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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg

Geschrieben am 14-09-2014

Regensburg (ots) - von Reinhard Zweigler, MZ

Landtagswahlen im Osten Deutschlands werden im Rest der Republik
nicht unbedingt mit Höchstspannung verfolgt. Beim gestrigen Urnengang
in Thüringen, das gemeinsam mit Brandenburg ein neues Landesparlament
wählte, war das offenbar anders. Denn ausgerechnet im 25. Jahr des
Mauerfalls schickte sich mit dem aus Hessen stammenden Bodo Ramelow
ein Linken-Politiker an, erster Ministerpräsident für die
Nachfolgerin der Mauer-Partei SED zu werden. Für diejenigen, die
unter der SED-Diktatur, unter Unfreiheit, Mauer und Stacheldraht zu
leiden hatten, wäre dies gewissermaßen ein schlimmer Verrat an der
friedlichen Revolution, die vor einem Vierteljahrhundert die
SED-Herrschaft wegfegte und die deutsche Einheit erst ermöglichte.
Für andere hingegen - und davon gibt es in den ostdeutschen Ländern
immer noch, oder wieder, eine ganze Menge - wäre die Macht für einen
smarten Linken, noch dazu gläubig-evangelisch und nicht mit der
SED-Stasi-Diktatur befleckt, keineswegs ein Drama, sondern ein
normaler demokratischer Wechsel. Doch "normal" wäre Ramelows Wahl zum
Ministerpräsidenten im thüringischen Freistaat ganz und gar nicht.
Vor allem im Westen würde man sich fragen, ob man im Osten nichts aus
der jüngeren deutschen Geschichte gelernt habe. Damit schwingt sicher
auch unausgesprochen der Vorwurf von Undankbarkeit mit. Schließlich
wurde auch Thüringen, wie die anderen ostdeutschen Bundesländer, mit
milliardenschweren Hilfen des Bundes sowie der westdeutschen Länder
nach den Verheerungen des "Realsozialismus" wieder aufgebaut.
Freilich ist Dankbarkeit - wem gegenüber eigentlich? - keine
politische Kategorie. Wähler und Wählerinnen entscheiden eher
pragmatisch-politisch, für welche Partei sie ihr Kreuzchen auf dem
Stimmzettel machen. Das ist im Osten nicht anders als im Westen. Wir
sind ein Volk. In Brandenburg, das seit 1990 von der SPD regiert
wird, dürfte nach der Wahl politisch alles beim Alten bleiben. Zu
deutlich ist die Vorliebe des alten und wahrscheinlich neuen
Ministerpräsidenten Dietmar Woidke für die Postkommunisten. Mit den
Linken im Land des roten Adlers hat er fünf Jahre lang mehr oder
weniger gut zusammengearbeitet. Die Schmach, den Großflughafen BER
nicht fertig zu bekommen, teilt sich Potsdam übrigens mit Berlin und
dem Bund. In Thüringen sieht das völlig anders aus. Das Wahlergebnis
im nördlichen Nachbarland von Bayern brachte eine Hängepartie. Die
rot-roten Träume von Ramelow sind angesichts des mickrigen
Ergebnisses für die Thüringen-SPD zerplatzt. Will der Linke wirklich
noch Regierungschef in Erfurt werden, dann bräuchte er nicht nur die
Königsmacher von der SPD, sondern auch von den Grünen. Doch es ist
keinesfalls ausgemacht, ob die einst aus der DDR-Opposition
hervorgegangenen Grünen als "Ersatzreifen" für Rot-Rot zur Verfügung
stehen werden. Eher wohl nicht. Und womöglich reichte es auch dann
nicht. Auf der anderen Seite hat die CDU von Ministerpräsidentin
Christine Lieberknecht zwar die meisten Stimmen bekommen, doch dafür
kann sich die einstige Pfarrerin vorerst nichts kaufen. Die
Regierungspartei wurde zudem von Skandalen und Personalquerelen
geschüttelt. Die mitregierende SPD wurde kräftig abgestraft. Sie
liegt nur noch knapp vor der rechtspopulistischen AfD, die das gute
Ergebnis von Sachsen noch toppen konnte. Das Thüringer Ergebnis
hinterlässt viele Fragezeichen. Für eine Fortführung der
schwarz-roten Koalition würde die SPD wahrscheinlich den Preis sehr
hoch ansetzen. Die SPD ist zwar klein, doch sie hätte immerhin ein
Druckmittel: Wir könnten auch mit der Linken. So oder so wird in den
kommenden Wochen in Erfurt, und wohl auch in den Berliner
Parteizentralen, heftig diskutiert, spekuliert und verhandelt werden.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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