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BERLINER MORGENPOST: Die Stunde des Militärs Jacques Schuster über den Umsturz in Ägypten und die Perspektiven für das Land

Geschrieben am 04-07-2013

Berlin (ots) - Was für eine Nacht. Fast scheint es, als hätte sich
wiederholt, was vor zwei Jahren schon einmal zu beobachten war: Das
Volk fegt seinen Präsidenten aus dem Amt. "Husni Mursi", hatte die
aufgebrachte Menge auf dem Kairoer Tahrir-Platz gerufen. Damit zog
sie die Verbindung zu seinem Vorgänger, dem Autokraten Husni Mubarak,
der ebenfalls von den Ägyptern gestürzt worden war. Der erneute Fall
eines Staatsoberhauptes wird das Selbstbewusstsein der Ägypter
stärken. Vielleicht wird das Land doch noch irgendwann eine
Demokratie. Doch gemach. Am Sturz des Muslimbruders Mursi war das
ägyptische Militär beteiligt. Ohne das Ultimatum der Armee stünde
Mohammed Mursi auch heute noch an der Spitze des Staates. Manche
Beobachter sprechen bereits von einem Putsch. Sie liegen nicht ganz
falsch und nicht ganz richtig. Nicht ganz falsch ist es, weil die
Armee den demokratisch gewählten Präsidenten unter Arrest gestellt
hat und gegen die Anhänger seiner Bewegung vorgeht. Nicht ganz
richtig, weil das Militär nicht sämtliche Hebel der Macht ergriffen
hat. Die Heeresleitung unter General Abdel Fattah al-Sisi scheint
nicht daran interessiert zu sein, eine Junta zu bilden und fortan die
Geschicke des Landes an vorderster Stelle zu bestimmen. Sie will
Stabilität, Berechenbarkeit und Ordnung. Der Westen kann dies nur
begrüßen und hoffen, dass die Armee der türkischen unter Atatürk
gleicht, sprich: das Land modernisiert und in einen Rechtsstaat
verwandelt. Ob es tatsächlich so kommt, lässt sich zur Stunde nicht
sagen. Die Geschichte der ägyptischen Armee ist alles andere als
makellos. Wer deswegen geneigt ist, ihre jüngsten Schritte zu
verurteilen, der bedenke, aus welchem Grund das Militär eingriff: Es
war das Versagen der Politik, die Geschicke des Landes mit Blick auf
das Gemeinwohl zu bestimmen. Wie es weitergeht, ist offen. Wird es
zum Bürgerkrieg wie in Algerien Anfang der 90er-Jahre kommen, als die
algerische Armee gegen die Islamisten vorging und 150.000 Menschen
starben? Eine verlässliche Antwort lässt sich zur Stunde nicht geben.
Die ersten Schritte der Kairoer Generäle deuten nicht darauf hin,
dass es am Nil darauf hinauslaufen könnte. Auch die Muslimbrüder
scheinen vor dem Äußersten zurückzuschrecken. Viele von ihnen sind
von der katastrophalen Amtsführung ihres Präsidenten genauso
abgestoßen wie die liberalen Kräfte des Landes. Die Salafisten
wiederum standen Mursi seit eh und je kritisch gegenüber. Das
Schlimmste könnte also ausbleiben. Dennoch sollte sich keiner
täuschen. Ägypten steckt in der größten Wirtschaftskrise seit Ende
der Monarchie. Fast 50 Prozent der Ägypter leben in Armut. Allein
1500 Fabriken schlossen in den vergangenen zwei Jahren. Die Zahl der
Raubüberfälle nahm innerhalb eines Jahres um 350 Prozent zu. Mohammed
Mursi scheiterte, weil er die Not des Landes nicht mildern konnte.
Werden es die neuen Machthaber besser machen? Man kann es nur hoffen.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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