(Registrieren)

Lausitzer Rundschau: Sieg für die Kleinen Zur Aufhebung der Drei-Prozent-Hürde für die Europa-Wahl

Geschrieben am 26-02-2014

Cottbus (ots) - Wieder einmal hat das Bundesverfassungsgericht dem
Berliner Politikbetrieb eine satte Rüge erteilt. So wie schon beim
großen Lauschangriff und bei der Vorratsdatenspeicherung setzten die
obersten Richter auch gestern wieder ein Stoppzeichen gegen die allzu
große Laxheit des Gesetzgebers im Umgang mit dem Grundgesetz. Diesmal
wegen der erst vor einigen Monaten beschlossenen Drei-Prozent-Hürde
für die Europa-Wahl. Dabei hätten es alle politisch Beteiligten ahnen
können. Schon 2011 kippte das Gericht die Fünf-Prozent-Hürde und
erklärte dabei unmissverständlich, dass jegliche Wahlbenachteiligung
von Parteien beim Urnengang für Europa zu unterlassen sei. Doch die
Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der Linken scherten sich einen
Dreck darum. Sie zimmerten ein Gesetz nach der abenteuerlichen
Devise, dass sich ein Fahrverbot umgehen lässt, wenn man nur ein
kleines Auto benutzt. Kurzum, die Politik war ignorant und blind.
Deshalb ist sie in Karlsruhe gegen die Wand gefahren. Dabei ist der
Richterspruch selbst keineswegs unproblematisch. Und die Frage, wie
wenig oder wie viel Demokratie es braucht, damit sie ordentlich
funktionieren kann, auch noch nicht hinreichend beantwortet. Im
Grundsatz besteht natürlich die Gefahr der Zersplitterung, wenn auch
kleinste Parteien ins Parlament einziehen können. Im Europa-Parlament
sind allerdings ohnehin schon mehr als 160 Parteien vertreten. Auf
ein paar mehr wird es da kaum ankommen. Zumal es in Straßburg ja auch
keine klassischen Fraktionen gibt, die sich der Unterstützung einer
Regierung verschrieben haben. Auf der anderen Seite war es für
Mini-Gruppierungen wie die ÖDP oder Tierschutzpartei immer von großem
Nachteil, wegen der Drei- oder Fünf-Prozent-Hürde praktisch von
vornherein chancenlos zu sein. Gute Wahlkandidaten lassen sich so
kaum finden. Von bereitwilligen Großspendern ganz zu schweigen. Und
die Wähler halten ihre Stimme für verschenkt. Mit dem Karlsruher
Richterspruch verändert sich diese Situation nun fundamental. Denn
bei 96 Abgeordneten, die Deutschland in Straßburg stellt, genügen
künftig nur noch rund ein Prozent der Stimmen, um ins
Europa-Parlament einzuziehen. Das ist die neue Hürde, mit der sich
die Aussichten der Kleinen natürlich erheblich verbessern und die
auch einem gesellschaftlichen Trend Rechnung trägt: der wachsenden
Individualisierung und der nur noch mäßigen Bindungskraft der großen
Volksparteien. Vor diesem Hintergrund muss das Karlsruher Urteil -
obwohl ganz auf Europa fokussiert - dann auch unweigerlich zu einer
Debatte über die Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen führen. Beim
jüngsten Urnengang waren immerhin rund 15 Prozent der Stimmen unter
den Tisch gefallen, weil sie sich allesamt auf Parteien verteilten,
die unter dieser Marke blieben. "Verlorene Stimmen" also, von denen
aber die größeren Parteien profitierten. Denn ihnen wurden sie am
Ende zugeschlagen. Im Bundestag bleibt ja kein Mandat unbesetzt.
Angesichts dieser Entwicklung macht es schon Sinn, über eine
niederschwelligere Hürde nachzudenken, bevor auch dazu womöglich
Karlsruhe durch Klagen animiert wird. Inzwischen ist die Demokratie
im Land so gefestigt, dass sie eine größere Anzahl von Parteien im
Bundestag durchaus aushalten würde. Allerdings sollten sich die
Anhänger kleiner Gruppierungen trotzdem nichts vormachen. Der
demokratische Parteienstaat funktioniert über die Bildung von
parlamentarischen Fraktionen. Voraussetzung dafür sind gemeinsame
politische Grundüberzeugungen ihrer Mitglieder, mindestens die
Fähigkeit zum Kompromiss. Viele Kleinstparteien sind dazu nicht
fähig, weil zu radikal. Ein Votum für einflusslose Einzelkämpfer aber
wäre am Ende dann genauso eine "verlorene Stimme" wie die, die durch
die Fünf-Prozent-Hürde aussortiert wird.



Pressekontakt:
Lausitzer Rundschau

Telefon: 0355/481232
Fax: 0355/481275
politik@lr-online.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

514186

weitere Artikel:
  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Zuspitzung der Lage in der Ukraine Besonnenheit gefragt Matthias BUNGEROTH Bielefeld (ots) - Der russische Präsident Wladimir Putin lässt seine Muskeln spielen. Die Truppen im Grenzgebiet zum Krisenland Ukraine wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Die Botschaft ist klar: Putin duldet im nahezu bankrotten Vorhof seines Riesenreichs weder anarchische Verhältnisse noch ein Machtvakuum. Auch die totale Hinwendung einer künftigen Regierung des rund 46 Millionen Einwohner zählenden Landes zur Europäischen Union wird Putin kaum dulden. Zu intensiv sind neben den machtpolitischen Interessen auch die wirtschaftspolitischen mehr...

  • Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 27. Februar zur Affäre Erdogan Bremen (ots) - Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat eine einfache Antwort auf die immer neuen Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung und sich selbst: Lasst den Wähler entscheiden. Die Kommunalwahlen am 30. März werden von Erdogan zu einer Art Volksabstimmung über die Korruptionsaffäre erklärt. Gewinnt seine Partei AKP die Wahl deutlich, wie es die meisten Umfragen voraussagen, dann wird Erdogan das als Freispruch durch den obersten Richter im Land interpretieren. Tatsächlich wird die Wahl zeigen, inwieweit die Türken ihrem mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Expertenkritik zur Ökostrom-Förderung Mangelnde Effizienz WOLFGANG MULKE, BERLIN Bielefeld (ots) - Es gibt wichtige Fragen und falsche Antworten. Eine davon hat die Expertenkommission Forschung und Innovation aufgeworfen. Wäre es nicht besser, wenn die Einspeisevergütung für Ökostrom ganz abgeschafft würde? Zwei Gründe führen die Regierungsberater dafür an. Die milliardenschwere Subvention führe weder zu mehr Patenten noch zu mehr Klimaschutz. Da machen es sich die renommierten Wissenschaftler aber viel zu einfach. Richtig ist, dass die Förderung mit zuletzt 23 Milliarden Euro Verbraucher und Wirtschaft viel mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Ohrfeige aus Karlsruhe / Das Urteil zur Drei-Prozent-Hürde ärgert etablierte Parteien und sägt am Selbstverständnis des EU-Parlaments. Leitartikel von Hanna Vauchelle Regensburg (ots) - Denkbar knapp fiel das Urteil aus: Mit fünf zu drei Stimmen kippte Karlsruhe die Drei-Prozent-Hürde bei den Europawahlen. Damit ist der Weg für Freie Wähler, Piraten und NPD frei. Die Begründung der Richter, dass die Stimme jedes Wählers die gleiche Erfolgschance haben müsse, leuchtet ein. Verstörend ist hingegen, was Karlsruhe vom Europaparlament zu halten scheint: relativ wenig. Das Urteil ist eine Ohrfeige für die Straßburger Kammer. 163 europäische Parteien tummeln sich derzeit im Europaparlament. Das Wegfallen mehr...

  • Allg. Zeitung Mainz: Wiesbadener Kurier Kommentar zum Karlsruher Urteil Mainz (ots) - Politik in der Robe Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Aufgabe, Politikern die Arbeit zu erleichtern. Es ist aber auch nicht zum Gegenteil verpflichtet. Oder, viel schlimmer, bei seinen Entscheidungen selbst politisch zu denken und zu handeln. Letzteres haben die Richter in Karlsruhe aber gestern getan, als sie die Drei-Prozent-Hürde für die Europawahlen kassiert haben. Sicher ist richtig, dass jegliche Barriere den Anschein von Willkür erweckt. Warum fünf Prozent, warum drei Prozent? Doch diese Hürdenfrage mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht