(Registrieren)

DER STANDARD-Kommentar "Wien man eine Regierung bildet" von Conrad Seidl

Geschrieben am 21-10-2013

Ein Lehrstück, das wohl keine Chance hat

Wien (ots) - Es war einmal ein Minister, der in den hohen Räumen
seines Ministerbüros etwas Nützliches tun wollte. Ihm war, was hinter
gepolsterten Türen nicht selbstverständlich ist, zu Ohren gekommen,
dass sein Ministerium nicht recht effizient organisiert sei. Also
rief er die Spitzenbeamten zu sich und beauftragte sie, eine ideale
Organisation des Ministeriums zu entwerfen, mit straffen
Budgetvorgaben und klaren Verantwortlichkeiten - was die hohen
Herren, einander stets eifersüchtig beäugend, dann auch taten. Am
Ende stand eine Organisation, die durchaus geeignet erschien: Jeder
hatte sich so viel Macht und Einfluss gesichert, wie für seine Arbeit
nötig war, ohne dabei einen anderen schlechterzustellen. Der Minister
ließ sich den Plan vorlegen, fragte bei jedem einzeln nach, ob das
wirklich das für ihn persönlich beste Ergebnis mit der besten
Machtverteilung wäre, und dankte den Herren. Mit diesem optimalen
Plan gedenke er das Ministerium nun zu führen - aber mit jüngeren
Kräften. Die alte Garde (es handelte sich um das
Verteidigungsministerium) erfuhr zu ihrem Schrecken, dass sie nun in
Pension geschickt würde. Die Posten hat der Minister neu
ausgeschrieben und an ein relativ junges, gut ausgebildetes, aber
unverbrauchtes Führungsteam übergeben. Bravo! Die eben erzählte
Geschichte hat sich tatsächlich einmal so zugetragen - und sie könnte
ein nettes Lehrstück für die Koalitionsverhandlungen sein. Auch da
sitzen einander viele in ihren Ämtern grau gewordene Funktionsträger
gegenüber, die danach gieren, die Macht optimal zu verteilen. Der
Schwarze passt auf, dass der Rote sich nicht zu viel nimmt - und der
Rote versucht Einflussbereiche mit dem Schwarzen abzutauschen. Am
Ende werden sie keine optimale Konstruktion haben, aber wohl die
bestmögliche. Im Märchen ginge die Geschichte dann so weiter: Der
Herr Bundespräsident (er ist nicht im Märchen, sondern in der
Verfassung der Herr über der Regierungsbildung) dankt der alten Garde
und schickt sie in den wohlverdienten Ruhestand, um neuen, jungen
Leuten die Regierungsgeschäfte zu übertragen. Er würde dabei peinlich
darauf achten, dass das, was sich ein Roter als Optimum konstruiert
hat, an einen Exponenten der Schwarzen fiele und umgekehrt - wenn er
nicht überhaupt Personen aus anderen Parteien beauftragte. Gut: Wir
leben nicht in einem Märchen. Wir leben in einer Realität, in der der
Bundespräsident am Ende ein Kabinett angeloben wird, in dem
vielleicht weniger Minister sitzen, aber der alte koalitionäre
Pragmatismus zur Grundmaxime erhoben wird. Da werden Machtbereiche
abgesteckt - schon wacht der Bauernbund darüber, dass "sein"
Landwirtschaftsministerium nichts verliert, und die Gewerkschaft
sichert sich vorsorglich alle Sozialagenden in "ihrem"
Sozialministerium (wenn Gesundheit hinzukäme, hätte keiner in der
roten Mannschaft etwas dagegen - vorausgesetzt es kostet nicht den
eigenen Job). Und weil man nicht im Märchen lebt, wird man diese
Machtpositionen auch gut selber füllen. Man nennt das dann
"Stabilität". Das eingangs erzählte Märchen ist übrigens nicht gut
ausgegangen. Zwar hat der Minister sein Ministerium mit den neuen
Leuten halbwegs in den Griff bekommen - aber bald waren Neuwahlen.
Der nächste Minister sah Reformbedarf. Und wenn sie nicht gestorben
sind, reformieren sie noch heute.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

