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Kambodscha vor den Wahlen: Unabhängige Medien in Trümmern

Geschrieben am 05-03-2018

Berlin (ots) - Kambodscha vor den Wahlen: Unabhängige Medien in
Trümmern

(Diese Meldung auf der ROG-Webseite: http://t1p.de/3hhr)

Rund fünf Monate vor den Parlamentswahlen liegen die unabhängigen
Medien in Kambodscha in Trümmern. Dutzende regierungskritische Medien
wurden im vergangenen Jahr geschlossen und Journalisten willkürlich
inhaftiert. Die beiden ehemaligen Radio Free Asia Reporter Oun Chhin
und Yeang Sothearin sitzen seit rund 100 Tagen wegen
Spionagevorwürfen im Gefängnis. In einem ausführlichen Länderbericht
hat Reporter ohne Grenzen jetzt den Verfall der Pressefreiheit in
Kambodscha untersucht (Zur PDF: http://t1p.de/d6un).

"Gerade angesichts der anstehenden Parlamentswahl ist eine
kritische Debatte wichtig, in der auch oppositionelle Stimmen zu Wort
kommen. Stattdessen ist ein Klima der Angst entstanden. Unabhängige
Journalisten werden eingeschüchtert und kritische Medien
geschlossen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Die
Regierung muss die inhaftierten Journalisten sofort freilassen und
die Schließung von Medien aufheben."

Am 29. Juli 2018 stehen in Kambodscha Parlamentswahlen an. Das
Land wird seit über drei Jahrzehnten von Ministerpräsident Hun Sen
regiert. Nach den letzten Parlamentswahlen im Sommer 2013 wurde der
Wahlsieg seiner Partei CPP jedoch in den unabhängigen Medien des
Landes weithin in Frage gestellt. Es folgten Massenproteste in der
Hauptstadt Phnom Penh (http://t1p.de/furp).

Die Kommunalwahlen Anfang Juni 2017 galten als Testlauf für die
kommende Parlamentswahl (http://t1p.de/shbz). Nach dem Wahlerfolg der
wichtigsten Oppositionspartei CNRP ließ die Regierung den
CNRP-Vorsitzenden Kem Sokha wegen angeblichen Landesverrats
festnehmen (http://t1p.de/5qlc) und die Partei verbieten
(http://t1p.de/ghao). Auch die unabhängige Presse steht seitdem
besonders im Visier der Behörden.

KRITISCHE MEDIEN GESCHLOSSEN

Anfang August konfrontierte das Finanzministerium die Cambodia
Daily mit angeblichen Steuerschulden. Die 1993 gegründete
regierungskritische Tageszeitung schulde den Finanzbehörden angeblich
6,3 Millionen US Dollar (5,3 Millionen Euro) und habe einen Monat
Zeit, die Schulden zu begleichen. Sollte sie nicht bezahlen, könne
die Zeitung "ihre Sachen packen", sagte Hun Sen ein paar Wochen
später (http://t1p.de/nd8p). Auf die wiederholten Forderungen der
Zeitung nach einer ordnungsgemäßen Steuerprüfung gingen die Behörden
nicht ein.

Als älteste englischsprachige Zeitung im Land berichtete die
Cambodia Daily unter anderem über kritische Themen wie Korruption und
Abholzung. Aufgrund der Steuerschulden weigerten sich die Behörden,
die Lizenz zu erneuern und die Zeitung veröffentlichte am 4.
September 2017 nach 24 Jahren ihre letzte Ausgabe.

Im August 2017 wurden innerhalb weniger Tage 32 Radiosender
geschlossen (http://t1p.de/sxjq). Unter ihnen ist der
kambodschanische Ableger des US-Auslandssenders Radio Free Asia, der
nach 20 Jahren sein Büro in Phnom Penh schließen musste
(http://t1p.de/zzv0). Rund 50 Mitarbeiter verloren ihren Job.

Ohne Vorwarnung ordnete das Informationsministerium am 23. August
die Schließung der unabhängigen Radiosender Women's Media Centre of
Cambodia und Mohanokor an, weil sie sich nicht an die
Lizenzbestimmungen gehalten hätten. Einige Sender durften zudem keine
Nachrichten mehr senden, sondern nur noch Unterhaltungsprogramme.

In einer schriftlichen Antwort auf eine Anfrage des
UN-Menschenrechtsrats verteidigt das Informationsministerium Ende
November 2017 die Schließungen als "Warnung an alle Medien"
(http://t1p.de/1u8d).

EINSCHRÄNKUNG DER JOURNALISTISCHEN ARBEIT

Für die ehemaligen Mitarbeiter gehen die Schikanen auch nach den
Medienschließungen weiter. Das Informationsministerium lehnt
systematisch die Anträge für Presseausweise der ehemaligen
Journalisten von RFA und Cambodia Daily ab. Am Tag der Entscheidung
des Obersten Gerichts über ein Verbot der Oppositionspartei Mitte
November wurde die ehemalige Cambodia Daily-Journalistin Len Leng vor
dem Gerichtsgebäude zwischenzeitlich festgenommen mit der Begründung,
sie habe keinen Presseausweis.

Einen Monat nach der Schließung der Cambodia Daily wurden die
beiden ehemaligen Reporter Aun Pheap und Zsombor Peter wegen
"Anstachelung zu Verbrechen" angeklagt. Hintergrund war ihre
Berichterstattung über den Wahlkampf im Vorfeld der Kommunalwahlen
und Interviews, die sie mit künftigen Wählern geführt hatten. Ihnen
droht eine zweijährige Haftstrafe. Informationsminister Khieu
Kanharith veröffentlichte ein Foto von Peters kanadischem Reisepass
auf Facebook und drohte ihm mit Repressalien. Der Post wurde später
entfernt.

WILLKÜRLICHE VERHAFTUNGEN UND GEWALT GEGEN JOURNALISTEN

Am 14. November wurden die ehemaligen RFA-Journalisten Oun Chhin
und Yeang Sothearin verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, ein Studio für
"journalistische Tätigkeiten" aufgebaut zu haben, um Nachrichten für
die Zentrale in Washington zu produzieren. Die Journalisten
bestreiten, nach der Schließung des Büros in Phnom Penh weiter für
RFA gearbeitet zu haben. Sie wurden schließlich wegen Spionage
angeklagt. Ihnen drohen 15 Jahre Haft.

Auch vor Rufmordkampagnen schrecken die Behörden nicht zurück.
Kurz nach der Verhaftung veröffentlichten zwei regierungsnahe
Nachrichtenseiten Fotos, die angeblich zeigen sollen, wie einer der
Journalisten pornografische Videos filmt und in diesen teilnimmt. Als
Quelle nennen die Seiten die Polizei, die wiederum angibt, sie habe
die Fotos auf dem Computer des Journalisten gefunden.

Im Juni war bereits der australische Dokumentarfilmer James
Ricketson verhaftet worden, nachdem er eine von der Opposition
organisierte Kundgebung gefilmt hatte. Auch er wird seitdem wegen
Spionagevorwürfen festgehalten. Ihm drohen zehn Jahre Haft.

Seit dem Jahr 1992 wurden in Kambodscha mindestens 14 Journalisten
wegen ihrer Arbeit getötet. Zuletzt löste der Mord an dem bekannten
politischen Analysten und Regierungskritiker Kem Ley im Juli 2016
international Schockwellen aus. Ley wurde in Phnom Penh erschossen,
zwei Tage nachdem er sich beim Sender RFA zu einem NGO-Bericht
(http://t1p.de/uhej) über das weit verzweigte Wirtschaftsimperium der
Familie von Hun Sen geäußert hatte (http://t1p.de/b4nx). Ley wurde
häufig in den unabhängigen Zeitungen des Landes zitiert
(http://t1p.de/ga8f).

INTERNET IM VISIER

Viele Kambodschaner informieren sich auf den Internetseiten
einiger geschlossener Medien wie RFA oder des ebenfalls im August
geschlossenen Radiosenders Voice of Democracy. Der Facebook-Auftritt
von RFA gehört mit 4,7 Millionen Followern zu den meistbesuchten
Facebookseiten im Land.

Anfang Februar 2018 berichtete die Tageszeitung Phnom Penh Post,
dass die Regierung Internetanbieter angewiesen hat, den Zugang zur
bis dahin noch funktionierenden Webseite der Cambodia Daily zu
sperren (http://t1p.de/lcfp). Kurz darauf kündigte die
Telekom-Aufsicht an, gegen Internetanbieter zu ermitteln, die der
Anordnung nicht folgen und drohte, diese könnten ihre Lizenz
verlieren (http://t1p.de/0n8s).

Ende November forderte ein Regierungssprecher die Verabschiedung
eines umstrittenen Gesetzes gegen Internetkriminalität, dessen
Entwurf im Jahr 2014 durch die NGO Article 19 an die Öffentlichkeit
gelangte (http://t1p.de/mux4). Zur Debatte steht etwa, Autoren von
Artikeln zu kriminalisieren, die Regierung oder Regierungsvertreter
"beleidigen oder diskreditieren". Zuvor hatte die Facebookseite der
regierungsnahen Fresh News fälschlich berichtet, Hun Sen sei ermordet
worden. Der Geschäftsführer von Fresh News machte ausländische Hacker
für den Facebookpost verantwortlich.

WICHTIGE MEDIEN IM BESITZ WENIGER

Die kritische Berichterstattung wird auch durch die
Besitzverhältnisse der Medien erschwert. Wichtige Massenmedien sind
in den Händen weniger, oft regierungsnaher Eigentümer konzentriert.
Das zeigen die Ergebnisse der Recherchen des Projekts Media Ownership
Monitor, die Reporter ohne Grenzen zusammen mit dem Kambodschanischen
Zentrum für Unabhängige Medien (CCIM) seit 2015 durchführt
(www.cambodia.mom-rsf.org).

Über alle Mediengattungen hinweg vereinen ganze vier Mediengruppen
fast 85 Prozent Marktanteil auf sich: die Konzerne CBS (Royal Group)
und Hang Meas sowie die Unternehmer Seng Bunveng und Hun Mana. Ihre
Geschäftsführer haben alle Regierungsposten oder fungieren als
Berater.

Die Projektergebnisse machen auch deutlich, dass die
Medienregulierung in Kambodscha noch in den Kinderschuhen steckt.
Eine unabhängige Medienbehörde gibt es nicht. Die Schlüsselrolle
liegt stattdessen beim Informationsministerium, das in völlig
intransparenter Weise über Vergabe und Entzug von Lizenzen für Medien
entscheidet.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Kambodscha auf Platz
132 von 180 Staaten.

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

- ROG-Länderbericht "Cambodia: The independent press in ruins":
http://t1p.de/d6un (PDF, Englisch)
- Video: ROG vor Ort - Bestandsaufnahme zum Stand der
Pressefreiheit vor den Wahlen: http://t1p.de/kejp
- ROG-Länderseite Kambodscha:
www.reporter-ohne-grenzen.de/kambodscha



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell


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