(Registrieren)

"DER STANDARD"-Kommentar: "Kein neuer Geist von Berlin" von Christoph Prantner

Geschrieben am 19-06-2013

Obamas Rede vor dem Brandenburger Tor war groß inszeniert und
inhaltlich schal - Ausgabe vom 20.6.2013

Wien (ots) - Wer immer auf einen dieser speziellen
"Berlin-Momente" gewartet hatte, der wurde diesmal enttäuscht: Barack
Obamas erste Rede als amtierender US-Präsident in der deutschen
Hauptstadt war gewohnt routiniert und gut inszeniert, inhaltlich
jedoch blieb sie eher dürftig. Schrieben sich Vorgänger wie John F.
Kennedy ("Ich bin ein Berliner!") oder Ronald Reagan ("Herr
Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!") mit griffigen
Kernsätzen, die den Geist der Zeit trafen, in das kollektive
Gedächtnis von Generationen ein, wird Obamas Rede morgen schon
weitgehend vergessen sein. Das einzige wesentlich Neue darin war ein
Angebot an die Russen, das Atomwaffenarsenal der beiden Staaten vom
Niveau des 2010 beschlossenen Start-Vertrags noch einmal um ein
Drittel zu reduzieren. Damit bleibt Obama konsistent auf seiner
Abrüstungslinie, die er als Präsidentschaftskandidat in Berlin oder
bei seinem ersten großen Europa-Auftritt als Präsident im Jahr 2009
auf der Prager Burg bereits formuliert hat. Das ist löblich, klingt
gleichzeitig aber doch wie ein Echo aus lang vergangenen Zeiten des
Kalten Krieges. Deswegen wies ihn Moskau - dessen Kooperation Obama
bei der Reduktion taktischer und strategischer Atomarsenale braucht -
umgehend und nicht ohne gewissen Unterton darauf hin, dass die
nukleare Bedrohung heute nicht nur von den beiden Supermächten
ausgeht, sondern auch von Staaten wie Nordkorea, Indien, Pakistan und
einem möglicherweise auf nukleare Fähigkeiten hinarbeitenden Iran.
Das, und nicht das amerikanisch-russische Atomarsenal, ist die
aktuelle politische Herausforderung, genauso wie der Konflikt in
Syrien oder der Skandal um das flächendeckende Überwachen von
Telefon- und Internetverkehr durch den US-Geheimdienst NSA. Zu beiden
nahm Obama zwar Stellung, überzeugen konnte er mit seinen Argumenten
aber nicht - auch deswegen, weil ihm das europäische und auch das
deutsche Publikum neuerdings nicht mehr uneingeschränkt zugeneigt
ist. Aus dem Messias, der trockenen Fußes über alle Wasser zu wandeln
vermochte, ist auch in der alten Welt ein gewöhnlicher Politiker
geworden, der immer öfter im sauren Regen der öffentlichen Meinung
steht. Das geschieht ironischerweise genau zu einem Zeitpunkt, zu dem
sich der amerikanische Präsident nach vier Jahren angestrengten
Spähens in den Pazifik wieder den alten Partnern zuwenden will. Ohne
Europa, ohne Wirtschaftswachstum und politische Lastenverteilung im
atlantischen Raum ist für die Amerikaner der Wettstreit mit China
viel schwerer zu gewinnen. Für eine solche Partnerschaft bedürfte es
allerdings mehr als der üblichen Inszenierung, denn diese kann die
Entfremdung in und mit Europa nicht wettmachen. Für einen neuen
"Geist von Berlin", für einen neuen Berliner Moment ist das
Brandenburger Tor als bloße Kulisse nicht ausreichend. Dafür müssen
Europäer und Amerikaner sich tatsächlich noch einmal gegenseitig
vergewissern, dass sie gemeinsame Werte teilen und verteidigen
wollen. Eine gute Gelegenheit dafür wäre, die amerikanische Chuzpe
(und nebenbei die Heuchelei der europäischen Nachrichtendienste) in
Sachen Prism-Spionagesoftware zu diskutieren. Denn genau in diesem
Fall muss man wieder auf den gemeinsamen Begriff von Freiheit kommen,
für den Berlin in der Vergangenheit stand.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

470613

weitere Artikel:
  • Südwest Presse: Kommentar zu Obama Ulm (ots) - Barack Obama ist ein Mann der großen Rede. Er verpackt grundsätzliche Botschaften in einer den Zuhörern so zugewandten Weise, wie es wenigen Politikern gelingt. Er erreicht die Menschen. Ob - noch als Präsidentschaftskandidat - die 200 000 an der Siegessäule in Berlin vor fünf Jahren oder die vergleichsweise kleine Schar geladener Gäste gestern vor dem Brandenburger Tor. In der Geste, 50 Jahre nach seinem Vorbild John F. Kennedy aus Berlin ein Signal für eine friedliche und gerechte Welt zu senden, liegt gewiss der größte mehr...

  • Özdemir (Grüne) zu Obama-Besuch: Erwartungen waren überzogen / Europa kein starker Partner für USA im Kampf gegen Terrorismus Bonn (ots) - Bonn/Berlin, 19. Juni 2013 - Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir hat die Erwartungen an die Rede und den Auftritt von US-Präsident Obama in Berlin als "überzogen" bezeichnet. "Man darf nicht erwarten, dass Präsident Obama den Lauf der Dinge hier radikal verändert." Obama habe große Schwierigkeiten, seine Politik im eigenen Land durchzusetzen. "Das ist die Realität, und die kann auch eine Rede in Berlin nicht ändern", sagte Özdemir im phoenix-Interview. Kritik übte der Grünen-Vorsitzende an der Rolle Europas im Kampf mehr...

  • Allg. Zeitung Mainz: zu Obamas Berlin-Besuch / Ein Freund Mainz (ots) - Reisen bildet. Und die legendäre Berliner Luft bringt, selbst wenn sie sich wie gestern tropisch präsentiert, Menschen sehr oft zu coolen Einsichten. Barack Obama verströmt Charisma, ist ein begnadeter Entertainer. Die Herzen fliegen ihm zu. Inhaltlich und machtstrategisch zählt er zu den besseren US-Präsidenten der vergangenen 100 Jahre. Sein Problem ist, dass die Erwartungen an ihn hysterisch hoch gesteckt waren. Deshalb läuft er Gefahr, als gefallener Engel, als Messias, der dann doch keiner war, in die Geschichte mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Unter Freunden Leitartikel zum Berlin-Besuch von Barack Obama Regensburg (ots) - Was schenkt man einem guten Freund, der alles hat? Man schenkt Zeit, Aufmerksamkeit, schöne Erinnerungen. Das ist, was Barack Obama gestern tat. Wer sich etwas anderes erwartet hatte, eine große Botschaft, verkannte, dass sich die Welt weitergedreht hat in den vergangenen 20 Jahren. Und dass im Fokus nicht mehr Berlin steht. Die Welt ist im Umbruch und die USA orientieren sich neu - in jeder Hinsicht. Obama als erster schwarzer Präsident ist das perfekte Beispiel dafür, dass das Land sich im Inneren wandelt. Viele mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Flüchtlingsdrama in der Welt nimmt zu Mehr Demut zeigen MATTHIAS BUNGEROTH Bielefeld (ots) - Es sind mehr als bedrückende Zahlen, die die Vereinten Nationen aktuell vorlegen. Mehr als 45 Millionen Menschen weltweit befanden sich Ende vergangenen Jahres auf der Flucht. Den meisten von ihnen fehlt es an den absolut lebensnotwendigen Dingen: Essen, Trinken, Arbeit, ein Dach über dem Kopf - und Sicherheit. Die Zahlen sollten unsere westliche Wohlstandsgesellschaft zu mehr Demut veranlassen. Denn nicht selten wird die Zuwanderungsdiskussion bei uns - mal unverblümt, mal auch nur subtil - unter dem Generalverdacht mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht