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DER STANDARD-KOMMENTAR "Der Besen des Zauberlehrlings" von Gudrun Harrer

Geschrieben am 07-11-2013

Christen im Nahen Osten leiden am kolonialistischen Erbe - und
am Salafismus - Ausgabe vom 8.11.2013

Wien (ots) - Die Situation der Christen im Nahen Osten ist nicht
mehr prekär, sie ist katastrophal. Mit dem Umsturz im Irak 2003 und
dem darauffolgenden sunnitisch-schiitischen Bürgerkrieg wurde eine
Büchse der Pandora geöffnet, die immer neue Schrecken in die Welt
entlässt. Zehn Jahre nach der US-Invasion im Irak ist für die
Christen der Region der Arabische Frühling, der 2011 von der ganzen
Welt als Freiheitsbewegung begrüßt wurde, längst zum Albtraum
geworden. Christen aller Denominationen - die einander oft gar nicht
grün sind - scheinen als Blitzableiter der im Umbruch befindlichen
Gesellschaften zu fungieren. Man könnte ihre Schwierigkeiten ganz
allgemein den schwierigen politischen Transformationen, den Wehen,
unter denen neue Ordnungen geboren werden, zuschreiben. In der
Verunsicherung ihrer zusammengebrochenen Welt greifen die Menschen
auf sichere Identitäten zurück, wie das Muslim-Sein - was das Leben
für Nichtmuslime härter macht. Das reicht jedoch als Erklärung nicht
aus. Es ist eine aus der Geschichte erklärliche Tatsache, dass sich
die Nahost-Diktatoren die Rolle der Beschützer der Minderheiten
arrogierten - und nicht nur in Syrien, wo der Machthaber selbst aus
einer verfolgten konfessionellen Minderheit stammt. Daher stammt die
häufige Punzierung der Christen als Kollaborateure. Im Fall der
Christen kommt zu deren Ungunsten noch eine Spätfolge der
Kolonialzeit, in der auch viel christlich missioniert wurde, hinzu:
Sie wurden oft als Agenten des Imperialismus gesehen - so wie die
gestürzten postkolonialen Machthaber als Marionetten des Westens.
Nun, durch die Emanzipation der Unterdrückten, hat dieser innere
Feind, die fünfte Kolonne des Westens, verloren - und soll
verschwinden. Besonders absurd ist das in Ägypten, dem Land, dessen
Namen in vielen Sprachen, auch im Deutschen, dieselbe Wurzel wie das
Wort "Kopte" hat. Aber auch diese historisch-politischen Erklärungen
greifen zu kurz. Der Aufschwung des salafistischen Islam, der im
westlichen Teil des Nahen Ostens mit seiner ungeheuren kulturellen
und konfessionellen Vielfalt keine Wurzeln hat, ist nicht nur dem
Westen anzulasten. Die Salafisten heften sich die Verbreitung des
"Monotheismus" auf die Fahnen. Das ist insofern mehr als einfach nur
der Islam, als "der andere" als Polytheist markiert wird - das sind
nicht nur angeblich fehlgeleitete Muslime, womit die Salafisten in
erster Linie die Schiiten mit ihren Imamen meinen, sondern auch
Christen, von deren Dreifaltigkeit man vage Vorstellungen hat. Im
Internet findet man Predigten salafistischer Scheichs, die mit der
Abwesenheit jeder christlichen Spur in Saudi-Arabien prahlen - und
Nachahmung für andere arabische Länder fordern. Das wirtschaftlich
und politisch stärkste arabische Land, Saudi-Arabien, sieht es als
Teil seiner Identität an, Christen (und Angehörigen aller anderen
Konfessionen) ihr Recht auf Religionsausübung zu verweigern. Und
jahrelang wurde dieses Gedankengut exportiert. In Saudi-Arabien
selbst sind Teile der Elite längst zur Einsicht gelangt, dass dieser
Export ein Irrweg war, der letztlich auch das eigene Land gefährdet.
Aber der Besen des Zauberlehrlings ist unterwegs, und es ist kein
Meister in Sicht, der den Spuk abstellen könnte. Eines Tages wird er
vorbei sein, aber das könnte für die Christen des Nahen Ostens zu
spät kommen.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70 DW 445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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