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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Erdogan

Geschrieben am 11-06-2013

Bielefeld (ots) - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan verkündete gestern den aufbegehrenden Regierungsgegnern das
»Ende der Toleranz«. Das war gelogen: In Wahrheit hat es sie nie
gegeben. Das einzige Einlenken seit Beginn der Unruhen vor elf Tagen
war die leise Selbstkritik seines Stellvertreters Bülent Arinc.
Außerdem: der Sturm auf den Taksim-Platz erfolgte gestern ziemlich
genau 24 Stunden vor dem ersten direkten Gespräch mit den Gegnern des
Bauprojekts im benachbarten Gezi-Park. Die Sache hat sich erledigt -
erstickt in Tränengasschwaden und zertreten von Polizeistiefeln.
Allein das beobachtbare Verhalten der türkischen Führung zeigt, was
wirklich gespielt wird. Der Rest ist nicht nur Schönrednerei, sondern
auch Hohn und Spott. Erdogan hat sich in den vergangenen Tagen
mehrfach als Aufrührer, statt als weiser Führer erwiesen. Erdogan
behauptet, Extremisten und internationale Finanzkreise steckten
hinter den Protesten. Auch das ist hanebüchener Unsinn. Aber: Der
Herr der Lüge stützt sich auf fast 50 Prozent der Wählerstimmen. Und:
Erdogan will mehr - es geht um die Nachfolge von Staatspräsident
Abdullah Gül im kommenden Jahr. Hier poliert einer sein Image als
grausamer Sultan, den der Untertan nur fürchten oder lieben kann.
Machen wir uns nichts vor: Volkes Stimme in der Türkei wünscht sich
seit Tagen, dass die Polizei zurückschlägt. Das ist in Anatolien so,
das gibt es überall in der arabischen Welt, und rund um den
Stuttgarter Hauptbahnhof soll der eine oder andere auch schon mal ein
ähnliches Bauchgefühl verspürt haben. Es kommt darauf an, ob
Politiker in solchen Situationen Öl ins Feuer gießen oder die Wogen
glätten. Selbst wenn es keine Provokateure waren, die gestern aus den
Reihen der Demonstranten heraus Brandflaschen warfen, muss ein
demokratischer Rechtsstaat auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel
achten. In der Türkei gelten solche Überlegungen als Schwäche. Dort
wird in Kategorien von Ehre, Rache und Scharia gehandelt. Die
Re-Islamisierung nach Kemal Atatürks Trennung von Moschee und Staat
ist in vollem Gange. Deshalb kann Erdogan es sich leisten, seine
Gegner völlig unnötig zu provozieren. Deshalb soll im Gezi-Park an
der Stelle exakt jener osmanischen Festung gebaut werden, die gegen
Ideen der Neuzeit am längsten Widerstand geleistet hat. Es geht um
einen geistigen Brückenkopf der Gegner von Gleichheit, Brüderlichkeit
(und zwar im Sinne der Frauen) und Freiheit. Man stelle sich vor, die
Türkei wäre in ihrem Bemühen um den Beitritt zur Europäischen Union
soweit wie inzwischen Kroatien, nämlich wenige Woche vor der
feierlichen Aufnahme. Europas Beitrittsbefürworter wären blamiert.
Aber Erdogan gäbe sich auch in einer solchen Situation gewiss nicht
ein Deut zurückhaltender.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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