekommen keine Lösung des Konflikts,
sondern eine gesichtswahrende Vertagung; gesichtswahrend nur in der
Welt der Parteien. "Draußen im Land", wie es früher bei Helmut Kohl
hieß, ruft sie Kopfschütteln hervor. Was aber sagen uns solche
Scheinlösungen über die Befindlichkeiten der Regierung Merkel?
Zwischen den Hauptakteuren herrscht ein prekäres Gleichgewicht, und
wenn die Seehofer- Methode der Problemlösung Schule macht, verheißt
sie nur Leerlauf. Richten wir uns darauf ein, dass diese Koalition
das Land nicht gestalten, sondern nur verwalten wird. Für
Flexibilität und für Innovationen fehlt ihr etwas Wichtiges: einen
Grundkonsens. Er ist verloren gegangen. Der ehrliche Finder möge ihn
abgeben. Fundbüro: Bundestag, Berlin, Platz der Republik 1.

Der vollständige Leitartikel: Es war einmal ein Land, das weltweit
um seine Solidität, Stabilität und Gemeinsinn beneidet wurde. Dieses
Deutschland erkennt man nur bedingt wieder. Verlässliche Politik hat
in der Regierung am ehesten die SPD im Angebot. Die Unionsparteien -
eigentliche Machtbastion von Kanzlerin Angela Merkel - geben ein
chaotisches Bild ab. Ihr Streit über die Asylpolitik kam für die
Bürger unvermittelt und zur falschen Zeit, weil die Migranten nicht
wie 2015 zu Hunderttausenden ins Land strömen. Vor zwei oder drei
Jahren hätte man diese Schärfe und Unversöhnlichkeit eher verstanden.
Am meisten irritiert, dass der Dissens der Unionsparteien weder
sachgerecht gelöst noch zeitnah Ergebnisse zeigen wird. Was da am
Montagabend passiert ist, hätte uns am ehesten der große Harry
Houdini erklären können, der als bester Entfesselungs- und
Zauberkünstler der Welt gilt. Er hätte seine Freude daran gehabt, wie
sich Innenminister Horst Seehofer aus seiner Fesselung befreit hat
und mit Merkel den Konflikt über die Grenzpolitik und die
Zurückweisung von Flüchtlingen wegzauberte. Es ist willkürlich,
allein an der Grenze nach Österreich Migranten zurückzuweisen, die
aus anderen EU-Staaten kommen. Warum nur zu Österreich, nicht nach
Dänemark, Frankreich, Holland, Polen oder Tschechien? Dieser
Kompromiss ist eine Anleitung für Schleuser, ihre Routen zu ändern.
Ein Bremsfaktor ist es, diesen Personenkreis nur zurückzuweisen, wenn
die jeweiligen EU-Länder zugestimmt haben. Die Verhandlungen darüber
können sich lange hinziehen, ihr Erfolg ist nicht garantiert. Die
Bedingungen sind nämlich ungleich: Deutschland hat den Problemdruck,
seine Verhandlungspartner haben Zeit. Die meisten Nachbarstaaten
wissen, dass die Flüchtlinge weiter nach Deutschland wollen, sei es
wegen der Familienzusammenführung, sei es wegen der besseren
Lebensbedingungen: Jobs, Bildung, Schutzrechte, schier konkurrenzlose
Sozialleistungen. Der Vorteil eines nationalen Alleingangs, wie ihn
Seehofer anstrebte, war, dass Deutschland keine Zeit verlieren und
agieren würde; der Rest Europas müsste reagieren. Merkel geht den
umgekehrten Weg der (Vor-)Verständigung. Nur: Was macht sie, wenn
relevante Staaten nicht mitziehen, wenn insbesondere Österreich als
Schlüsselland und Italien als Hauptanlaufstelle Deutschland keine
Flüchtlinge abnehmen? Was passiert dann mit den betroffenen Menschen
in den "Transitzentren"? Wer soll diese führen, verwalten, absichern,
und worin unterschieden sie sich von den Ankerzentren? Lauter offene
Fragen, ganz abgesehen von einer Zustimmung der SPD zu den
Vorschlägen des Koalitionspartners. Viel Unberechenbarkeit. Der Plan
der Union ist nicht durchdacht. Weil seine Schwächen offenkundig
sind, werden die Wähler sie durchschauen. Lebenserfahrung und
praktische Klugheit verraten ihnen: Eine politische Ankündigung ist
noch keine Handlung und nicht jede Tat ein Segen. Wir bekommen keine
Lösung des Konflikts, sondern eine gesichtswahrende Vertagung;
gesichtswahrend nur in der Welt der Parteien. "Draußen im Land", wie
es früher bei Helmut Kohl hieß, ruft sie Kopfschütteln hervor. Was
aber sagen uns solche Scheinlösungen über die Befindlichkeiten der
Regierung Merkel? Zwischen den Hauptakteuren herrscht ein prekäres
Gleichgewicht, und wenn die Seehofer- Methode der Problemlösung
Schule macht, verheißt sie nur Leerlauf. Richten wir uns darauf ein,
dass diese Koalition das Land nicht gestalten, sondern nur verwalten
wird. Für Flexibilität und für Innovationen fehlt ihr etwas
Wichtiges: einen Grundkonsens. Er ist verloren gegangen. Der ehrliche
Finder möge ihn abgeben. Fundbüro: Bundestag, Berlin, Platz der
Republik 1.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell


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