(Registrieren)

DER STANDARD-Kommentar: "Späte Angst vor Erdogan" von Petra Stuiber

Geschrieben am 17-06-2014

Die Politik muss sich mehr für Türken interessieren, will sie
eine Spaltung verhindern (Ausgabe ET 18.6.2014)

Wien (ots) - Er kommt also nach Wien. Seine Rede wird wohl
"deftig" werden, wie einige österreichische Regierungsmitglieder am
Dienstag befürchteten. Es ist natürlich nicht schön, wenn da einer
kommt und Wahlkampf mit Sticheleien macht. Freilich ist es jetzt ein
bisschen spät, sich vor Recep Tayyip Erdogan zu fürchten.

Für den türkischen Premier wird der Auftritt in Wien, ebenso wie
jener in Köln, wohl ein Heimspiel - trotz Gegendemos. Immerhin haben
Erdogan und seine AKP als Erste die politische Kraft der türkischen
Diaspora erkannt und schon vor einem Jahrzehnt gezielt begonnen, um
Anhänger unter den Auslandstürken zu werben.

Dass er dabei seine konservativen Werte predigt, dass er ein
verstaubtes Familienbild und ein problematisches Verhältnis zu
Freunderlwirtschaft und Nepotismus pflegt, ist nicht das Kernproblem.
Das kennen wir auch von österreichischen Politikern. Aber Erdogan
wäre nicht Erdogan, würde er nicht der populistischen Versuchung
erliegen, in beiläufig dahingesprochenen Nebensätzen einen "Wir gegen
die anderen"-Diskurs zu führen. Er suggeriert dabei, dass die
westlichen Mehrheitsbevölkerungen die Türken ohnehin nie akzeptieren
werden - daher sollten diese tunlichst unter sich bleiben und ihr
Türkentum zelebrieren.

Jörg Haider ist mit derselben Polemik politisch groß geworden,
Heinz-Christian Strache hat es ihm nachgemacht - beide mit
umgekehrten Vorzeichen wie Erdogan. Der Sprengstoff, der solcher
Politik innewohnt, ist evident: Spaltung, nicht Einigung lautet das
Motto. Toleranz hört sich für diese Herrschaften dort auf, wo sie
sich kritisiert fühlen. Insofern haben Kritiker wie der grüne
Bundesrat Efgani Dönmez recht, wenn sie sagen, dass Erdogan den
Rechten in Europa in die Hände spiele. Auch dass solch
nationalistisch aufgegockelte Politik eine immanente Gefahr
darstellt, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese ist, zumindest für
Europa, wahrscheinlich größer und unmittelbarer als die Gefahr, die
von islamistischem Terror ausgeht.

Allerdings: Deswegen zu fordern, jeglichen Kontakt zu und jegliche
Unterstützung für Moscheen und Kulturvereine zu kappen, um die
konservativen Kräfte in der Türkei nicht weiter "salonfähig" zu
machen, geht in die falsche Richtung. Glaubt man ernsthaft, junge
Türken würden sich weniger radikalisieren, wenn der Bundespräsident
kein Fastenbrechen besucht?

Das Gegenteil ist zu tun. Österreichs Politik sollte sich viel
intensiver (und ernsthafter) mit den religiösen und Kulturvereinen
beschäftigen, die sie zum Teil ja auch subventioniert. Und bei der
Gelegenheit sollte sie auch klarmachen, dass es nicht okay ist, wenn
sich vermeintlich unpolitische Vereinigungen von Politikern und
Parteien vereinnahmen lassen, die Demokratie und Grundrechte nicht
hochhalten. Davor müssen Österreichs Politiker aber erst
verinnerlichen, dass es sich bei Türken aller drei Generationen eben
nicht um Gäste, sondern um Mitbürger handelt, die Respekt, gleiche
Rechte und gleiche Chancen verdienen. Hätte man Türken nicht
jahrzehntelang als Mitbürger zweiter Klasse behandelt, müsste man
sich jetzt nicht vor dem "Spaltpilz" Erdogan fürchten.

