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"Plusminus": Nur halber Atomausstieg - Deutschland exportiert weiter Brennelemente

Geschrieben am 10-09-2013

Hamburg (ots) - In Deutschland werden auch nach Abschaltung des
letzten Atomkraftwerks weiterhin Brennelemente für den Export
hergestellt. Das deckt eine Recherche des Wirtschaftsmagazins
"Plusminus" vom NDR im Ersten auf. Die Urananreicherungsanlage im
westfälischen Gronau und die Brennelementefabrik im niedersächsischen
Lingen erhielten unbefristete Betriebsgenehmigungen. Ein aktueller
Antrag des Landes Nordrhein-Westfalens im Bundesrat, das Atomgesetz
zu ändern, um die Urananreicherung in Deutschland zu beenden, wurde
auf unbestimmte Zeit vertagt.

Bereits 2011 hatte der Bundesrat einen konsequenten, glaubwürdigen
Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie gefordert: "Die
Unterstützung der Atomenergienutzung im Ausland bei gleichzeitigem
Ausstieg aus der Atomenergienutzung im Inland aus dem Bewusstsein der
Unverantwortbarkeit der Atomenergie ist politisch und moralisch
widersprüchlich und nicht hinnehmbar", heißt es in einer
Stellungnahme des Bundesrates zur Änderung des Atomgesetzes nach der
Katastrophe von Fukushima. Die Antwort der Bundesregierung darauf:
"Eine generelle gesetzliche Stilllegung aller kerntechnischer Anlagen
in Deutschland ist nicht angezeigt."

Aktuell teilt das Bundeswirtschaftsministerium "Plusminus" mit:
"Eine Stilllegung von Anlagen in Deutschland würde zu einem Verlust
von hoch qualifizierten Arbeitsplätzen in einer strukturschwachen
Region führen und die Wettbewerbsfähigkeit in diesem
Hochtechnologiebereich der deutschen Industrie und des
Wirtschaftsstandorts Deutschland schwächen."

Das bedeutet, dass nach dem Willen der Bundesregierung auch nach
dem deutschen Atomausstieg die deutsche Urananreicherungsanlage
weiterproduzieren wird. 365 mal im Jahr erreicht zurzeit das
gefährliche Uranhexafluorid (UF6) per LKW die Anlage im westfälischen
Gronau. Bei Uranhexafluorid handelt es sich um eine chemische
Umwandlung von Uran. Uran wird vor allem in Minen in Kasachstan,
Kanada, Australien und dem Niger abgebaut. In der
Urananreicherungsanlage in Gronau wird das spaltbare Material in
seiner Konzentration erhöht und an 50 Kunden in 17 Länder geliefert.
Das dabei anfallende abgereicherte Uran wird unter freiem Himmel
gelagert. Derzeit sind es an die 9000 Tonnen. Genehmigt ist dort die
zeitlich unbegrenzte Lagerung von insgesamt 38.100 Tonnen
Uranhexafluorid. Der Betreiber der Anlage, das Unternehmen Urenco,
teilte zur Gefahr eines Flugzeugabsturzes mit, dass die Behälter, in
denen UF6 im Freilager lagere, nur zu 2/3 befüllt seien. Bei einem
voll umschließenden Feuer, das 25 Minuten andauere, könnten diese
Behälter bersten. Urenco habe jedoch Sicherheitssysteme, damit
brennendes Kerosin in wenigen Minuten abfließen könne und ein Brand
deutlich kürzer als 25 Minuten andauere.

Uranhexafluorid ist eine leicht flüchtige, äußerst giftige,
radioaktive und korrosive Verbindung. Aus dem Stoff kann eine der
gefährlichsten Säuren entstehen, warnt der Atomphysiker Dr. Sebastian
Pflugbeil gegenüber "Plusminus". Bereits bei einer Temperatur von
56,5 Grad wird es gasförmig. Gelangt es in die Umwelt, wird es beim
Kontakt mit Flüssigkeit zum Beispiel im menschlichen Organismus zur
gefürchteten Flusssäure, die sogar Glas zersetzen kann.

Das gefährliche Uranhexafluorid wird regelmäßig durch die
Bundesrepublik transportiert. Während der Dreharbeiten von
"Plusminus" am 12. August 2013 wurde auf dem Gelände der
Urananreicherungsanlage ein Zug mit abgereichertem Uran beladen. Über
Koblenz wurde das Material in diesem Fall nach Südfrankreich
gefahren. Durchschnittlich ein bis zwei Zugtransporte gibt es pro
Monat, so das Unternehmen Urenco. Anwohner Udo Buchholz kritisiert
die Lagerung dieses gefährlichen Stoffes in seiner Nachbarschaft
sowie die regelmäßigen Transporte über das ganz normale Bahnnetz. Bei
einem schweren Unfall in einem Bahnhof oder auf freier Strecke sei
eine Katastrophe nicht zu verhindern, fürchtet er.

Am 1. Mai zeigte sich, dass diese Angst begründet ist.
Uranhexafluorid befand sich an Bord des Frachters Atlantic Cartier,
der im Hamburger Hafen lag. 500 Meter entfernt wurde gerade der
Kirchentag mit Zehntausenden Besuchern eröffnet, als der Frachter
Feuer fing. Per Kran konnten Behälter mit Uranhexafluorid aus dem
brennenden Frachter entfernt werden.

Eine Liste, die "Plusminus" vorliegt, zeigt, dass allein im März
2013 neun Mal radioaktives Material durch den Hamburger Hafen
transportiert wurde. Wenn Uran zur Weiterverarbeitung verschifft
wird, ist häufig nicht bekannt, aus welchem Abbaugebiet es stammt
oder wofür es bestimmt ist, kritisiert Uranexpertin Astrid Schneider.
Wie viel Uran in Deutschland angereichert und verarbeitet wird, ist
auch dem Bundesamt für Strahlenschutz nicht bekannt, heißt es auf
Anfrage.

Uranhexafluorid aus Gronau wird auch in das knapp 60 Kilometer
entfernte Lingen transportiert, in Deutschlands Brennelementefabrik.
Hier wird das angereicherte Uran in Tabletten gepresst und in Röhren
gefüllt, die zusammen ein Brennelement ergeben. 70 Mal im Jahr
verlassen Transporte mit Brennelementen die Fabrik. Geliefert werden
sie nach Frankreich, Schweden, Finnland, Belgien, in die Niederlande,
die Schweiz, nach Spanien und nach China. Auch die Produktion von
Brennelementen ist unbefristet genehmigt. Die regelmäßigen Transporte
von Uranhexafluorid und Brennelementen durch Deutschland werden also
nach dem Atomausstieg weitergehen. Für den Atomexperten Dr. Sebastian
Pflugbeil ein absurdes Phänomen: "Wenn man wirklich davon überzeugt
ist, dass man da raus muss und sich wünschen würde, dass auch die
anderen Staaten dem folgen, dann ist doch das letzte, dass man die
jetzt mit Brennstoff versorgt."

"Plusminus": Mittwoch, 11. September, um 21.30 Uhr im Ersten

Weitere Informationen zur Sendung finden Sie unter plusminus.de



Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Iris Bents
040/4156 - 2304
presse@ndr.de


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