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Hausärzte begeistern: Maßnahmen zur Sicherung der allgemeinmedizinischen Versorgung

Geschrieben am 04-11-2013

Frankfurt am Main (ots) - Derzeit findet in Deutschland nur jeder
zweite Hausarzt, der aus Altersgründen seine Praxis aufgibt, einen
Nachfolger. Allein um den jetzigen Stand der medizinischen
Grundversorgung zu sichern, müssten jährlich mindestens doppelt so
viele Fachärztinnen und Fachärzte für Allgemeinmedizin weitergebildet
werden wie bisher.

Ein modernes Gesundheitssystem benötigt als Fundament eine
flächendeckende, wohnortnahe und patientenorientierte Grundversorgung
durch Hausärzte. Dies gilt erst Recht in einer Gesellschaft des
"längeren Lebens", in der chronische Erkrankungen zunehmen und die
Medizin insgesamt immer spezialisierter und kleinteiliger wird. Einer
muss hier den Überblick behalten. Insbesondere Patienten mit mehreren
chronischen Erkrankungen wünschen und benötigen eine zuverlässige
Betreuung aus einer Hand sowie eine Vertrauensperson, die sie durch
das für sie oft unüberschaubare Gesundheitswesen begleitet. Somit
stellt die Sicherung der gesundheitlichen Grundversorgung der
Bevölkerung, nicht zuletzt auch im ländlichen Raum und in schwächer
strukturierten Gebieten der Ballungsräume, eine gesellschaftliche
Aufgabe ersten Ranges dar.

Wirksame Lösungskonzepte liegen vor, werden bisher aber nur
halbherzig oder gar nicht umgesetzt. Die hier Verantwortlichen, allen
voran Politik, Krankenkassen, Ärztekammern, Kassenärztliche
Vereinigungen und Universitäten müssen nunmehr rasch und konsequent
handeln. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und
Familienmedizin (DEGAM) benennt im Folgenden die wichtigsten
Maßnahmen zur Zukunftssicherung in drei zentralen Handlungsfeldern:
Ausbildung, Weiterbildung und Niederlassung.

Feld 1: Medizinstudium (= Ausbildung)

Studierende der Medizin müssen im Rahmen ihrer Ausbildung, die
überwiegend an hochspezialisierten Universitätskliniken stattfindet,
auch die Gelegenheit bekommen, die Diagnostik und Therapie
zahlreicher häufiger, in der Regel ambulant behandelter Erkrankungen
praktisch kennen zu lernen. Viele häufige Patientenanliegen wie eine
Mittelohrentzündung, ein unklarer Rückenschmerz oder eine Bronchitis
kommen in der "Supramaximalversorgung" der Unikliniken praktisch
nicht vor. Wie international bereits üblich, ist daher auch in
Deutschland ein längerer Ausbildungsabschnitt in
allgemeinmedizinischen Praxen sinnvoll und notwendig. Strategien zur
Langzeitversorgung chronisch Kranker, der Umgang mit der
gleichzeitigen Anwendung verschiedener Arzneimittel
(Multimedikation), Hausbesuche oder die Versorgung in Alten- und
Pflegeheimen können nur hier vermittelt werden. Dabei würden alle
Studierenden, auch und gerade wenn Sie später z.B. als Chirurg oder
Psychiater arbeiten, von einem intensiveren Ausbildungsabschnitt in
einer allgemeinmedizinischen Lehrpraxis profitieren. Mehrere Studien
zeigen, dass Praktika in Lehrpraxen und das persönliche Kennenlernen
dieses Berufsfeldes nicht nur die Ausbildung verbessern und
verbreitern, sondern auch die Bereitschaft erhöhen, nach dem Studium
eine Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin anzustreben.

Zur Verbesserung der Ausbildung zukünftiger Ärztinnen und Ärzte
sowie zur Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung schlägt
die DEGAM deshalb vor:

- Eine für alle Studierende verbindlich vorgeschriebene
Ausbildungszeit in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen (sog.
Pflichtquartal im Praktischen Jahr)
- Frühzeitiger Kontakt aller Medizinstudierenden auch zu
"normalen" Patienten in allgemeinmedizinischen Praxen
- Einrichtung allgemeinmedizinischer Lehrstühle an allen
medizinischen Fachbereichen der Universitäten (bisher bestehen
erst an 22 von 37 Medizinfakultäten eigenständige Institute oder
Abteilungen für Allgemeinmedizin)

Feld 2: Weiterbildung

Es gibt in Deutschland junge Ärzte/innen, die motiviert sind,
Facharzt/ärztin für Allgemeinmedizin zu werden, denen dieser Weg aber
aufgrund regional ausgeschöpfter Fördertöpfe bei der jeweiligen
Kassenärztlichen Vereinigung verwehrt wurde. Die Weiterbildungszeit
zum Facharzt/ärztin - die meistens direkt an das Studium anschließt -
dauert mindestens fünf Jahre, von denen in der Regel drei Jahre im
Krankenhaus und zwei Jahre in der ambulanten hausärztlichen
Versorgung abgeleistet werden. Da Ärzte in Weiterbildung noch unter
Aufsicht tätig werden und (in der Praxis) keine Leistungen abrechnen
dürfen, hat der Gesetzgeber für bundesweit mindestens 5.000 Stellen
ein Förderprogramm zur Weiterbildung der dringend benötigten
Allgemeinärzte geschaffen. Aufgrund fehlender bundesweiter Abstimmung
und infolge von regionalen Auseinandersetzungen zwischen Haus- und
Fachärzten, kommt es hier wiederholt zu völlig unnötigen
Umsetzungsproblemen. Die DEGAM schlägt vor:

- Jede/r junge Arzt/Ärztin, die/der sich für das Fach
Allgemeinmedizin entscheidet, muss zukünftig einen verbindlich
garantierten Förderanspruch in Form eines persönlichen
Weiterbildungsbudgets für die gesamte Dauer der Weiterbildung
bekommen.
- Zur Überwindung organisatorischer und fachlicher Hürden sollten
flächendeckend regionale Weiterbildungsverbünde, bestehend aus
weiterbildenden Kliniken und Praxen, aufgebaut werden.
- Zur Gewährleistung einer nahtlosen Verbindung zwischen
universitärer Ausbildung und Weiterbildung sollen nach bereits
erfolgreichen nationalen und internationalen Vorbildern für alle
37 Medizinfakultäten Kompetenzzentren für die Weiterbildung
Allgemeinmedizin geschaffen werden. Sie helfen beim Wechsel von
der universitären Ausbildung in die Phase der Weiterbildung zum
Facharzt/ärztin, indem sie fachliche Begleitseminare
organisieren, den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung Mentoren
zur Seite stellen und fachlich-didaktische Schulungen für die
Seminarleiter anbieten. Die Qualität wird dabei durch
regelmäßige Befragungen der Teilnehmenden gesichert.
- Zur gezielten und einheitlichen Unterstützung der in Aus- und
Weiterbildung notwendigen Maßnahmen soll eine "Förderstiftung
Allgemeinmedizin" geschaffen werden, an der alle
Verantwortlichen und Kostenträger sowie Bund und Länder
beteiligt sind.

Feld 3: Niederlassung in der Praxis

64 % der neuen Fachärzte für Allgemeinmedizin sind weiblich,
Tendenz steigend. Die Mehrzahl der jungen Ärztinnen und Ärzte möchte
nicht mehr als Einzelkämpfer in eigener Praxis arbeiten und bevorzugt
stattdessen die Anstellung in einer Gemeinschaftspraxis. Um Familie
und Beruf besser vereinbaren zu können, werden oftmals
Teilzeitarbeitsverhältnisse gesucht. Die Hausarztpraxis der Zukunft
wird daher in der Regel eine Teampraxis sein, in der auch die
Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen (z.B. der Pflege) eine
wichtige Rolle spielt.

Neue, kooperativ ausgerichtete Modelle zur Versorgung der
Patienten, die sowohl der starken Zunahme chronisch und mehrfach
Erkrankter als auch den Bedürfnissen des Nachwuchses entsprechen,
sind sinnvoll, zum Teil sehr attraktiv und könnten je nach regionalen
Bedürfnissen und Besonderheiten eine interessante Alternative zur
klassischen Einzel-Hausarztpraxis darstellen. Jungen Ärzten/innen und
ihren Familien muss es u.a. ermöglicht werden, dass sie in den von
ihnen bevorzugten Ballungsräumen wohnen bleiben und dennoch einer
(Teilzeit-)Tätigkeit in schwächer strukturierten bzw. ländlichen
Gebieten nachgehen können. Es kommt hinzu, dass das Gespräch und die
persönliche Zuwendung von Hausärzten immer noch schlechter bezahlt
werden, als die Erbringung technischer Leistungen durch
spezialisierte Fachärzte (z.B. Labor- oder Röntgenärzte). Hier muss
ein fairer Ausgleich geschaffen und einer verbreiteten, gleichzeitig
nebeneinander bestehenden Über-, Unter- und Fehlversorgung Einhalt
geboten werden. Die DEGAM schlägt vor:

- Gezielte Förderung und Erprobung neuer Versorgungskonzepte, die
den Bedürfnissen chronisch kranker Patienten besser gerecht
werden und darüber hinaus für junge Ärzte/innen die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern,
- Umgestaltung des ärztlichen Honorarsystems und Aufwertung
insbesondere gesprächs- und betreuungsintensiver Leistungen,
- Ausgleich von nebeneinander bestehenden Bereichen mit
Überversorgung (z.B. unnötige Untersuchungen), Unterversorgung
(z.B. lückenhafte palliativmedizinische Betreuung von
Schwerkranken) und Fehlversorgung (Qualitätsmängel bei der
Durchführung von diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen).

Fazit

Die Sicherung einer flächendeckenden, wohnortnahen
gesundheitlichen Grundversorgung der Bevölkerung ist eine nationale
Aufgabe mit höchstem Stellenwert. Der Schlüssel zur Lösung dieser
Aufgabe liegt in einer guten allgemeinmedizinischen Ausbildung der
Medizinstudierenden und der professionellen Weiterbildung der dafür
dringend benötigten Fachärzte/innen für Allgemeinmedizin. Die
hausärztliche Versorgung aller Patienten hat nur dann eine Zukunft,
wenn es gelingt, jetzt die Weichen richtig zu stellen und attraktive,
in die Zukunft weisende Angebote zu machen.

Die DEGAM hat sich auch in 24 Zukunftspositionen (Allgemeinmedizin
- spezialisiert auf den ganzen Menschen) nachdrücklich dazu geäußert,
welche Elemente für eine gute Zukunft der Allgemeinmedizin und der
hausärztlichen Praxis erforderlich sind: http://ots.de/JcvOW



Pressekontakt:
Philipp Gehring
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
DEGAM-Bundesgeschäftsstelle
Goethe-Universität, Haus 15, 4. OG
Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt am Main
Telefon: 069 - 65 00 72 45
E-Mail: presse@degam.de


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