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Schwäbische Zeitung: Klaus Töpfer kritisiert "Diktat der Kurzfristigkeit" - Interview

Geschrieben am 19-07-2013

Ravensburg (ots) - Liebe Kollegen,

Die Schwäbische Zeitung (Ravensburg) veröffentlicht am Samstag,
20. Juli 2012, folgende Information:

frei zur Veröffentlichung bei Quellennennung
bei Rückfragen: 0751/2955 - 1510 (Herr Plate)

Klaus Töpfer kritisiert "Diktat der Kurzfristigkeit"

Der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) hat ein
radikales Umsteuern in der Wirtschafts- und Umweltpolitik gefordert.
Im Gespräch mit der in Ravensburg erscheinenden Schwäbischen Zeitung
(Samstagsausgabe) sagte Töpfer, "wir leben unter dem Diktat der
Kurzfristigkeit, das ursächlich ist für alle Krisen, die wir
gegenwärtig durchleben". Wer sich im globalen Maßstab mit
Gerechtigkeit befasse, müsse sich im Klaren darüber sein, dass viele
der Kosten, die wir durch unseren Lebensstil verursachten, nicht in
den Preisen berücksichtigt seien, die wir zahlten. "Diese Kosten
werden auf die Zukunft abgewälzt. Sie werden abgewälzt auf andere
Menschen in anderen Regionen dieser Welt, und sie werden auf die
Natur abgewälzt." Töpfer hatte von 1998 bis 2006 die Umweltbehörde
der Vereinten Nationen (Unep) in Nairobi geleitet und ist
Gründungsdirektor eines Forschungsinstituts, das sich in Potsdam mit
dem Klimawandel und nachhaltiger Ökonomie beschäftigt. "Dieses Diktat
der Kurzfristigkeit zu überwinden, scheint antimodern zu sein. Aber
ich glaube, das ist etwas, was viele Menschen bei uns für sehr
zwingend halten", erklärte der 74-Jährige zum Abschluss der
Gerechtigkeitsserie der Schwäbischen Zeitung. Es sei eben keine
Grundlage für eine friedliche Entwicklung, wenn "40 Prozent der
Weltbevölkerung 94 Prozent des Bruttosozialprodukts für sich
beanspruchen. Dann müssen sich 60 Prozent der Weltbevölkerung mit
sechs Prozent des weltweiten Einkommens bescheiden". Die von
Deutschland propagierte Energiewende bezeichnete Töpfer als bedeutsam
für Afrika, "besonders für die Länder, in denen Armut zu allererst
und insbesondere Energiearmut ist". Deutschland entwickele mit
erneuerbaren Energien eine Energietechnik, die in genau solchen
Staaten genutzt werden könne und ohne dass sie neue Abhängigkeiten
begründe.

Hier unser Interview im Wortlaut:

"Wir leben unter dem Diktat der Kurzfristigkeit"

Klaus Töpfer über Gerechtigkeit im Umweltschutz und Gerechtigkeit
gegenüber Afrika P otsdam - Die Sonne scheint in Potsdam, so wie
damals in Nairobi. Klaus Töpfer wirkt heute, als Direktor im
Potsdamer Institut so verbindlich und offen wie damals, als er aus
Bonn in die kenianische Hauptstadt zog, um als stellvertretender
UN-Generalsekretär die UN-Umweltbehörde zu leiten. Er hat immer noch
viel zu tun, ein bisschen zu viel. Seine Direktheit und sein gerader
Blick unterscheiden ihn von vielen anderen aus dem Politikbetrieb.
Mit Hendrik Groth hat er sich über Umweltpolitik unterhalten - ein
globales Thema, das gleichzeitig auch eine Frage der Gerechtigkeit
ist.

Gibt es Gerechtigkeit im globalen Umweltschutz? Die Weltbank hat
kürzlich vor Ernährungskatastrophen im Zuge des Klimawandels gewarnt.
Experten sagen, Klimapolitik und Entwicklungspolitik seien keine
Gegensätze, sie gehörten zusammen. Damit kommt der
Gerechtigkeitsbegriff auf die Tagesordnung.

