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"DER STANDARD"-Kommentar: "Vom relativen Wert der Werte" von Lisa Nimmervoll

Geschrieben am 26-10-2012

Über die Kluft zwischen schönen wertreichen Reden und
entlarvenden Taten - Ausgabe vom 27./28.10.2012

Wien (ots) - Werte haben wieder Hochkonjunktur. Neoparteiinhaber
Frank Stronach hat sie als gravitätisches Zentrum seiner politischen
Arbeit auserkoren, repräsentiert durch die Trias "Wahrheit -
Transparenz - Fairness". BZÖ-Party-Hopper in Richtung Team Stronach
legitimieren ihren Schritt gern mit "Werten". Auch aus anderen Ecken
ertönt der edle Ruf danach. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache legt es
eher esoterisch an und will fortan mit "Liebe" bei den Wählerinnen
und Wählern punkten. Die SPÖ Oberösterreich ließ die
sozialdemokratischen Werte "Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit,
Solidarität" in ein rotes Büchlein pressen, auf dass sich die
Genossinnen und Genossen ihrer politmoralischen Normen versichern
können. Die SPÖ-Frauen wollten beim Parteitag - zum wievielten Mal
eigentlich? - eine Neubewertung von Arbeit erreichen. Und auch die
ÖVP möchte fürderhin politische Wertarbeit mit Werten liefern:
"Wirtschaft. Wohlstand. Werte."
Der fast inflationär anmutende Gebrauch der Werte in der Politik ist
es wert, genauer angeschaut zu werden. Warum gerade jetzt die
gehäufte Bezugnahme darauf? Selbstvergewisserung einer verunsicherten
Gesellschaft in der - ökonomischen und moralischen - Krise?
Warnsymptom gesellschaftlicher Fliehkräfte?
"Werte" haben den Vorteil, dass sie schon als bloßes Wort einen
positiven Bedeutungsüberschuss mitliefern. Wer Werte hat, kann kein
ganz schlechter Mensch sein. Besser, als er hat gar keine. Wer sich
auf "Werte" beruft, muss es gut meinen und das Beste wollen. Er tut
zumindest so.
Das ist das Problem mit der rhetorischen Wertehuldigung. Die verbale
Flucht zu neuen oder alten "Werten" ist eher ein suspektes Zeichen.
Wer so offensiv über Werte reden muss, könnte Defizite oder Makel im
Handeln kaschieren wollen.
Messen wir die Wertegreißler doch an konkreten Taten oder
Unterlassungen. Ein guter Gradmesser für ein intaktes Wertesystem in
einer demokratischen Gesellschaft sollte "Solidarität" sein. Die
moderne Version revolutionärer "Brüderlichkeit". Da wird die Grenze
mittlerweile recht eng gezogen, wenn man sich ansieht, mit welch
selbstverständlicher Menschenverachtung Flüchtlingskindern das Recht
auf Schulbildung verweigert wird. Das hat schon fast talibanistische
Züge. Zum Schämen. Ist der "Wert" fremder Kinder geringer?
Überhaupt ist das Thema soziale Integration zentral für die
politische Wertedebatte. Die Kernfrage lautet: Was hält die
Gesellschaft zusammen? Bildung. Teilhabe. Was lässt sie
auseinanderdriften? Soziale Deprivation. Armut. Wie viel Spannweite
zwischen oben und unten kann sie aushalten?
Da kommen dann andere Werte ins Spiel: Einkommenswerte. Geldwerte.
Vermögenswerte. Eigentumswerte. In Österreich laut Nationalbankstudie
"ausgeprägt" ungleich verteilt.
Um diese Werte zu verteidigen, hat sich ein ziemlich verächtlicher
Ton eingeschlichen, dessen Flurschäden noch nicht absehbar sind. Wenn
etwa "Unternehmer" "Unterlassern" gegenübergestellt oder "Empfänger
von Almosen" quasi als der Rest diffamiert werden, der dem Staat
bleibt, wenn die wertvollen Oberen gehen, dann ist die Idee von der
Solidargemeinschaft ein brüchiger Wert geworden. Der deutsche
Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer nennt diese Absetzbewegung "rohe
Bürgerlichkeit". Bleibt die Frage, wie lange und aus wie vielen
Gesellschaften man sich so davonstehlen kann.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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