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Landeszeitung Lüneburg: "Das Problem ist nur die Verteilung" / Gesundheitsökonom Prof. Dr. Stefan Greß kritisiert extreme Einkommensunterschiede unter Ärzten

Geschrieben am 06-09-2012

Lüneburg (ots) - Von Montag an sollen die Krankenkassen ihre
"Nadelstiche" spüren. Patienten sollen zunächst verschont bleiben. Im
Steit um höhere Honorare erhöhen die 150.000 niedergelassenen Ärzte
und Psychotherapeuten den Druck. Sie fordern 11 Prozent mehr Geld.
Den Schlichterspruch von 0,9 Prozent wollen die Mediziner nicht
hinnehmen. Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Stefan Greß macht ihnen
wenig Hoffnung.

Einem Allgemeinmediziner bleiben laut Honorarbericht der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung pro Monat durchschnittlich etwas
mehr als 5000 Euro netto, vielen Fachärzten deutlich mehr. Jammern
die Kassenärzte auf hohem Niveau?

Prof. Dr. Stefan Greß: Es gibt bei den Kassenärzten Berufsgruppen,
die deutlich unter diesem Durchschnitt liegen, beispielsweise die
Psychotherapeuten. Aber natürlich verdienen manche Ärzte auch
wesentlich mehr. Das Problem ist nicht die Vergütung insgesamt,
sondern die Verteilung. Wir haben regional und auch zwischen den
Fachgruppen extrem große Unterschiede. Momentan erhebt die KBV
Honorarforderungen, die so hoch sind, dass am Ende auch für
diejenigen, die wenig verdienen, noch ein ordentliches Plus
herausspringt.

Eigentlich müssten also die Psychotherapeuten gegen die Radiologen
auf die Barrikaden gehen. Warum wird diese Diskussion denn -
zumindest öffentlich - nicht geführt?

Greß: Welche Fachgruppe wie viel Geld bekommt, entscheiden die
Ärzte untereinander. Im Rahmen eines demokratischen Prozesses in
Vertreterversammlungen. Und da sind eben manche Facharztgruppen
durchsetzungsfähiger als andere. In der Vergangenheit waren es meist
die Allgemeinmediziner, die relativ schlechte Karten hatten, die
haben aber in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt. Das war ein
Stück weit auch politisch gefordert. Auch Ärzte und Ärztinnen in
manchen Bundesländern, die in der Vergangenheit etwas benachteiligt
waren, haben ordentliche Zuschläge bekommen. Die Politik kann also
schon etwas steuern, aber in erster Linie ist das Sache der Ärzte
untereinander. Die derzeitige Diskussion lenkt in der Tat ein Stück
weit davon ab. Warum haben einzelne Berufsgruppen größeres Gewicht in
diesen Gremien? Greß: Weil sie zum Beispiel untereinander Bündnisse
gebildet haben.

Ist die Forderung nach elf Prozent mehr Geld angemessen?

Greß: Das kann man von außen immer schwer beurteilen. Die Ärzte
fühlen sich schlecht behandelt und schlecht bezahlt. Das nagt an
ihrem Selbstverständnis. Die Mediziner argumentieren unter anderem
damit, dass die Kassen momentan ordentliche Überschüsse
erwirtschaften. Und von diesem Kuchen möchten die Ärzte ein Stück
abbekommen. Allerdings ist es ja nicht so, dass es in den vergangenen
Jahren keine Einkommenszuwächse gegeben hat.

Knapp 22 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Kassen auf der
hohen Kante. Wie sollte dieses Geld genutzt werden? Für
Beitragssenkungen?

Greß: Ein erheblicher Teil dieser Überschüsse sollte als Rücklage
dienen. Wenn sich die Konjunktur eintrübt - und da"rauf deuten einige
Indikatoren schon hin, wird sich das auf den Arbeitsmarkt und damit
auch auf die finanzielle Situation der gesetzlichen Kassen
niederschlagen. Natürlich wecken solche Reserven Begehrlichkeiten bei
den Leistungserbringern, nicht nur bei den Ärzten, auch in den
Krankenhäusern und bei den Arzneimittelherstellern. Aber die Ärzte
sollten jetzt nicht erwarten, dass sie davon viel abbekommen.

Die Ärzte argumentieren, es ginge nicht um das Einkommen des
einzelnen Mediziners, sondern um eine angemessene Ausstattung der
Praxen. Decken die angebotenen 0,9 Prozent den Anstieg der
Praxiskosten?

Greß: Was ist angemessen? Insgesamt - auch im internationalen
Vergleich - haben wir eine relativ gute technische Ausstattung in den
Praxen der niedergelassenen Haus- und Fachärzte. Wenn die Ausstattung
ausgebaut wird, steigen auch die Kosten wieder, denn die Technik muss
sich rechnen. Deshalb bin ich nicht sicher, ob hier weiter investiert
werden sollte. Die zweite Frage ist, ob alle Kosten, die bei den
Ärzten anfallen, erstattet werden sollten. Damit gehen meiner Ansicht
nach Anreize für eine effiziente Organisation von Praxen verloren.

Was meinen Sie damit konkret?

Greß: Eine wichtige Frage ist doch, wie die ärztliche Tätigkeit
künftig organisiert sein wird. Wir sehen einen Trend zu größeren
Einheiten, hin zu Gemeinschaftspraxen. Auf diese Weise kann
wirtschaftlicher gearbeitet werden und es bleibt unterm Strich mehr
übrig.

Auch in der Vergütung von Kassenleistungen und privaten
Behandlungen gibt es krasse Unterschiede und damit falsche
finanzielle Anreize. Brauchen wir dieses Nebeneinander zweier
Krankenversicherungssys"teme überhaupt?

Greß: Nein, das brauchen wir nicht. Zumindest brauchen wir keine
zwei unterschiedlichen Vergütungsordnungen. Das setzt Anreize zur
bevorzugten Behandlung von Privatpatienten. Deshalb plädiere ich
schon lange dafür, für privat Versicherte etwas weniger und für
gesetzlich Versicherte etwas mehr zu zahlen, um zu einem
einheitlichen Vergütungsniveau zu kommen. Ohne dass die Ärzteschaft
insgesamt finanzielle Einbußen erleiden muss. Ärzte, die heute viele
Privatpatienten versorgen, hätten dadurch natürlich ein geringeres
Einkommen - zugunsten von Praxen mit mehr Kassenpatienten. Das wäre
sicher auch ein wünschenswerter Effekt, weil er ländliche Regionen
attraktiver macht.

Mehr als 70 Prozent der Kniespiegelungen gelten als überflüssig,
und davon sind laut einer neuen Studie 39 Prozent mangelhaft
durchgeführt. Kann man von einer Industrialisierung der Medizin
sprechen, die die Gesundheit der Menschen gefährdet?

Greß: Das gilt sicher eher für Krankenhäuser als für die ambulante
Versorgung, weil dort auch die finanziellen Anreize entsprechend
gesetzt sind. Wir sehen in den Krankenhäusern in manchen Bereichen
einen starken Anstieg der Fallzahlen - etwa bei künstlichen Hüft- und
Kniegelenken. Und Studien zeigen, dass nicht nur die demografische
und die Krankheitsentwicklung dafür verantwortlich sind. Hier spielt
in erster Linie die Vergütung eine Rolle.

Wie muss ein effizientes und faires Honorarsystem Ihrer Ansicht
nach aussehen?

Greß: Ich denke, dass wir in der hausärztlichen Versorgung stärker
auf Pauschalen setzen müssen, die in bestimmten Bereichen durch
Einzelleistungsvergütungen ergänzt werden, - etwa bei Impfungen. In
der fachärztlichen Versorgung wird es sicher weiterhin einen Mix
geben müssen aus Fallpauschalen und Einzelleistungsvergütungen. Was
wir immer haben werden, sind Mengenbegrenzungen, denn die Ressourcen
sind nicht unendlich. Fragen muss man aber auch, ob das Verfahren,
mit dem Honorare festgelegt werden, also die Verhandlungen zwischen
Ärzten und Kassen, noch zukunftsträchtig ist. Ich halte eine stärkere
politische Steuerung durchaus für sinnvoll. Das war auch in den
vergangenen Jahren bereits zu beobachten. Vor der Bundestagswahl 2009
gab es das klare politische Signal, dass die Ärzte noch einmal einen
großen Schluck aus der Pulle bekommen sollen. Und auch jetzt hat der
Bundesgesundheitsminister eine Aufsichtspflicht. Er kann solche
Beschlüsse beanstanden. Politischer Einfluss spielt grundsätzlich
eine große Rolle, aber jetzt wird der Schwarze Peter in den
Bewertungsausschuss geschoben. Das ist für die Politik natürlich
bequem. Ich würde mir wünschen, dass die Politiker größere
Verantwortung übernehmen. Dafür sind sie schließlich gewählt worden.

In der aktuellen Diskussion geht es nur um Geld. Muss nicht -
gerade im Hinblick auf die Abrechnung - über einen massiven
Bürokratieabbau gesprochen werden, damit Ärzte mehr Zeit für
Patienten haben?

Greß: Ich weiß nicht, wie viele Ärzte ihre eigene Abrechnung
überhaupt verstehen. Es muss Vereinfachungen im Vergütungssystem
geben. Hausärzte könnten zum Beispiel pro eingeschriebenem Patienten
eine Pauschale bekommen -- für einen längeren Zeitraum. Damit haben
andere Länder gute Erfahrungen gemacht. Auch bei Fachärzten sind
sicher Vereinfachungen denkbar. Ich sage aber den Ärzten auch immer:
Tut euch zusammen und stellt jemanden ein, der sich nur mit
Abrechnungen beschäftigt. Das ist natürlich auf dem Lande oft nicht
möglich, aber in Städten sind so auch kurzfristig Synergie-Effekte
erreichbar.

Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Ärzteverbandes Hartmannbund, hat
konkrete Vorschläge gemacht, nämlich eine Kostenerstattung inklusive
eines Eigenanteils der Patienten, der auch die Zahl der Arztbesuche
steuern könnte. Unterstützen Sie diese Forderung?

Greß: Wenn Mediziner von Kostenerstattung sprechen, dann meinen
sie in der Regel die Abrechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte,
also die privatärztliche Vergütung. Allerdings dürfen die
gesetzlichen Krankenkassen dann nur das erstatten, was die Leistung
bei ihnen gekostet hätte. Dies wäre für die Versicherten deutlich
teurer als die Praxisgebühr. Deshalb halte ich davon nicht allzu
viel. Alle Erfahrungen aus dem In- und Ausland zeigen zudem, dass die
Versorgung durch die Kostenerstattung nicht effizienter wird.

Müssen wir uns auf Praxisschließungen einstellen oder erwarten Sie
noch einen Kompromiss?

Greß: Kurzfristig sehe ich keine Einigung. Aber wenn sich die
Wellen ein bisschen geglättet haben, wird es hinter den Kulissen
Gespräche geben zwischen Politik, Kassen, Ärzten und dem Schlichter.
Dann wird es wohl einen Kompromiss geben, der aber immer noch weit
von dem entfernt sein dürfte, was die Ärzte als gerecht empfinden.
Ich halte es für problematisch, dass die Ärzte die Verhandlungen ganz
abgebrochen haben, bevor über die Menge der Leistungen gesprochen
worden ist. Da hätte es durchaus noch Potenzial gegeben. Aber die
Unzufriedenheit ist wohl zu groß. Für die Kassenärztliche
Bundesvereinigung ist das jetzt sicher eine schwierige Situation.
Zumal KBV-Chef Andreas Köhler selbst mit einer nicht unerheblichen
Gehaltserhöhung von sich reden gemacht hat. Das wird seine Position
in der Ärzteschaft nicht verbessern.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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