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BERLINER MORGENPOST: Ein Vertrag, besser als befürchtet / Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Geschrieben am 27-11-2013

Berlin (ots) - Der große und mutige, die Zukunftsprobleme des
Landes und der Gesellschaft anpackende Wurf ist dieser
Koalitionsvertrag nicht. Aber die Lage in Deutschland ist ja auch
nicht so düster, wie sie von den Oppositionsparteien einschließlich
der SPD im Bundestagswahlkampf beschworen wurde. Das Land lebt noch
immer ganz gut von seiner Substanz. Wenn es eine große Koalition
schafft, diese zumindest zu wahren, gar auf ein etwas breiteres
Fundament zu stellen, wäre das schon ein Erfolg.

Die Chancen dafür sind nicht so schlecht, wie es Kritiker
behaupten. Der Koalitionsvertrag ist keine neue Agenda, wie sie einst
Gerhard Schröder im Alleingang - durch die Not gedrängt - gewagt hat.
Aber er ist ein solider fairer Kompromiss zwischen drei Parteien, die
sich vor ein paar Wochen noch aufs Schärfste beharkt haben. Dass alle
drei Vorsitzenden sich am Mittwoch als Sieger preisen konnten,
spricht für ein solches Austarieren sehr unterschiedlicher Interessen
und Forderungen. Alles kein Signal zum Aufbruch. Aber auch kein
wirkliches Gefährdungsprogramm für die wirtschaftliche und
finanzielle Entwicklung im Lande, von der auch diese Koalition
abhängig ist, will sie halten, was sie im Vertrag verspricht.

Und was hat Berlin von alledem? Keinen Grund zum Meckern. Obwohl
das Bonn-Berlin-Gesetz nicht geändert und der Hauptstadtvertrag
finanziell nicht aufgebessert wird. Die moderate Mietpreisbremse
dagegen wird auch viele Berliner freuen. Noch größere Zufriedenheit
sollte in weiten Teilen von Wissenschaft und Kultur herrschen. Freie
Universität und Humboldt-Universität als bisherige
Exzellenz-Universitäten können weiter mit Sonderförderungen rechnen,
ebenso die Charité angesichts der proklamierten "herausgehobenen
Stellung" für die Gesundheitsforschung.

Im Kulturteil des Vertrags wird es sogar konkret: volle
Unterstützung bei der Realisierung des Humboldt-Forums samt
Finanzierung des Nutzungskonzepts, Stärkung der Arbeit der Stiftungen
Preußischer Kulturbesitz und Schlösser und Gärten. Das
Gedenkstättenkonzept wird durch die dauerhafte finanzielle Sicherung
des Archivs der DDR-Opposition und der Open-Air-Ausstellung
"Friedliche Revolution 1989" sowie durch die Unterstützung des Umzugs
des Alliierten-Museums zum ehemaligen Flughafen Tempelhof
aufgewertet. Es hat sich wohl ausgezahlt, dass mit dem Regierenden
Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der CDU-Bundestagsabgeordneten
und Kanzlerin-Vertrauten Monika Grütters nicht nur zwei Berliner,
sondern auch schon eine personalisierte große Hauptstadtkoalition mit
am Verhandlungstisch saß. Das hat auch intern bereits Wirkung
gezeigt. Berlins SPD-Landesvorsitzender Jan Stöß, bislang skeptisch
gegenüber einem Bündnis mit der Union im Bund, empfiehlt seinen
Genossen Annahme.

Wieweit diese Einsicht Einzug in die Gesamtpartei hält, bleibt die
alles entscheidende Frage. Ob die Koalition tatsächlich besiegelt
wird, hängt nun allein von den 470.000 SPD-Mitgliedern ab. Parteichef
Sigmar Gabriel muss ein riskantes, weil angesichts Hunderttausender
"Karteileichen" unberechenbares Mitgliedervotum für sich entscheiden.
Das sieht die Satzung so vor. Der Ausgang der Abstimmung bestimmt
nicht nur die nächste Bundesregierung, von ihm hängt auch die Zukunft
des gesamten SPD-Vorstands ab. Fällt das Votum für die Führungsriege
negativ aus, dürften ihre Tage an der Spitze gezählt sein. Sie haben
als klare Wahlverlierer immerhin herausgeholt, was zu bekommen war:
Mindestlohn, Aufweichung der Rente mit 67, mehr Geld für die
Kommunen, Einstieg in die doppelte Staatsbürgerschaft. Aber es bleibt
spannend. Dieser Unsicherheit ist auch die Bitte der SPD geschuldet,
über die Minister vorerst zu schweigen. Allein zum Inhalt
entscheiden, nicht über Personen - eine Lehre der SPD-Führung nach
ihrem mageren Wahlergebnis jüngst beim Leipziger Parteitag.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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