Wenn man sich im globalen Maßstab die Frage nach Gerechtigkeit
stellt, muss man sich erst im Klaren darüber sein, dass viele der
Kosten, die wir durch unseren Lebensstil verursachen, nicht in den
Preisen berücksichtigt werden, die wir für Güter und Dienstleistungen
zahlen. Diese Kosten werden auf die Zukunft abgewälzt. Sie werden
abgewälzt auf andere Menschen in anderen Regionen dieser Welt, und
sie werden auf die Natur abgewälzt. Ein Beispiel: Bei uns wurden
giftige Abfallstoffe erzeugt, die dann in Entwicklungsländer legal
oder illegal exportiert wurden. Die Probleme dort sind dann nicht
mehr in den Griff zu bekommen. Von Gerechtigkeit gibt es da keine
Spur. Zwischenzeitlich ist diese Abwälzung von Kosten verboten.

Gilt das so auch für den Klimaschutz?

Es ist eben nicht gerecht, wenn wir massiv fossile Energien, also
Kohle, Mineralöl und Gas über Generationen hinweg benutzt haben, ohne
dass wir uns über die Wirkung von CO2 klar waren. Die Wirkung unseres
Energieverbrauchs auf das Klima trifft in besonderer Weise die
Menschen, die nie dafür verantwortlich waren. Schauen Sie nach
Afrika. Dort ist der Klimawandel mit seinen dramatischen Folgen
bereits grausame Realität.

Ist das nicht ungerecht? Die Afrikaner tragen für den Klimawandel
und das globale Wirtschaftssystem keine Verantwortung - dennoch
leiden sie darunter...

Bei meiner Arbeit für die Vereinten Nationen mit Sitz in
Nairobi/Kenia habe ich Ungerechtigkeiten ganz unmittelbar als
Belastung von Menschen gesehen, die sehr genau wussten, dass viele
Hindernisse für die eigene wirtschaftliche Entwicklung nicht aus
ihren, sondern aus den Entscheidungen anderer herrührt. Wenn 40
Prozent der Weltbevölkerung 94 Prozent des Bruttosozialprodukts für
sich beanspruchen, dann müssen sich 60 Prozent der Weltbevölkerung
mit sechs Prozent des weltweiten Einkommens bescheiden. Zu Recht
kommt vor dem Hintergrund dieser Zahlen der Friedensnobelpreisträger
Muhammad Yunus zu dem Ergebnis: Dies ist nicht Grundlage für eine
friedliche Entwicklung.

Was kann oder muss also das Ziel von globaler Umweltpolitik sein?

Es muss jedem klar werden, dass Umweltpolitik nicht Kosten
verursacht, sondern darüber entscheidet, wer, wann, welche Kosten
trägt. Umweltpolitik ist somit Verteilungspolitik; sie ist damit
immer konfliktbezogen, sie stellt stets die Frage nach Gerechtigkeit.
Die deutschen Bischöfe haben vor längerer Zeit sehr klar
festgestellt, dass es um drei Arten von Gerechtigkeit geht: die
Gerechtigkeit zwischen den Generationen, die Gerechtigkeit zwischen
den jetzt lebenden Menschen in aller Welt und um die Gerechtigkeit
mit der Natur. Diese Feststellung ist richtig. Sie ist
Herausforderung für mich selbst und die Gestaltung unseres
Wohlstandes. Keine Frage: Diese Verteilungswirkung muss als die
zentrale Herausforderung für Gerechtigkeit, für den fairen Umgang
miteinander gesehen werden.

Wenn Sie über diese Themen in Deutschland sprechen, verstehen die
Menschen diese Dimensionen?

Ich bin immer vorsichtig, wenn ich sage "die Menschen". Das bringt
niemanden konkret in die Verantwortung. Der große Soziologe Ulrich
Beck hat richtig gesagt: "Wenn wir die Gesellschaft verantwortlich
machen, ist das kollektive Verantwortungslosigkeit." Die Gesellschaft
ist niemand Bestimmtes. Niemand, der verantwortlich gemacht werden
kann. Ich bin davon überzeugt, dass diese Thematik auf ein wachsendes
Verständnis trifft, das deutlich über Deutschland hinausreicht. Ich
bin Professor in Schanghai. Umweltprobleme kann ich in dieser
riesigen Stadt, die mit 24 Millionen Einwohnern nahezu ein Drittel
der Einwohner der Bundesrepublik Deutschland umfasst, sehr genau
erkennen, kann sie riechen, sehen, schmecken. Dies ist nicht nur
erkannt, sondern wird zunehmend klar diskutiert und zwingt zu
politischem Handeln. Diese Probleme begründen gesellschaftliche
Konflikte. Aber seien wir nicht selbstgerecht, dies gilt auch noch
für Deutschland. Als ich Umweltminister in Rheinland-Pfalz war, gab
es Streit über Abfalldeponien oder Verbrennungsanlagen. Das
Kernproblem lautete: Wir produzieren alle Abfall, aber kein Mensch
will an irgendeiner Stelle eine Deponie haben. Die Debatte drehte
sich darum, "Warum muss ich die Kosten anderer tragen, warum muss das
bei mir sein und warum können sich die anderen einen schlanken Fuß
auf meine Kosten machen?" Die aktuelle Diskussion bei der Umsetzung
der Energiewende, beim Bau von Anlagen der erneuerbaren Energien oder
von Stromnetzen zeigt dies erneut.

Die Probleme, über die wir sprechen, sind mehrheitlich in Afrika
zu finden. Sie haben dort lange gelebt. Wenn Sie an Afrika denken,
was kommt Ihnen in den Kopf?

Ich will Afrika nicht in einer Hoffnungslosigkeit sehen. Denn
einen Nachbarn zu haben, der hoffnungslos ist, wird auch uns massiv
negativ betreffen. Deshalb war ich schon immer der Meinung, dieser
Kontinent muss viel ernster als Partner angenommen und in den
Mittelpunkt unserer Außenpolitik gestellt werden.

Und wie erreicht man das?

Bestimmt nicht allein dadurch, dass wir große
Finanzierungsbeiträge zu dem einen oder anderen Infrastruktur-Projekt
leisten - so wichtig und notwendig das in vielen Fällen ist. Aber ich
sage ihnen ganz konkret: Wenn ich mir die Energiewende bei uns
ansehe, ist es ganz eindeutig. Wir entwickeln mit erneuerbaren
Energien eine Energietechnik, die genau in solchen Ländern genutzt
werden kann, ohne dass sie neue Abhängigkeiten begründet. Das halte
ich für bedeutsam, besonders für Afrika, besonders für die Länder, in
denen Armut zu allererst und insbesondere Energiearmut ist.

Was müssen die afrikanischen Staaten selbst schaffen?

Wo Afrika dringend noch vorankommen muss, ist "Good governance".
Richtige, verlässliche Regierungsführung. Wir schimpfen hinreichend
über unsere Bürokratie. Wenn man ein Jahr in Afrika lebt, sehnt man
sich nach der deutschen Bürokratie zurück. Die Verlässlichkeit. Die
Tatsache, dass man Wege gehen kann, die ganz klar gekennzeichnet
sind, dass Rechtssicherheit unstrittig ist. Eine offene, engagierte,
wenn notwendig auch investigative Medienlandschaft gehört unbedingt
zu "Good governance". Das alles und Vieles mehr begründet
gesellschaftliche Stabilität. Das ist Grundlage und Erfolgschance für
wirtschaftliche Entwicklung und Zukunftsperspektive. Wieder sollten
wir nicht selbstgerecht sein: Vieles, was wir als Korruption in
Afrika kennen, ist nicht zuletzt von außen in diesen Kontinent
hineingetragen worden. Dies gilt auch für viele, wenn nicht die
meisten Bürgerkriege in Afrika. Analysiert man diese näher, wird
erkennbar, dass Bürgerkriege sehr oft "Ressourcenzugangskriege" sind.

Ein entscheidender Faktor von globaler aber auch lokaler
Umweltpolitik muss die Berücksichtigung der langfristigen Folgen von
Entscheidungen sein. Man hat den Eindruck, dass Langfristigkeit keine
besondere Bedeutung für die Entscheider hat.

Unsere Entscheidungsstruktur wird immer kurzfristiger. Wir leben
unter dem Diktat der Kurzfristigkeit, das ursächlich ist für alle
Krisen, die wir gegenwärtig durchleben. Ergebnis: Wir haben immer
weniger Alternativen. Als Ökonom lernt man: Kurzfristig sind alle
Kosten fixe Kosten und langfristig werden alle Kosten flexibel. Das
heißt unsere Verantwortung, die mit Gerechtigkeit ganz eng gekoppelt
ist, läuft genau entgegengesetzt. Die Krisen, die wir derzeit haben,
sind alle Offenbarungseide der Kurzfristigkeit. Hans Jonas, der große
Philosoph der Verantwortung, hat mal festgestellt: "Unser Wissen muss
der Reichweite unseres Handelns deckungsgleich sein." Genau das ist
unser Wissen nicht. Dieses Diktat der Kurzfristigkeit zu überwinden,
scheint antimodern zu sein. Aber ich glaube, das ist etwas, was viele
Menschen bei uns für sehr zwingend halten.



Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de


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