492325

weitere Artikel:
  • Trierischer Volksfreund: Postengeschacher im Bundestag: Leitartikel Trierischer Volksfreund, ET 22.10.2013 Trier (ots) - Ein Sitzungsleiter soll neutral sein, er soll die Rechte jedes einzelnen Teilnehmers durchsetzen. Im Fall des Bundestages die jedes einzelnen Abgeordneten. Das Wort erteilen, auf Einhaltung der Redezeiten achten, für faire Abläufe sorgen. Manchmal auch das Parlament als Ganzes repräsentieren. Eigentlich müsste es egal sein, welcher Partei ein Parlamentspräsident und seine Stellvertreter angehören; die gefragte Qualifikation ist Begeisterung für die demokratische Debatte, nicht Ideologie. Es gibt deshalb keinen Grund, mehr...

  • neues deutschland: zu Spenden und Parteienfinanzierung Berlin (ots) - Die CDU sieht keinen Bedarf für eine Reform der Parteispenden. Wieso auch? Sie profitiert schließlich am meisten von der aktuellen Regelung. So wurde vergangene Woche bekannt, dass die BMW-Erben Quandt und Klatten und der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie an CDU und CSU jeweils mehr als 500 000 Euro spendeten. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe will an der derzeitigen Praxis festhalten. Schließlich sei es »absurd, diese Spenden in irgendeinen Zusammenhang mit konkreten politischen Entscheidungen mehr...

  • Stuttgarter Zeitung: Beunruhigend / Kommentar zu Großbritannien/Cameron/Atomkraft Stuttgart (ots) - Kein Land setzt so sehr auf Atomenergie wie China. Natürlich ist Peking daran interessiert, sein Knowhow zu exportieren, auch nach Europa. Dafür ist nun in Großbritannien ein entscheidender Schritt gelungen. Zwar geben in dem französisch-chinesischen Konsortium, das den Briten das erste Atomkraftwerk seit 1995 an die Küste stellen soll, die Partner auf der anderen Seite des Ärmelkanals den Ton an. Die britisch-chinesischen Verträge sehen aber vor, dass sich das künftig ändern kann. Mit Blick auf chinesische Baustandards mehr...

  • Stuttgarter Zeitung: Schulfrieden nicht in Sicht / Kommentar zu Baden-Württemberg/Bildungspolitik/Schulen Stuttgart (ots) - Momentan sieht es nicht nach einem Schulfrieden in Baden-Württemberg aus. Beide Seiten - Grün-Rot wie CDU - werden sich aber bewegen müssen. Die CDU erweckt den Eindruck, der Umbau des Schulsystems lasse sich zurückdrehen und Gemeinschaftsschulen seien eine vorübergehende Erscheinung. Das ist falsch und unverantwortlich vor allem gegenüber den Eltern, die dringend Orientierung brauchen, welche Schule für ihre Kinder die richtige ist. Wahr ist aber auch, dass viele Eltern nicht davon überzeugt sind, dass das mehr...

  • Stuttgarter Zeitung: Kommentar zu Frankreich/Front National/Le Pen Stuttgart (ots) - Frankreich erlebt eine doppelte Krise. Zur Wirtschaftskrise gesellt sich die Identitätskrise. Arbeitslosenquote und Firmenpleiten haben Rekordniveau erreicht. Hinzu kommt der Bedeutungsverlust des Landes. Was Halt gab, bricht weg. Ein wachsender Teil des Volkes würde am liebsten die Zeit zurückdrehen. Und genau da setzt Marine Le Pen an. Sie verheißt die Wiederauferstehung des zwanzigsten, ja des neunzehnten Jahrhunderts. Die FN-Chefin predigt die Rückkehr zu ungebrochener nationalstaatlicher Souveränität, Todesstrafe, mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht