(Registrieren)

Rheinische Post: Nicht nur Schavan, auch die Uni muss sich prüfen

Geschrieben am 07-02-2013

Düsseldorf (ots) - Rücktritte haben in der Politik normalerweise
eine kathartische Wirkung. Sie reinigen das aufgeheizte Klima aus
Schuldzuweisungen, Mediengetöse und neuerdings dem Brodeln im
digitalen Unterleib der Gesellschaft. So war es bei Guttenberg,
Wulff, Jung, Röttgen oder wie immer die gefallenen Helden ihrer
jeweiligen Tragödie hießen. Der erwartete mögliche Amtsverzicht von
Bundesbildungsministerin Annette Schavan wird eine solche Wirkung
nicht entfalten. Er dürfte bei vielen den bitter-galligen Geschmack
des Missvergnügens hinterlassen. Denn Schavans Fall liegt anders. Der
Anlass der Vorwürfe gegen sie ist 33 Jahre alt, sie wirken auch
deshalb auf viele außerhalb akademischer Mauern abseitig. Die längste
Verjährungsfrist liegt in unserem Rechtssystem bei 30 Jahren. Ein
Plagiat - wenn es denn bei Schavan justiziabel eines war - verzeiht
dieses System nicht. Dem Wissenschaftsrecht, hinter dem sich die
anklagende Universität Düsseldorf verschanzt, ist Genüge getan. Es
mutet jedoch ähnlich weltfremd an wie manches im universitären
System. Berücksichtigt es doch anders als Strafrecht und Zivilrecht
nicht die sonstigen Umstände, wie etwa Reputation und Lebensleistung
der Angeklagten. Dennoch hätte die Universität, glauben selbst
Düsseldorfer Gelehrte, einen anderen Weg finden können als das
Aussprechen der Höchststrafe. So rügte etwa die Uni Potsdam die
Dissertation des niedersächsischen Kultusministers Althusmann wegen
formaler Mängel, ließ ihm aber den Titel und damit indirekt das
Ministeramt. Neben die wissenschaftsethische Dimension trat im Falle
Schavans das überforderte Agieren der Düsseldorfer Hochschule: Der
Sachstandsbericht der Philosophischen Fakultät, der zu allem Unglück
auch noch bekannt wurde, war kein solcher, sondern ein Vor-Urteil,
hinter dessen Fazit "leitende Täuschungsabsicht" die Universität nie
mehr zurückfand. Dermaßen in die Ecke gedrängt, kalkulierte die
Fakultät mit dem geringstmöglichen Schaden für sich selbst durch
größtmöglichen Schaden für Schavan: Durch die Diskussion über die
politische Zukunft der Ministerin tritt die Rolle der Uni in den
Hintergrund. Hoffentlich wird die wissenschaftliche Gemeinschaft
wenigstens über Mindestanforderungen an ihre Promotionsverfahren und
deren nachträgliche Prüfung diskutieren. Dazu gehören Zweitgutachten
oder Anhörungen, bei denen auch Schavans Doktorvater die Gelegenheit
zur Stellungnahme hätte bekommen müssen. Dann hätte diese Affäre
wenigstens ein Gutes.



Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2621


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

445762

weitere Artikel:
  • neues deutschland: Tunesien schwankt Berlin (ots) - Ägyptens Muslimbrüder haben mit ihrem Kurs der Re-Islamisierung einen großen Stein ins Wasser geworfen. Dessen Wellen versetzten die Grundpfeiler des sich gerade herausbildenden neuen Gesellschaftsgefüges nicht nur in temporäre Schwankungen, sondern lösten ein politisches Erdbeben aus, das noch immer anhält. Wenn aber das Zentrum der arabischen Nation vibriert, lassen die Ausläufer früher oder später auch der Nachbarn politische Gefüge erzittern, vor allem in den anderen Transitionsländern des sogenannten Arabischen mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Ausbildungsoffensive Bielefeld (ots) - Klinkenputzen, um Lehrstellen einzuwerben: Das war schon eine Hauptaufgabe der Bundesagentur für Arbeit, als sie noch Arbeitsamt hieß. Beim Klinkenputzen wird es bleiben, nur ändert sich die Klientel. Die stabile Wirtschaft und der schrumpfende Anteil junger Leute an der Bevölkerung sorgen dafür, dass die meisten Schulabgänger heute problemlos eine Lehrstelle oder einen Studienplatz finden. Deshalb ist es richtig, dass sich die Bundesagentur endlich derjenigen Männer und Frauen annimmt, die bislang durchs Raster mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds Bielefeld (ots) - Die Versuchung scheint zu groß: Wenn im Gesundheitssystem Milliarden Euro scheinbar nutzlos auf der hohen Kante liegen, dann kann auch der Staat nicht widerstehen. Das gilt jedenfalls für das Ansinnen, den Staatshaushalt durch eine weitere Kürzung des Bundeszuschusses für den Gesundheitsfonds ausgleichen zu wollen. Um das klar zu sagen: Das große Ziel ist genauso richtig wie wichtig - doch der Griff in die prall gefüllte Kasse des Gesundheitssystems dafür der falsche Weg. Seit Monaten ziert sich Gesundheitsminister mehr...

  • Stuttgarter Zeitung: Kommentar zur Lage in Tunesien Stuttgart (ots) - Die Gefahr ist groß, dass sich in den Ländern des Arabischen Frühlings wieder despotische Regime etablieren. Die Menschen in Tunesien und Ägypten sind dazu aber nicht bereit. Die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz oder in den Straßen von Tunis sind ein Hoffnungsschimmer, dass der Funke der Freiheit weiter glimmt. Es ist die Aufgabe des Westens, diese wankenden und suchenden Staaten auf dem Weg in Richtung Demokratie ehrlich zu unterstützen. Fahrlässig ist es, wenn wir angesichts der großen Probleme mit Arroganz mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: zu Daimler: Stuttgart (ots) - Tatsächlich kann Daimler nicht damit zufrieden sein, seit Jahren den Wettbewerbern hinterherzufahren. Doch eines kann man Zetsche sicher nicht vorwerfen: Tatenlosigkeit. Die Schwachpunkte sind erkannt und werden gezielt bekämpft. Ob es schmerzhafte Lücken in der Modellpalette sind, gravierende Schwächen auf dem chinesischen Markt oder der Umstand, dass zu wenig jüngere Kunden auf die Marke anspringen - Zetsche hat die Probleme angepackt. Ob er sein Ziel erreicht, an der Konkurrenz vorbeizuziehen, ist trotzdem alles mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht