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"DER STANDARD"-Kommentar: "Verhinderte Entfesselungskünstler" von Gerald John

Geschrieben am 07-08-2013

Die "Wirtschaftspartei" ÖVP verheddert sich in ihrem zentralen
Wahlkampfslogan - Ausgabe vom 8.8.2013

Wien (ots) - Reinhold Mitterlehner hat eine undankbare Aufgabe.
Als Wirtschaftsminister muss er einen Slogan vertreten, den er nicht
selbst erfunden hat. Spaß kann ihm das kaum machen. Denn nähme
Mitterlehner für bare Münze, was seine Partei propagiert, müsste er
sein Scheitern eingestehen und zurücktreten. Die "Entfesselung der
Wirtschaft" trommelt die ÖVP im Wahlkampf. Der Werbespruch
suggeriert, dass Unternehmer hierzulande unter der Knute stehen -
gegängelt von der Bürokratie, erdrückt von der Steuerlast. Aus dem
Mund eines Oppositionellen wäre dieser Befund in etwa so überraschend
wie eine Hitzewelle im August, doch aus der Ecke einer
Regierungspartei klingt er nach einer erstaunlichen Selbstanklage:
Immerhin stellt die ÖVP seit 26 Jahren den Wirtschaftsminister, die
letzten fünf Jahre in der Person Mitterlehners. Wie leicht man sich
in dieser Konstellation beim Entfesseln verheddern kann, zeigte die
patscherte Warnung des schwarzen Finanzministeriums vor einer
angeblichen Abwanderungswelle. Abgesehen davon, dass der bis dato
vorgelegte Wisch den Titel "Studie" nicht verdient, sondern an
Pseudogutachten erinnert, wie sie in diversen Korruptionsfällen
berühmt wurden: Solcherart Propaganda bringt vor allem den
Wirtschaftsminister in Verlegenheit. Denn der beteuert seit Jahr und
Tag das Gegenteil: "Der Großteil der Unternehmen findet uns als
Standort nach wie vor attraktiv." Was die Glaubwürdigkeit überdies
untergräbt: Der ÖVP fehlen Figuren, die einen strammen
Liberalisierungsschub verkörpern. Nicht einmal für die härtesten
Betonschädel in der Gewerkschaft ist Mitterlehner ein rotes Tuch; der
gelernte Pragmatiker, SP-Sozialminister Rudolf Hundstorfer in
Männerfreundschaft verbunden, wurde in der sozialpartnerschaftlichen
Schule des Interessenausgleichs groß. Auch Vizekanzler Michael
Spindelegger, verankert im schwarzen Arbeitnehmerflügel, entstammt
nicht gerade der Tradition des Laissez-faire. Entsprechend moderat
fiel das Wirtschaftsprogramm für die Wahl aus. Die ÖVP zupft an ein
paar Schnüren, doch der große, in ein Leitprojekt gepackte Akt der
Entfesselung fehlt. Es spricht Bände, dass selbst die SPÖ nichts im
Forderungskatalog gefunden hat, worüber sie sich hellauf empören
kann. Gut, die Vizekanzlerpartei will flexiblere Arbeitszeiten, doch
zur konkreten Forderung einer Normarbeitszeit von bis zu zwölf
Stunden täglich hat sie sich nach internem Widerstand nicht
durchgerungen. Das Reizwort Privatisierung kommt im Programm gleich
gar nicht vor. Da waren die Schwarzen schon vor 15 Jahren unter
Wolfgang Schüssel radikaler. Das spricht nicht gegen die aktuelle
ÖVP-Linie. Was eingefleischte Neoliberale für Reformfeigheit halten
mögen, kann man auch als vernünftigen Realismus deuten. Zwar muss
sich Österreich tatsächlich um seine wirtschaftliche Potenz sorgen,
doch das liegt weit mehr am versagenden Bildungssystem denn an einer
Lähmung des Unternehmertums. Wie Exporterfolge zeigen, sind die
Betriebe trotz vielfach verteufelter Steuerlast wettbewerbsfähig, der
Arbeitsmarkt zählt zu den flexibelsten Europas - und die einst als
Hemmnis verschriene Sozialpartnerschaft hat sich in der Krise als ein
Garant der Stabilität profiliert. Diese Stärken könnte die ÖVP
durchaus auch für ihre Arbeit reklamieren. Der eigene Slogan macht
ihr das allerdings schwer.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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