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Landeszeitung Lüneburg: ,,Das Pendel schlägt zurück" - Interview zum Afghanistan-Abzug der Bundeswehr mit Prof. Dr. Michael Staack

Geschrieben am 17-10-2013

Lüneburg (ots) - Die Bundeswehr hat nach zehn Jahren Abschied von
ihrem wohl gefährlichsten Einsatzort im nordafghanischen Kundus
genommen. Das dortige Feldlager wurde an die afghanischen
Sicherheitskräfte übergeben. Prof. Dr. Michael Staack, der
Internationale Politik an der Helmut-Schmidt-Universtität in Hamburg
lehrt, zieht eine gemischte Bilanz: "Ein funktionierender Staat wurde
nicht geschaffen, aber Chancen für die Afghanen eröffnet. Die Skepsis
im Westen gegenüber Militäreinsätzen wächst, doch er zieht sich nicht
aus der Weltordnungspolitik zurück."

"Schlechter als erhofft", wie Verteidigungsminister de Maizière es
sieht, oder "nichts erreicht", wie Peter Scholl-Latour meint. Wie
sieht Ihre Bilanz nach zwölf Jahren Afghanistan-Einsatz aus?

Prof. Dr. Michael Staack: Gemischt. Auf der einen Seite wurde
manches erreicht. So eröffnete der Wiederaufbau in Teilen des Landes
der afghanischen Bevölkerung durchaus Perspektiven. Zudem ist die
Sicherheitslage besser als 2001. Auf der anderen Seite ist es nicht
gelungen, einen funktionierenden Staat zu schaffen. Sicherheit gibt
es nur in Teilen des Landes. Von einem aus eigener Kraft
überlebensfähigen Staat darf man nicht ausgehen.

Was bleibt von den Brücken und den Mädchenschulen?

Prof. Staack: Einiges, wobei die Bundeswehr weniger Brü"cken und
Mädchenschulen gebaut hat, als in der Öffentlichkeit vermittelt
wurde. Aber durch die Beiträge von Bundeswehr, Entwicklungshilfe und
zivilen Hilfsorganisationen sind viele Inseln in Afghanistan
entstanden, die der Bevölkerung zeigen, dass sich das Land entwickeln
kann. Der ausländische Beitrag ist aber eine Hilfe zur Selbsthilfe.
Entscheidend ist, was in der afghanischen Gesellschaft selbst
passiert. Ob die Afghanen die Hilfe aufgreifen und einen eigenen Weg
entwickeln.

Der erste Kriegseinsatz deutscher Bodentruppen nach 1945 dauerte
länger als die beiden Weltkriege zusammen. Trotz 54 Gefallener: Wieso
lässt der Hindukusch die Öffentlichkeit so unberührt?

Prof. Staack: Der Hindukusch ist weit weg, geografisch und
politisch. Obwohl ich ihn ansonsten sehr schätzte, habe ich immer ein
Problem mit der Aussage des ehemaligen Verteidigungsministers Peter
Struck (SPD) gehabt, wonach Deutschlands Sicherheit am Hindukusch
verteidigt werde. Diese Einschätzung ist in der deutschen
Gesellschaft nie angekommen. Es ist aber auch zu berücksichtigen,
dass sich der Einsatz der Bundeswehr fundamental geändert hat.
Anfangs ging es um Hilfe zur Stabilisierung der afghanischen
Regierung. Später ging es dann nur noch um die Selbstverteidigung der
ausländischen Truppen, was zur Parteinahme führte. Die Bundeswehr war
und ist in Afghanistan Bürgerkriegspartei. Seit einigen Jahren
verzeichnen wir eher Stagnation als Fortschritte beim Staatsaufbau.
All dies führte dazu, dass der Sinn des Einsatzes nicht mehr
vermittelt werden konnte.

Wäre es schon 2006 Zeit für eine Exit-Strategie gewesen, als sich
der Charakter des Einsatzes so massiv änderte?

Prof. Staack: Das Datum lag schon früher. Denn die Sicherheitslage
in Afghanistan verschlechterte sich massiv bereits ab 2003, als die
USA größere Truppenkontingente in den Irak verlagert haben. Es
dauerte dann bis 2006, bis dieser Wandel auch die Gebiete im Norden
erreichte, die unter Kontrolle der Bundeswehr standen. Eine
Exit-Option bestand bei diesem multinationalen Einsatz unter Führung
der USA nicht wirklich.

Der Verteidigungsminister sieht in den 54 Gefallenen der
Bundeswehr eine Zäsur für Deutschland. Offenbar eine negativ
bewertete oder wie sind die Umfragen sonst zu erklären?

Prof. Staack: Das erklärt sich auch daraus, dass der Einsatz
ungefähr seit 2005 politisch nicht mehr offensiv vertreten wird.
Nachdem Struck dies noch leistete, versäumte sein Nachfolger Franz
Josef Jung (CDU) über vier Jahre, den Bürgern den Einsatz der
Bundeswehr zu begründen. Die Bundeskanzlerin hat ebenfalls nichts
dazu gesagt. Man kann nicht erwarten, dass ein Einsatz, den die
Regierung weder begründet noch verteidigt, in der Gesellschaft
akzeptiert wird.

Liegt das auch daran, dass Sicherheitspolitik in Deutschland
tabuisiert beziehungsweise an den Rand gedrängt wird?

Prof. Staack: Da ist sicherlich ein wahres Moment dran.
Andererseits haben sich Bundesregierungen bei anderen Entscheidungen
offensiv für ihre Sicherheitspolitik eingesetzt. Ich erinnere daran,
wie nachdrücklich die damalige Regierung Schröder-Fischer für den
Einsatz im Kosovo eingetreten ist. Gleiches gilt für den Einsatz in
Mazedonien 2001, der wahrscheinlich eine Fehlentwicklung in diesem
Land verhindert hat, damals aber auf eine starke Opposition stieß. Es
bedarf einer politischen Führung, die Sicherheitspolitik in die
Gesellschaft vermittelt. Generell ist die Gesellschaft offen für
Bundeswehr-Einsätze, wie sich an vielfältiger Unterstützung ablesen
lässt. Aber wenn sich die Regierung vor dieser Debatte drückt, kann
sie nicht erwarten, dass diese in der Gesellschaft stattfindet.

"In Afghanistan lernte die Bundeswehr kämpfen." Hat de Maizière
recht? War der Einsatz eine Blaupause für künftige NATO-Einsätze als
Weltpolizist?

Prof. Staack: Die Bundeswehr hat in Afghanistan gekämpft. Aber
dafür ist sie nicht dorthin entsandt worden. Sie sollte Sicherheit
exportieren und sich nicht in einen Bürgerkrieg verwickeln lassen.
Insofern ist sehr fraglich, ob man es positiv bewerten sollte, dass
die Bundeswehr dort gelernt hat zu kämpfen. Was die
Blaupausen-Funktion angeht, bin ich sehr skeptisch. Sowohl der
Afghanis"tan- als auch der Irak-Einsatz, an dem sich Deutschland aus
guten Gründen nicht beteiligt hat, haben gezeigt, dass großangelegte
Pläne für den Wiederaufbau von Staaten in der Regel nicht
durchzuführen sind. Entwicklungen, die bei uns Jahrhunderte
brauchten, lassen sich in anderen Teilen der Welt nicht in fünf bis
zehn Jahren wiederholen. Zudem fehlt westlichen Gesellschaften die
Geduld, Aufbauprozesse in solchen Staaten über längere Zeiträume zu
unterstützen. Zuletzt braucht man starke Partner in derartigen
Gesellschaften, um demokratisierende Entwicklungen anzustoßen. Und
die fehlen in Afghanistan.

Stichwort fehlende Geduld: Sollte das Ziel einer Stabilisierung
verfehlt werden, war das dann der letzte derartige Einsatz?

Prof. Staack: Ich bin kein Prophet. Entscheidungen für
Militäreinsätze fallen aus der tagespolitischen Situation he"raus.
Das zeigte sich zuletzt in Mali. Klar ist, dass die Bundeskanzlerin
großangelegten Militäreinsätzen zum Wiederaufbau von Staaten kritisch
bis ablehnend gegenübersteht. Deswegen halte ich es für
wahrscheinlich, dass sich Deutschland zumindest in den kommenden
Jahren an solchen Einsätzen nicht beteiligt.

Werden die Präsidentschaftswahlen 2014 das Land stabilisieren oder
den Anlass geben für den nächsten Bürgerkrieg?

Prof. Staack: Weder noch. Dazu ist die zentrale Regierung in
Afghanistan nicht wichtig und nicht mächtig genug. Politik wird in
den Provinzen gemacht. Und die Zusammenarbeit der Provinzen mit der
Zentrale entscheidet darüber, ob das Land stabil bleibt. Deshalb ist
die Präsidentschaftswahl lediglich eine Etappe, die weder für einen
Rückfall noch für große Fortschritte in der Entwicklung Anlass gibt.

Hat eine Friedensregelung, die unter Ausschluss der Taliban, aber
auch der Nachbarstaaten geformt wird, überhaupt eine Chance?

Prof. Staack: Nein. Jede Friedensregelung muss sämtliche
gesellschaftlichen Kräfte und Nachbarn einbeziehen. Ausgegrenzt
werden können lediglich terroristische Gruppierungen. Die Taliban
aber sind fest in der afghanischen Gesellschaft verankert.

Werden die Deutschen nach der Bombardierung der beiden
Tanklastzüge mit 140 Toten gehasst?

Prof. Staack: Nach den vorliegenden Umfragen ist das nicht der
Fall. Das Bild der Deutschen in Afghanistan ist nach wie vor eher
positiv, wenngleich auch nicht so positiv wie 2001. Auch wenn
Deutschland ein traditioneller Partner Afghanistans ist, muss es für
Fehler wie den Einsatz von 2009 geradestehen. Zudem wird es natürlich
auch für die Fehler von Verbündeten mit in die Verantwortung genommen
-- etwa bei Drohnenangriffen.

Sehen wir am Hindukusch mehr als nur einen Abzug, nämlich einen
Rückzug des Westens aus der Welt -- schlicht, weil ihm das Geld
ausgeht?

Prof. Staack: Kurzfristig sicherlich ja. Auch insofern, als dass
die Vorstellung, in anderen Teilen der Welt westliche Vorstellungen
durchsetzen zu können, in den 90er-Jahren sehr übersteigert war. Hier
schlägt das Pendel zurück. Die Skepsis beim Einsatz von Militär
wächst. Zugleich will sich der Westen diplomatisch, wirtschaftlich
und kulturell in allen anderen Teilen der Weltordnungspolitik weiter
engagieren. Festzuhalten bleibt aber, dass der Westen solche
Entwicklungen in der Zukunft weniger allein bestimmen kann als noch
in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren. Er ist angewiesen auf die
Zusammenarbeit mit anderen Staaten und internationalen
Organisationen. Er muss seine Kräfte also eher konzentrieren, um sich
nicht zu überdehnen. Einen Rückzug des Westens aus der
internationalen Ordnungspolitik sehe ich nicht.

Würden Sie ihn denn als einmischungsmüde bezeichnen?

Prof. Staack: Das auf alle Fälle. Auch in den USA, Frankreich und
Großbritannien ist erkannt worden, dass Auslandseinsätze nicht zu
besonders vielen Erfolgen geführt haben. Das ist mehr als ein guter
Anlass, darüber nachzudenken, dass sich Gesellschaften nur in
längeren Perspektiven ändern lassen, und ob man dafür nicht andere
Instrumente als das Militär braucht.

China hat gerade die USA als größter Importeur von Erdöl aus
Nahost abgelöst. Bringt der Aufstieg Asiens dem Westen eher Partner
für eine Weltordnungspolitik oder eher Rivalen?

Prof. Staack: China und andere ostasiatische Staaten haben von der
bisherigen Weltordnung profitiert. Sie haben kein Interesse daran,
diese Weltordnung zu beseitigen -- wohl aber an größerer Mitsprache.
Angesichts ihres Aufstiegs scheint mir dieser Anspruch legitim zu
sein. Die Zusammenarbeit mit Asien kann für Deutschland und ganz
Europa positiv sein. Ein großer Teil des deutschen
Wirtschaftswachstums wird schon heute aus Asien gespeist. Auf der
Grundlage gemeinsamer wirtschaftlicher und politischer Interessen
kann die Weltordnung durch die Einbeziehung der Aufsteigerstaaten nur
verbessert werden. In Frage gestellt wird sie nicht.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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