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Mittelbayerische Zeitung: Steinbrück: Die Partie ist noch nicht zu Ende Der SPD-Kanzlerkandidat im Interview

Geschrieben am 11-09-2013

Regensburg (ots) - MZ: Herr Steinbrück, als Schachspieler wissen
Sie, wie man eine Dame unter Kontrolle hält. Warum gelingt Ihnen das
nicht bei Angela Merkel?

Steinbrück: Das sagen Sie, aber die Partie ist noch nicht zu Ende
gespielt. Gerade als Schachspieler sage ich Ihnen: Häufig geht eine
sicher geglaubte Partie plötzlich ganz überraschend aus. Ich bin
überzeugt, dass Frau Merkels Strategie des Ungefähren, des
Ausweichens und des Einschläferns dieses Mal nicht aufgeht.

MZ: Die SPD macht Wahlkampf mit Themen -- die Union mit Merkel.
Frustriert Sie, dass Sie vom politischen Gegner mit Missachtung
gestraft werden?

Steinbrück: Nein, überhaupt nicht. Der allein auf die Person
Merkel ausgerichtete Wahlkampf der Union macht es uns sogar
einfacher, den Unterschied klar zu machen. Ich will dieses Land
politisch gestalten und nicht nur verwalten. Ich setze auf einen
themenbezogenen Wahlkampf, der die Fragen aufgreift, die den
Bürgerinnen und Bürgern unter den Nägel brennen. Bei mir wissen die
Wählerinnen und Wähler genau woran sie sind.

MZ: CDU/CSU und FDP werden nicht müde, vor einer rot-rot-grünen
Koalition zu warnen. Können Sie den Wählerinnen und Wählern
garantieren, dass es so eine Koalition nach der Wahl mit der SPD
nicht geben wird?

Steinbrück: Das ist typisch. Wenn den Konservativen die Argumente
ausgehen, holen sie die Propagandakeule aus der Mottenkiste. Doch
diese Leier verfängt im Jahr 2013 nicht mehr. Die gesamte Führung der
SPD hat mehrfach erklärt: Wir werden weder mit der Linkspartei
koalieren, noch uns von ihr tolerieren lassen.

MZ: Woran würde man ein rot-grün regiertes Deutschland im
Gegensatz zu einem schwarz-gelb regierten erkennen - als Deutscher
und als EU-Bürger? Die Bürger scheinen doch gar nichts anderes zu
wollen; zumindest, wenn man den Umfragen Glauben schenkt.

Steinbrück: Das ist ein Trugschluss. Die Bürgerinnen und Bürger
wissen sehr genau, dass die Zukunftsfähigkeit dieses Landes nicht zu
erreichen ist, indem man die Probleme aussitzt. Frau Merkel hat es
sich leicht gemacht, sie zehrt von den Reformen der rot-grünen
Vorgängerregierungen und lebt von der Substanz. Eine rot-grüne
Bundesregierung und meiner Führung wird einen sofortigen
Politikwechsel vollziehen. Weg von ergebnislosen Gipfeltreffen im
Kanzleramt hin zu Entscheidungen. Bereits in den ersten 100 Tagen
werden wir einen Großteil der Reformen umsetzen, für die wir im
Wahlkampf werben, wie die Einführung eines flächendeckenden
Mindestlohns, die Mietpreisbremse, die Abschaffung des
Betreuungsgeldes und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes - um nur
einige Maßnahmen meines 100 Tage Programms zu nennen. Haben sie etwas
Vergleichbares von der Regierung gesehen?

MZ: Schwarz-Gelb behauptet, Rot-Grün wolle den Bürgern an den
Geldbeutel. Was kostet den Wähler ein Wahlsieg der SPD?

Steinbrück: Ich erlaube mir eine Gegenfrage. Was kostet es die
Bürgerinnen und Bürger, wenn diese Regierung im Amt bleibt? Ich meine
zum Beispiel die steigenden Energiepreise. Oder die Einführung einer
PKW-Maut. Das trifft uns alle. Die von uns geplanten
Steuererhöhungen, auf die Sie mit ihrer Frage abzielen, betreffen
jedoch nur 5% der einkommensstärksten Bürger und diejenigen, die die
höchsten privaten Vermögen haben. Ich bin der Auffassung, dass diese
starken Schultern mehr zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben
beitragen sollten als in der Vergangenheit.

MZ: Könnte Ihnen Ihre Ehrlichkeit in Sachen Steuererhöhungen nicht
am Ende den Sieg kosten?

Steinbrück: Das glaube ich nicht, denn wir sind nicht nur ehrlich,
sondern auch transparent. Wir sagen genau wofür wir diese
Mehreinnahmen verwenden werden: Zur Schuldentilgung, zur finanziellen
Entlastung der Kommunen, zum Ausbau der Infrastruktur und für mehr
Investitionen in Bildung. Von diesen Maßnahmen profitieren wir alle.
Mehr noch - es ist auch eine Politik zum Nutzen unserer Kinder und
Enkelkinder.

MZ: Ihr Wahlkampf zielt auf das Thema Gerechtigkeit. Wäre es dann
nicht auch gerecht, ausländische Autofahrer für die Benutzung unserer
Autobahnen zahlen zu lassen? Auch ein Großteil der SPD-Wähler in
Bayern findet eine Pkw-Maut für Ausländer gut.

Steinbrück: Die Ausländer an den Kosten zu beteiligen ist nur ein
vorgeschobenes und sehr populistisches Argument. Im Grunde geht es
Seehofer darum, eine Finanzierungsquelle für die marode Infrastruktur
zu erschließen. Was Seehofer und Konsorten nämlich verschweigen ist,
dass es rechtlich gar nicht zulässig ist, eine Maut nur für Ausländer
einzuführen. Auch die Verrechnung mit der Kfz-Steuer geht nicht. Das
besagt ein internes Gutachten aus dem Justizministerium. Es würde
also unweigerlich zu einer Maut für alle Autofahrer kommen. Die CSU
ist sich nicht zu schade, die Menschen hinter die Fichte zu führen.
Und Frau Merkel hat ihr klares Wort im TV-Duell mit mir, dass es mit
ihr keine PKW-Maut gäbe, längst schon wieder relativiert. Ich hoffe
sehr, dass sie dafür einen Denkzettel von den Wählerinnen und Wählern
bekommen. Das ist übrigens auch die Meinung des ADAC.

MZ: Wäre es nicht gerecht, nicht nur die Krankenversicherung zu
vereinheitlichen, sondern auch das System der Altersvorsorge? Anders
gefragt: Ist es gerecht, dass es Unterschiede zwischen Pensionen und
Renten gibt?

Steinbrück: Gerade bei den Beamten gibt es eine große Spreizung:
ein Großteil der Beamtinnen und Beamten verfügt weder über besonders
hohe Gehälter noch über besonders hohe Pensionsansprüche. Sie stehen
oft nicht viel besser da als normale Rentner. Zweifellos gibt es aber
bei der Beamtenversorgung Vorteile gegenüber den abhängig und
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die sich ihre
Rentenansprüche durch Beitragszahlungen erarbeiten müssen. Die SPD
will deshalb die gesetzliche Rentenversicherung stärken und
langfristig auf alle Erwerbstätigen ausdehnen - in dieser
Reihenfolge. Unser Ziel ist, dass langfristig alle Erwerbstätigen,
unabhängig von ihrer Erwerbsform, auf die gleiche Art und Weise für
das Alter versichert sind.

MZ: Hat Deutschland sich mit seiner zögerlichen Haltung zu Syrien
außenpolitisch blamiert?

Steinbrück: Die deutsche Außenpolitik steht vor einem
Trümmerhaufen. Wir haben uns in Europa vollständig isoliert. Wir sind
kein berechenbarer Partner mehr und werden nicht mehr ernst genommen.
Wie sonst ist es zu erklären, dass die Europäer sich auf eine
Position verständigen, während Frau Merkel im Flugzeug sitzt. Dies
ist letztlich auch das Ergebnis eines Kompetenzwirrwarrs zwischen
Kanzleramt und Auswärtigen Amt. Die Linke weiß nicht was die Rechte
tut - einfach nur dilettantisch.

MZ: Würde eine Regierung Steinbrück einen Militäreinsatz gegen
Syrien mittragen?

Steinbrück: Nein, ich bin fest davon überzeugt, dass eine
militärische Strafaktion falsch ist. Dadurch verschlimmert sich die
Lage der Zivilbevölkerung und es droht eine nicht mehr beherrschbare
Kettenreaktion im Pulverfass Naher Osten. Die aktuelle Entwicklung
eröffnet eine Chance für eine Verhandlungslösung. Ich teile Helmut
Schmidts Maxime: Lieber hundert Stunden verhandeln als eine Minute
schießen.

MZ: Die Euro-Schuldenkrise schwelt weiter. Finanzminister Wolfgang
Schäuble spricht von einem dritten Hilfspaket. Drohen den Bürgern
weitere Belastungen - auch durch einen potenziellen Schuldenschnitt?

Steinbrück: Ich hoffe, dass ein Schuldenschnitt vermieden werden
kann. Das würde wieder sehr viel Unsicherheit erzeugen und dem
Konsolidierungsprozess schaden. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass
Griechenland wieder auf die Beine kommt. Dazu brauchen wir auch
Wachstumsimpulse. Merkels einseitige Spardiktat würgt das Wachstum
ab.

MZ: Sie haben im TV-Duell die schwarz-gelbe Pflege-Bilanz
kritisiert. Sollte die SPD nach dem 22. September Regierungspartei
sein: Wie lange müssen die Betroffenen darauf warten, bis der neue
Pflegebedürftigkeitsbegriff umgesetzt wird und was werden die ersten
Schritte sein?

Steinbrück: Wir wollen nach den Wahlen sofort eine große
Pflegereform einleiten. Das Wichtigste für die Betroffenen sind
bessere Leistungen für Demenzkranke, eine gerechte und solide
Finanzierung sowie bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Deshalb
stehen ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und die
Bürgerversicherung ganz oben auf Aufgabenliste und kommen schnell zur
Wirkung. Eine große Pflegereform umfasst aber noch mehr: Bessere
Betreuungsangebote in den Kommunen, neue Wohnformen, bessere
Ausbildung und vieles mehr. Schwarz-Gelb hat alles liegen lassen,
sodass wir die 3-4 Jahre der Legislaturperiode brauchen werden, um
das in mehreren Schritten abzuarbeiten. Die Pflege liegt mir sehr am
Herzen. Ich will, dass die Menschen schnell spüren, dass wir sie
nicht allein lassen.

MZ: In Bayern wird SPD-Spitzenkandidat Christian Ude nicht müde zu
betonen, dass alles, was sich die CSU auf die Fahnen schreibt, von
der SPD abgeschrieben wurde. Wenn Ihre Partei das Original ist: Warum
kann die CSU dann auf eine absolute Mehrheit in Bayern hoffen?

Steinbrück: Ich kann Christian Ude nur beipflichten. Die einzigen
Ideen, auf die CSU ein Copyright erheben kann, sind das
Betreuungsgeld und die PKW-Maut für alle. Für diesen Unsinn steht
Seehofer. Es ist eine Politik, die an den Realitäten vorbei geht und
die Mehrheit finanziell belastet. Ich kann mir beim besten Willen
nicht vorstellen, dass die Wählerinnen und Wähler das honorieren.

MZ: Wie viel Angst haben Sie vor einer Schlappe der Bayern SPD am
Sonntag? Rückenwind für die SPD im Bund ist doch kaum zu erwarten
nach der Landtagswahl in Bayern, oder?

Steinbrück: Die Erfahrungen der letzten Wahlen zeigen:
Umfragewerte liegen häufig daneben. Ich bin sehr zuversichtlich. Die
SPD ist im Aufwind. Ich gehe davon aus, dass sich das auch schon in
Bayern zeigen wird.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion Politik/Nachrichten
Telefon: +49 941 / 207 344
nachrichten@mittelbayerische.de


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