(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Der Fleck im Festgewand Von Wagners Erben wird Aufklärung verlangt. Neue Wahrheiten können sie nicht liefern. Leitartikel von Claudia Bockholt

Geschrieben am 31-07-2012

Regensburg (ots) - Nach künstlerischen Debakeln und
innerfamiliärem Gezerre um die Festspielleitung hat ein tätowierter
russischer Sänger einen neuen Sturm auf den Grünen Hügel entfacht.
Die entrüstete Debatte führt tief in die mit dem Nationalsozialismus
verflochtene Geschichte des Hauses. Aufklärung wird lautstark
verlangt und versprochen. Doch das Dilemma dieser berühmten
Opernwochen wird sie nicht lösen. Wagners Musik wird nicht von seiner
von Antisemitismus und Nationalismus getränkten Weltsicht zu lösen
sein: Die braunen Flecken kriegt man aus dem Festgewand nicht raus.
Evgeny Nikitin trug seine Haut zu Markte: Offizielle Fotos zeigen die
Tattoos, darunter auch eine altgermanische Rune, die - auf den Kopf
gestellt - von Neonazis verwendet wird. Dass diese abstoßenden
Insignien den einstigen Rock-Rebellen und jetzt etablierten
Bass-Bariton so kurz vor der Premiere die Traumrolle als "Fliegender
Holländer" kosteten, erstaunt trotzdem. Der Sänger und die
Wagner-Schwestern hätten es früher wissen können, sich intensiver
auseinandersetzen müssen. Sicher stand ein noch größerer Skandal zu
befürchten: Nazi-Symbole ausgerechnet in Bayreuth! Doch die
Umbesetzung im Hau-Ruck-Verfahren wurde weder dem Menschen noch dem
"Vergehen" gerecht. Warum aber wird im Fahrwasser dieser
"Holländer"-Havarie von so vielen Seiten "Aufklärung" vom und im
Hause Wagner gefordert? Hat es sich doch hier politisch korrekt,
vielleicht sogar überkorrekt verhalten. Was verspricht man sich von
einer Öffnung der Familienarchive? Welche neue Wahrheit über Wagner
und seine Nachkommen erhofft man sich? Der Grüne Hügel galt zu keiner
Zeit als Festung von Toleranz und Demokratie. Das Haus wurde gebaut
auf den Grundpfeilern eines rassistischen Nationalismus. Das
dokumentiert die gerade im Park vor dem Festspielhaus gezeigte
Ausstellung "Verstummte Stimmen". Dort heißt es dezidiert, dass
Richard Wagner einer der "wichtigsten Stichwortgeber für die
Vertreibung der Juden aus den deutschen Opernhäusern" gewesen sei.
Seine Frau Cosima sah in Bayreuth "ein Stück wiedergewonnene
Identität", ein Haus mit "Deutungshoheit nicht nur über Wagners Werk,
sondern über das wahre 'Deutschthum'". Die Ausstellung als einen
Schritt der Familie Wagner zur Aufarbeitung der
nationalsozialistischen Vergangenheit zu betrachten, wie es Bayerns
Kunstminister Wolfgang Heubisch im MZ-Gespräch tat, geht nicht. Denn
leider hatte die Wanderausstellung nicht in Bayreuth ihren
Ausgangspunkt. Seit 2006 hat sie fünf Stationen durchlaufen. Zum
anderen fragt man sich nach einem bedrückten Gang durch die Stelen
mit Fotos von im KZ ermordeten Künstlern, welche Fragen noch
unbeantwortet sind. Wagner war glühender Antisemit. In seiner Schrift
"Das Judenthum in der Musik" zieht er eine "gewaltsame Auswerfung des
zersetzenden fremden Elements" als Möglichkeit in Betracht, den
"Verfall unsrer Kultur aufzuhalten". Natürlich: Wagner hat die braune
Brut nicht mit dem Taktstock herbeigezaubert. Doch er ist nach seinem
Tod keineswegs instrumentalisiert worden. Hätte er noch gelebt, hätte
er sich mit Sicherheit vom Propaganda- und Kulturminister Goebbels
vereinnahmen lassen - so wie Leni Riefenstahl, Arno Breker, Zarah
Leander, Heinz Rühmann und viele andere. Was für die
nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands gilt, gilt auch für
das Haus Wagner. Es ist Pflicht der Nachkommen, den scheußlichen
brauen Fleck nicht zu verstecken. Mit noch soviel Aufklärung lässt er
sich aber niemals tilgen. Mit widerstreitenden Gefühlen und damit,
dass eben nicht alles nur hehre Kunst und Glanz und Gloria ist, muss
Bayreuth auch in Zukunft leben.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

409361

weitere Artikel:
  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Ausländer und Sachsen-Anhalt Halle (ots) - Wenn es um die Gewinnung ausländischer Fachkräfte geht, hat das Land eine schlechte Ausgangslage. Die wird nicht besser durch maue Verdienstmöglichkeiten und Fremdenfeindlichkeit. All dies ist veränderbar. Mit Marketing. Mit guten Löhnen für gute Arbeit. Mit Härte gegen fremdenfeindliche Straftaten. Und indem man die Offenheit gegenüber Fremden fördert. Die Einbürgerungskampagne ist kein Allheilmittel, wird aber helfen. Bei einem Ausländeranteil von 1,9 Prozent fehlt Überfremdungsängsten jede Basis. Mit Blick auf Bevölkerungsschwund mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zur Eurokrise Halle (ots) - Warum überschlagen sich die Meldungen, die alle das mulmige Gefühl hierzulande erzeugen, dass ein erneuter Tabubruch bevorsteht? Dass die Europäische Zentralbank (EZB) erneut Staatsanleihen kaufen wird? Weil die Eurokrise auf einen neuen Höhepunkt zustrebt, allen Rettungsanstrengungen zum Trotz. Weil die ganze Welt Angst hat, dass die Lösung der Krise noch einmal an den deutschen ordnungspolitischen Vorstellungen, vor allem der, die Notenbank dürfe keine Staatsanleihen kaufen, scheitern wird. Und dass die Euro-Krise mehr...

  • WAZ: Der Euro als Spaltpilz. Leitartikel von Ulrich Reitz Essen (ots) - Beim Geld hört die Freundschaft auf. Sagen die Materialisten. Nur die Liebe zählt. Sagen die Idealisten. Der große europäische Streit um die Währung ist auch eine Auseinandersetzung zwischen Materialisten und Idealisten. Der Euro rechtfertigt jeden Euro, sagen die Idealisten (die Luxemburger). Unser Geld ist uns wichtiger als der Euro, sagen die Materialisten (immer mehr Deutsche). Materialisten sind aber auch die Bittsteller, die zunehmend zu selbstbewussten Forderern werden, die jetzt zu Deutschlands Lasten die europäische mehr...

  • Allg. Zeitung Mainz: Hilft "unbegrenzt"? / Kommentar zur Banklizenz für den ESM Mainz (ots) - Probiert es gar nicht mehr, im Ernstfall fegen wir euch künftig mit einer unbegrenzten Menge Geld schlicht vom Markt und dann bekommt ihr für eure Kredite nur noch lächerliche Zinsen. So ungefähr kann man die Strategie interpretieren, mit der immer mehr Politiker außerhalb Deutschlands der Spekulation gegen den Euro ein für alle Mal Herr werden wollen. Die Plattform, um diese Strategie in die Tat umzusetzen, soll der Rettungsfonds ESM und das Mittel eine Banklizenz für den ESM sein, der damit Kredite bei der Europäischen mehr...

  • WAZ: Polizisten gehören auf die Straße. Kommentar von Wilfried Goebels Essen (ots) - Das Sicherheitsgefühl der Bürger steigt mit der Präsenz der Polizei auf der Straße. Beamte, die in der Wache Protokolle tippen, fallen aber als Streife aus. Die Erfüllung sachfremder Aufgaben ist nicht ökonomisch - und schadet der Prävention wie der Aufklärungsquote. Die Belastung der Polizei hat einen kritischen Punkt erreicht. Zwar stellt NRW zum 1. September 1250 ausgebildete Polizisten ein - 250 mehr als 2010. Aber in wenigen Jahren rollt eine mächtige Pensionswelle auf die Polizei zu. Wer die Leistungsfähigkeit mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht