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DER STANDARD-Kommentar "Trotz allem: Hingehen!" von Gerald John

Geschrieben am 17-01-2013

"Ein Boykott der Volksbefragung zur Wehrpflicht ist als
Denkzettel ungeeignet" - Ausgabe 18.1.2013

wien (ots) - Die Verlockung, einen Denkzettel auszustellen, ist
groß. Viele Wähler drohen ihr zu erliegen. Einige werden, die Faust
im Hosensack geballt, leere Stimmzettel abgeben, vielleicht mit ein
paar Beschimpfungen bekritzelt. Die Mehrheit aber wird sich für die
Volksbefragung über die Wehrpflicht am Sonntag nicht einmal den Weg
ins Wahllokal antun - und den Schnee dem Schmäh, an dem einen die
Regierung hält, vorziehen. Beklagen brauchen sich die
Koalitionsparteien nicht, am allerwenigsten die SPÖ. Auf der Suche
nach einem Wahlkampfschlager für Wien haben die Sozialdemokraten im
Herbst 2010 überhaps eine jahrzehntelange, historisch begründete
Haltung pro Wehrpflicht über Bord geworfen. Bis zur Selbstverleugnung
verbogen hat sich Verteidigungsminister Norbert Darabos, der nun als
"megasinnlos" geißelt, was er früher in Stein gemeißelt sah. Kein
Wunder, dass viele Genossen nicht mitziehen. Leistete die Kronen
Zeitung nicht Schützenhilfe, die schwachbrüstige SP-Kampagne wäre
verloren. Misstrauen verdient auch die ÖVP. Einst verstanden sich die
Schwarzen als Trendsetter für eine weitsichtige Verteidigungspolitik,
die an Dogmen wie Wehrpflicht und Neutralität kratzt, heute
verweigert sie, über solche Fragen überhaupt ernsthaft zu
diskutieren. Statt Reformkonzepten fürs Heer hat die
Vizekanzlerpartei nicht mehr zu bieten als die Verklärung jener
Zivildiener, die sie früher als Drückeberger brandmarkte. Glaubwürdig
ist das nicht - aber es gilt eben, dem Rivalen eins auszuwischen.
Niemand verbietet Politikern, angesichts veränderter Realitäten
klüger zu werden. Doch der Meinungswechsel von SPÖ und ÖVP entspringt
eben keiner gewachsenen Überzeugung, sondern taktischen Impulsen. Und
dennoch: Ein Boykott der Befragung wäre eine schlechte Form der
Rache. Trotz unlauterer Motive steht letztlich eine klassische
Richtungsentscheidung zur Debatte, die ein Jahrzehnt oder mehr
Bestand haben könnte. Wenn sich eine Frage für Plebiszite, wie sie
die Verfassung vorsieht, eignet, dann diese. Kaufen die Bürger dabei
nicht die Katze im Sack? Natürlich sind die Kostenrechnungen der SPÖ
höchst zweifelhaft, und die ÖVP verschweigt überhaupt, wie der
superspannende Wehrdienst der Zukunft aussehen soll, den schwarze
Verteidigungsminister nie zustande brachten. Doch alles ist dann auch
nicht Agitation - was etwa erhellende Politikerdebatten im ORF
bewiesen. Wer wegen eingestreuter Desinformation die Befragung
scheut, kann genauso gut Wahlen verweigern. Gelogen wird da nicht
weniger. Das Gleiche gilt für die großen Volksentscheide der
Republik. Die knappe Mehrheit gegen das AKW Zwentendorf kam 1978 nur
deshalb zustande, weil die ÖVP, die stets für Atomkraft war, der
regierenden SPÖ einen Dämpfer verpassen wollte; wären umweltbewegte
Österreicher aus Ärger über das Parteiengeplänkel daheimgeblieben,
hinge heute vielleicht ein Atommeiler am Netz. Auch das Pro-EU-Votum
von 1994 gründet nicht allein auf hehren Sachdebatten. Wendehals Jörg
Haider blieb punkto Propaganda unerreicht, doch auch die Regierung
schenkte nicht nur reinen Wein ein - etwa wenn es um Folgekosten und
das Ende des Schillings ging. Hätte ein Boykott da irgendetwas
bewirkt? Wer nicht will, dass eine kleine Minderheit per Plebiszit
weitreichende Entscheidungen trifft, kann etwas dagegen tun:
teilnehmen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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