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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Streit um Militärhilfe für Kurden im Irak Pazifismus muss erlaubt sein Johann Vollmer

Geschrieben am 15-08-2014

Bielefeld (ots) - Als Wehrdienstverweigerer noch einer
persönlichen Gewissensprüfung unterzogen wurden, mussten sie lange
die berühmt-berüchtigte Frage beantworten: Würden Sie ihrer
Überzeugung standhalten, wenn Sie mit ansehen müssten, wie die eigene
Mutter vergewaltigt oder getötet wird, und Sie selbst eine Waffe zur
Hand hätten? Pazifismus, so die perfide Logik dahinter, lässt sich
mit einer gezielten Fangfrage aushebeln. Heute befinden sich die
Pazifisten in Deutschland wieder in einer kollektiven und
öffentlichen Gewissensprüfung. Die Berichte über die Gräueltaten der
Islamisten im Nordirak, die Bilder der verfolgten Christen und
Jesiden, das Töten und Metzeln, das einen Völkermord erahnen lässt -
all das hat die Rufe nach einer militärischen Hilfe Deutschlands
binnen einer Woche zu einem lauten Orkan werden lassen. Die Fangfrage
an alle, die zögern, lautet heute: Willst du das Morden weiter
zulassen und befördern, indem du die Hände zum Beten in den Schoß
legst? Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der
evangelischen Kirche, hat es doch tatsächlich gewagt, als Theologin
Gewaltfreiheit und bedingungslosen Pazifismus zu predigen. Ist die
noch zu retten? Ein Sturm der Entrüstung, der Pamphlete und
widerlichen Beleidigungen ist über sie hereingebrochen. Die
Geostrategen der Republik und die anonymen Internethelden rotzen sich
hochmoralisierend aus. Das - und nicht Käßmanns Äußerung - ist der
Skandal. Wo sind wir hingekommen, dass eine pazifistische Stimme in
der Debatte nicht mehr gehört, ja sogar verdammt wird? Wo sind wir
hingekommen, wenn wir das Wort "alternativlos" zum Primat der Politik
und des Denkens machen? Wer in Extremsituationen wie der im Nordirak
Pazifisten das Recht auf ihre Grundhaltung abspricht, handelt
fahrlässig und historisch verblendet. Ausnahmslos allen gegenwärtigen
Konflikten auf der Welt gingen Gewalt, Unterdrückung oder erzwungene
Ungleichheit voraus. Und auch die Glaubenskriege werden nicht allein
durch das radikal geführte Wort entfacht. Der fanatische Wahnsinn der
IS-Führer mag einem grundlosen Bösen entsprungen sein, doch auch
dieser Wahnsinn kann ein Inferno von Hass und Gewalt nur dann
entzünden, wenn er auf fruchtbaren Boden von Enttäuschten und
Gedemütigten fällt. Die Fanatiker und Diktatoren in den
Machtzentralen der Welt sind nicht vom Himmel gefallen. Wer die
Fangfrage stellt "Wer hätte Hitler gestoppt, wenn nicht die
Alliierten Krieg geführt hätten?", muss sich die Frage gefallen
lassen, warum ein Diktator wie Hitler überhaupt möglich war. Wer am
Ende einer Gewaltspirale behauptet, dass jetzt mit - natürlich
gerechter - Gewalt alles besser wird, ist mindestens so kurzsichtig
wie ein Zugpferd, das vergeblich nach der Möhre schnappt, die vor ihm
baumelt. Natürlich ist der Weltfrieden eine weltfremde Utopie. Aber
nur die Existenz dieser Utopie hat zur Verwirklichung überstaatlicher
Ideen wie der UNO, dem Roten Kreuz, der Anti-Atom-Bewegung oder den
Ärzten ohne Grenzen geführt. Wer bedingungslosen Pazifismus vertritt,
macht sich keinen schlanken Fuß. Auch wenn er weiß, dass es,
erzwungen durch die Realitäten, ohnehin zum militärischen Eingreifen
kommen wird und wohl auch muss. Bedingungslos pazifistische Stimmen
sind Minderheiten-stimmen. Sie mahnen in der Realpolitik, an Ursachen
und Folgen zu denken. Sie mit pseudomoralischen Fangfragen oder gar
Schuldzuweisungen zum Schweigen zu bringen ist nicht nur ein Zeichen
argumentatorischer Schwäche. Es ist ein gewaltiger Fehler.



Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de


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