Die Mehrheit der Türken in Österreich glaubt längst nicht alles,
was der Herr aus Ankara verheißt. Aber die Zeit drängt. Denn das
potenzielle Problem, das Populisten, Nationalisten und Demagogen
darstellen, wird nicht von selbst kleiner.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

533262

weitere Artikel:
  • Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTARE Bessere Bund-Länder-Kooperation Viel zu zaghaft BERNHARD HÄNEL Bielefeld (ots) - Bildung ist Ländersache. Ob diese Regelung tatsächlich optimal ist, ist umstritten seit Gründung der Bundesrepublik. Kaum noch strittig ist dagegen, dass es ein Fehler war, als bei der letzten Föderalismusreform ein Kooperationsverbot eingeführt wurde und damit allein die Länder die Kosten für die Bildung, für Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Weiterbildung tragen sollten. Nun also rudert man zurück. Doch viel zu zaghaft, denn der Referentenentwurf aus dem Bundesbildungsministerium kratzt allenfalls an der mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Kommentarauszug zu CDU/AfD: Frankfurt/Oder (ots) - Volker Kauder will mit AfD-lern nicht einmal in einer Talk-Show diskutieren. Es ist ein eindeutiges, sehr schroffes Bekenntnis zu einer kompletten Ablehnung der AfD. Angeblich teilen fast alle in der Fraktion - und darüber hinaus - Kauders diesbezügliche Haltung. Tatsächlich? Sind die familienpolitischen Vorstellungen in weiten Teilen von CDU und CSU so verschieden von denen der AfD? Waren die Plakate der AfD hinsichtlich des Zuzuges von Ausländern denen, die man schon von der CSU oder der CDU in Hessen gesehen mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Kommentarauszug zu BGH/Urteile/Fahrradhelm: Frankfurt/Oder (ots) - Dass mehr Helme zu mehr Sicherheit für den Einzelnen führen, ist nicht zu bestreiten. Mit Kopfschutz zu fahren, ist besser als ohne. Um aber auch das Risiko für Helm-Muffel zu senken, müssten Radfahrer bei der Planung der Infrastruktur berücksichtigt werden: Schmale Radwege sollten breiter sein, komplizierte Kreuzungen besser einzusehen. Und davon würden auch Helmträger profitieren. Pressekontakt: Märkische Oderzeitung CvD Telefon: 0335/5530 563 cvd@moz.de mehr...

  • neues deutschland: Fahrrad fahren ohne Schutzhelm: Helme für alle oder keinen Berlin (ots) - Wer hätte das gedacht? Der Bundesgerichtshof hat einer Radfahrerin in vollem Umfang Recht gegeben. Obwohl sie ohne Helm unterwegs war, trug sie keine Mitschuld, als sie der Alptraum aller Radfahrer traf: eine unvermittelt geöffnete Autotür. Lebensgefährlich ist das nicht für Autofahrer, die sonst ein höheres Risiko im Straßenverkehr haben. Für Radfahrer soll es deshalb vernünftig sein, einen Helm zu tragen. Das gilt auch für eine weitere alltägliche Situation im städtischen Straßenverkehr: Beim Abbiegen - ob nach links mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar zu Hochschulen Ulm (ots) - Lange war wenig zu hören von Bundeswissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU). Doch seit einigen Wochen ist das anders. Im Mai präsentierte sie eine Einigung zwischen Bund und Länder bei den Bildungsausgaben. Gestern legte ihr Ministerium einen Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes vor. Sollte er Zustimmung finden, würde Wanka die deutsche Hochschullandschaft prägen. Dabei ist der Entwurf nicht radikal. Er kippt nicht das erst 2006 erlassene Kooperationsverbot komplett - schon gar nicht im Bildungsbereich, der im Entwurf mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht