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Landeszeitung Lüneburg: Tiefgreifende Veränderungen prophezeit der Trendforscher Sven Gábor Jánszky im Interview der Woche mit der Landeszeitung Lüneburg in den Bereichen Handel und Arbeit.

Geschrieben am 08-08-2013

Lüneburg (ots) - Der Fachhandel beklagt zunehmend die Konkurrenz
des Online-Handels, offenbar leiden auch große Ketten wie die
Pleite-Gänger Bahr und Praktiker darunter. Was läuft schief?

Sven Gábor Jánszky: Es läuft genau so wie Trendforscher es schon
seit mindestens acht Jahren prognostizieren: Jene Segmente des
Handels, die sich sehr auf rationale Kaufentscheidungen des Kunden
fokussieren, etwa gute Qualität zu gutem Preis, wandern immer mehr in
den Online-Handel ab, in elek"tronische Systeme, die diese
Berechnungen und Empfehlungen besser machen. Auf der anderen Seite
entsteht ein Premiumsegment im stationären Handel in Richtung
Erlebnis-Shopping. Diejenigen, die sich für den falschen Weg
entscheiden, die -- wie im Falle von Praktiker oder auch Schlecker
und Karstadt -- nur auf das Preisbewusstsein setzen, die müssen mit
wegbrechenden Margen rechnen.

Sie prophezeien die Aufteilung in Premium- und Economy-Märkte.
Doch Loewe, Hersteller von Edel-TV-Geräten, geht es schlecht, er
holte sich unlängst einen Partner aus China ins Boot. Muss Premium
auch billig sein, oder wo liegt der Fehler?

Jánszky: Hier liegt der Fehler woanders. Im
Consumer-Electronics-Segment haben wir ganz klar mit asiatischen
Herstellern zu tun, die ordentliche Qualität zu einem sehr guten
Preis anbieten. Was Loewe sehr richtig erkannt hat, ist, dass das
Mithalten hier schwierig ist. Auch das Fokussieren auf das
Premiumsegment ist richtig. Nur wird der Begriff hier rein
technokratisch gesehen. Premium bedeutet in Zukunft nicht mehr:
"neueste Technologie" und "teuer". In den neuen Premium-Märkten muss
man Emotionen wecken, ein sogenanntes Identitätsmanagement schaffen.
Es dreht sich um die Frage, kann der Kunde mit diesem Gerät seine
persönliche Identität ausdrücken, kann er durch die Nutzung dieses
Produktes seinen Mitmenschen zeigen, dass er zum Beispiel besonders
öko, sportlich, reich oder innovativ ist. Hier gibt es viele, viele
Nischen, in denen Identitätsmanagement greift. Diese hat Loewe
offensichtlich noch nicht erkannt.

Der Umsatz der Online-Händler stieg von 2011 auf 2012 um 27,5
Prozent, betrug 27,6 Milliarden Euro. Dennoch entstehen weiterhin auf
den grünen Wiesen unserer Städte große Einkaufszentren und
Outlet-Dörfer. Werden die bald leer stehen?

Jánszky: Es kommt darauf an, ob diese Anbieter es schaffen, den
stationären mit dem Online-Handel zu verbinden. Dann haben sie eine
Chance, sonst droht ihnen der Praktiker-Weg. Diese Verbindung
schafft, wer sein Ladengeschäft als Show"room versteht, als einen
Erlebnisort, in dem der Kunde sich inspirieren lässt und dann
trotzdem über den digitalen Weg einkauft. Wem hier die Verzahnung
gelingt, der wird Erfolg haben.

- Große Pleiten setzen Tausende Arbeitsplätze frei und bei fast
allen Großen wie Bosch, Bayer, Siemens, SAP, Autoherstellern
heißt es sparen, also Stellen streichen. Auf der anderen Seite
ist großes Stöhnen über Fachkräftemangel zu hören. Haben
Arbeitgeber Scheuklappen auf?

Jánszky: Auch Arbeitgeber sind nicht davor gefeit, die Zeichen der
Zeit falsch zu deuten. Sie schauen manchmal zu sehr auf die aktuellen
Zahlen und kündigen aus Sparzwängen. Das ist aus Sicht eines
Trendforschers selten nachvollziehbar. Allein der Blick in die
Statistik der Bundesagentur für Arbeit genügt, um zu sehen, dass in
wenigen Jahren so wenig Menschen als Arbeitskräfte zur Verfügung
stehen, dass ein Kampf um Mitarbeiter herrschen wird. Für diesen Fall
müsste man heute schon Vorsorge treffen. Aber das ist natürlich
schwierig, wenn die Bilanzen negativ ausfallen.

Sie prophezeien, dass 2025 bis zu 6,5 Millionen Arbeitskräfte
fehlen. Von Arbeitnehmern wird heute Flexibilität verlangt, der Staat
hilft mit Umschulungs-, Eingliederungs- und Anwerbeprogrammen. Muss
nicht auch der Arbeitgeber sich schon heute bewegen und eigene
Modelle entwickeln, um Arbeitskräfte zu rekrutieren?

Jánszky: Stellenausschreibungen werden in der Zukunft ganz anders
aussehen. Ein Jobprofil zu entwerfen und genau dafür passgenau einen
Mitarbeiter zu finden, das wird Geschichte sein. Arbeitgeber müssen
die nehmen, die da sind. Das hat zur Konsequenz, dass sie sehr
intensiv in Aus- und Weiterbildung investieren müssen. Und selbst das
wird nicht reichen. Sie müssen die Strukturen in ihren Unternehmen so
flexibilisieren, dass zwischen einzelnen Tätigkeiten oder Abteilungen
ganz schnell hin- und hergeswitcht werden kann. Dahinter steckt der
Begriff ,,fluides Unternehmen". Gemeint ist, dass innerhalb der
Unternehmen die Zeit der starren Abteilungen und Aufgabenteilungen
passé ist. Es müssen fließende Firmenkonstrukte entstehen.

Dann wird es also Arbeit für alle geben?

Jánszky: Ja, zumindest für alle, die halbwegs gut ausgebildet
sind.

Deutschland hat die Wirtschafts- und Finanzkrisen vor allem
überstanden, weil auch hier noch produziert wird, doch der
Industriestandort Deutschland wankt. Ist er noch zu retten oder
entwickelt er sich zu einem Friedhof der deutschen Wirtschaft?

Jánszky: Das lässt sich pauschal so nicht sagen. Zu einem Friedhof
wird er sich wohl nicht entwickeln. Das produzierende Gewerbe, das
viel ,,Handarbeit" einsetzt, wird noch stärker ins Ausland abwandern.
Und selbst in Asien wechseln die Produktionsstandorte von einem
Billiglohnland zum nächsten. Irgendwann vielleicht auch nach
Nord"afrika. Auf der anderen Seite ist eine gewisse Rettung in Sicht,
nämlich dann, wenn wir es schaffen, die Menschen so auszubilden, dass
sie in der Masse hochqualifiziert sind und höherwertige Arbeiten
ausführen können. Der Publizist Professor Gunter Dueck geht sogar so
weit zu fordern, dass jeder Mensch in Deutschland studieren sollte.
Denn für Hochqualifizierte wird es immer Arbeit geben.

Wenn Hightech und Assis"tenzsysteme immer mehr Aufgaben
übernehmen, werden dann nicht auch Sekretärinnen oder sogar Manager
arbeitslos?

Jánszky: Ja, natürlich. Zumindest diejenigen, die einfache
Aufgaben haben wie Zuarbeiten, Kalender führen, Konferenzen
organisieren. Obwohl ein heutiger Sekretariatsarbeitsplatz schon
völlig anders aussieht als vor 20 Jahren. Auch einfache Berater,
Makler oder andere Experten werden überflüssig, weil Kollege
Computer, das alles sehr viel schneller und sogar umfassender
erledigen kann. Die Konkurrenz der elektronischen Systeme ist
uneinholbar, weil sie viel mehr Wissen aufnehmen und zusammenfügen
können. Nur wer mit komplexen Fakten und Informationen umgehen und
Ideen liefern kann, wird gewinnen.

Arbeiten auch im Rentenalter ist eine weitere Trendvoraussage.
Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage zeigt, dass 87 Prozent der
Bundesbürger sich wünschen, vor 65 in Rente zu gehen. Wird hier die
Rechnung ohne den Wirt gemacht?

Jánszky: Die Menschen unserer heutigen Gesellschaft können sich
noch nicht vorstellen, wie lange sie selbst leben werden. Dadurch
werden die falschen Schlüsse gezogen, nicht nur in der Politik und
der Wirtschaft, sondern auch in der Gesellschaft. Die Lebenserwartung
steigt schon lange sehr, sehr konstant Jahr für Jahr um ein
Vierteljahr, so dass wir es 2025 mit einer Lebenserwartung von knapp
90 Jahren zu tun haben. Die Frage, was machen wir zwischen 65 und 90,
die haben wir alle noch nicht im Kopf. Das wird sich ändern, sogar
ziemlich schnell, wenn wir sehen, dass 90 oder 100 Jahre alt zu
werden, keine Besonderheit mehr ist. Und dann kommt die Frage auf:
Machen wir dann 25 Jahre nur Urlaub, lesen, heimwerken und bas"teln?
Das wird vielen schnell langweilig werden. So wird Schritt für
Schritt ein Bewusstsein dafür einsetzen, dass wir nicht nur länger
arbeiten müssen -- wer soll das alles sonst finanzieren -- sondern
auch wollen. Schließlich ziehen wir einen großen Teil des
Selbstwertgefühls aus dem gebraucht und gefragt werden.

Wenn der Mensch immer älter wird und zudem dank medizinischen
Fortschritts länger fit und arbeitswillig bleibt, sind dann nicht
auch Gewerkschafter gefordert, andere Felder wie Renteneintrittsalter
und Tariflohn zu besetzen?

Jánszky: Auf jeden Fall. Die Rolle der Gewerkschaften betrachte
ich mit einem weinenden Auge. Denn in der Historie sind die
Gewerkschaften über Jahrhunderte hinweg die Progressiven, die
zukunftsgewandten Institutionen gewesen. Doch inzwischen sind sie zu
trägen Verwaltern vom Status quo geworden, sie hängen an
Beharrungstendenzen. Aber die Welt verändert sich und damit auch die
Arbeit, und das haben die Arbeitnehmervertreter noch nicht
verinnerlicht. Dabei gibt es zahlreiche Felder, auf denen eine
Interessenvertretung auch in Zukunft großen Sinn macht.

Selbstlenkende Autos, vo"rausdenkende Handys, interaktive Tapeten
-- das klingt faszinierend, aber auch teuer. Wird das Leben in der
Google-Welt die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößern?

Jánszky: Nein, das glaube ich nicht. Dass neue Technologie in die
Gesellschaft kommt, ist nicht neu. Das kennen wir seit Jahrhunderten.
Ob Auto, Farbfernseher, Computer oder Handy -- alles war am Anfang
teuer. Aber die Hersteller haben immer den Massenmarkt im Visier und
die Absicht, möglichst schnell in eine Massenproduktion zu kommen.
Und sie wissen genau, dass die Preise dafür so stark sinken müssen,
dass sie für viele attraktiv sind.

Birgt die Individualisierung nicht auch Gefahren wie Verdummung
und Kritikunfähigkeit?

Jánszky: Natürlich sorgt diese zunehmende ,,Intelligenz der
Technik" dafür, dass wir dieser Technik mehr und mehr vertrauen oder
sogar blind vertrauen, Navis zum Beispiel vielleicht sogar mehr
vertrauen, als dem Beifahrer. Das führt sicherlich dazu, dass wir
gewisse Fähigkeiten verlernen. Genau das ist die Konsequenz, die noch
nicht genügend berücksichtigt wird. Die Kompetenz, um diese Systeme
souverän, also selbstbestimmt, zu nutzen, die muss ebenfalls
vermittelt werden. Wobei wir es auch hier nicht mit ganz neuen
Phänomenen zu tun haben. Denn schon heute gibt es Menschen, die sich
gedanken- und kritiklos von TV-Programmen und Werbung berieseln
lassen.

Das Gespräch führte Dietlinde Terjung



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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